Dirk Hordorff – „Man sollte Zverev nicht in ein falsches Licht stellen“

Der DTB-Vize spricht im Interview über die Davis-Cup-Querelen, kündigt personelle Konsequenzen an und stärkt Michael Kohlmann den Rücken.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 06.09.2016, 08:14 Uhr

NEW YORK, NY - SEPTEMBER 01: Alexander Zverev of Germany reacts against Daniel Evans of Great Britain during his second round Men's Singles match on Day Four of the 2016 US Open at the USTA Billie Jean King National Tennis Center on September 1, 201...

Dirk Hordorff (60) ist der für den Leistungssport zuständige Vizepräsident des Deutschen Tennis Bund. Hordorff gilt als erfahrener Kenner der deutschen und internationalen Tennisszene, er war u.a. langjähriger Manager und Coach von Weltklassemann Rainer Schüttler. Er ist auch Präsidiumsmitglied der globalen Profitrainer-Vereinigung GPTCA.

Herr Hordorff,nach vielen Jahren findet endlich wieder ein Davis-Cup-Match in Berlin statt.Doch im Vorfeld wird die Partie von Querelen und Absagen überschattet.

Dirk Hordorff: Also, die Befürchtung, wir würden dort mit einer B-Auswahl antreten, ist unbegründet.Philipp Kohlschreiber,die deutsche Nummer eins, ist nominiert. Er brennt darauf, für Deutschland zu spielen. Und wir hoffen, dass er bis zum ersten Spieltag in Berlin auch fit und einsatzbereit ist. AuchFlorian Mayerhat sich bereit erklärt, in Berlin anzutreten. Hinzu kommt u.a. ein wiedererstarkterJan-Lennard Struff,das ist also ein absolut schlagkräftiges Davis-Cup-Team.

Kohlschreiber galt in der Vergangenheit eher als Problemfall im Davis Cup. Nun ist er im Team von Kohlmann die tragende Säule. Wie beurteilen Sie seine Rolle?

Hordorff: Er ist für mich ein Musterprofi, der den Nachwuchsspielern als Vorbild dienen kann. Beim Davis Cup und auch in Rio habe ich aus nächster Nähe gesehen, mit welch professioneller Einstellung er arbeitet. Er ist hochmotiviert für seine Einsätze in der Nationalmannschaft, wirkt auch teambildend.

Kohlschreiber und Mayer kommen, abseits dieses Davis-Cup-Termins, langsam ans Ende ihrer Karriere. In der Gruppe der 20-30-Jährigen, die bald das Gerüst des Teams bilden müssten, klafft aber eine große Lücke.

Hordorff: Wir haben da wirklich große Personalsorgen. Klar gesagt: Es gibt nicht genügend gute Spieler. Wir haben Kohlschreiber, Mayer, Benjamin Becker, die alle über 30 Jahre alt sind. Aber zwischen 20 und 30 Jahren gibt es nur Struff. Das ist für einen Verband wie den DTB viel zu wenig. Ich habe jahrelang die Nachwuchsarbeit kritisiert und das Problem vorhergesagt. Der Bundesausschuss und das Präsidium des DTB sind fest entschlossen, hier für die Zukunft neue Wege zu gehen.

Was versteckt sich hinter diesem Begriff der neuen Wege?

Hordorff: Wir haben seit 18 Monaten grundlegende Strukturänderungen in der Jugend- und Leistungssportförderung umgesetzt, die auch mit dem DOSB erarbeitet wurden. Zwei Stichpunkte dazu: Die Stärkung der Bundesstützpunkte. Und die bessere Zuordnung und Förderung der besten Talente. Gerade haben wir in Zusammenarbeit mit den Landesverbänden eine Strukturreform verabschiedet,  die die Nachwuchsarbeit und Zusammenarbeit des DTB mit den Verbänden auf neue Grundlagen stellen wird.

Eine andere Personalie:Alexander Zverev.Der DTB fördert ihn nach besten Möglichkeiten. Jetzt aber hat er Fans und den Verband zwei Mal vor den Kopf gestoßen – mit den Absagen für Rio undnun auch für das Davis-Cup-Match.Wie ist die Position des DTB dazu?

Dirk Hordorff: Sicher wäre es dem DTB lieber, wenn Alexander nach seinem gelungenen Davis-Cup-Debüt von Hannover auch in Berlin zur Verfügung gestanden hätte. Aber die Gesundheit des Athleten hat Vorrang, und im Falle von Alexander kann ich seine Argumente bezüglich des Platzwechsels auf Sand und auch die damit verbundene Absage für Berlin verstehen. Ich habe mich in New York lange mit seinem Vater und Trainer sowie mit seinem Konditionstrainer unterhalten - und merkte, dass sich alle im Team Zverev die Entscheidung gegen den Davis Cup nicht leicht gemacht haben.

Zverev selbst behauptete aber, vom DTB habe niemand mit ihm über den Davis Cup geredet, bis hinein in die US Open. Das hat Teamchef Kohlmann wenig amüsiert.

Hordorff: Das war nicht richtig formuliert. Ich denke, das ist Sascha auch selbst bewusst geworden.

Wird es Einschränkungen bei der Förderung Zverevs geben?

Hordorff: Diese Frage steht nicht zur Diskussion und führt auch nicht in die richtige Richtung. Viel wichtiger ist für mich die Erkenntnis, dass Alexander in der Zukunft fest plant, dem DTB und dem deutschen Tennis zu helfen und Teil des Davis-Cup Teams zu sein. Zverev und seine Familie haben sich jahrelang selbst finanziert, er hat nicht die großen Fördermittel bekommen, die er in vielen Ländern bekommen hätte. Er hat auch nie Geldforderungen an den DTB gestellt. Man sollte ihn hier nicht in ein falsches Licht stellen.

DTB-Pressesprecher Hans-Jürgen Pohmann, selbst jahrelang Davis-Cup-Spieler, wirft dem Management von Zverev vor, jeden Respekt vor dem Sport vermissen zu lassen.Ein unterklassiges Turnier in St. Petersburg genieße höhere Priorität als ein Länderspiel daheim.

Hordorff: Sascha ist ein toller junger Spieler mit viel Perspektive. Er wird noch viele Partien für Deutschland spielen, diese gegen Polen nun aber nicht. Er hat ja nicht abgesagt, weil er ein anderes Turnier spielen will, sondern weil insbesondere sein Fitnesscoach in der jetzigen Situation Sorgen um die langfristige Entwicklung von Sascha hat. Das muss man akzeptieren und respektieren.

Es bleibt aber die Frage, warum diese körperliche Auszeit nur den Davis Cup betrifft.

Hordorff: Das haben die Personen entschieden, die genau wissen, wie es um seine körperliche Konstitution bestellt ist. Ich weiß genau, dass Sascha nichts lieber täte, als nun für Deutschland zu spielen. Aber es ist halt auch eine Vorbeugemaßnahme. Körperlich ist er diese Saison schon ans Limit geraten.

Im Vorfeld der Partie wurde auch moniert,der DTB habe sich über die Köpfe der Spieler hinweg für einen Sandplatz entschieden.

Hordorff: Die Spieler können natürlich Wünsche äußern, was Bälle und Platzwahl betrifft. Kapitän Kohlmann war da in regelmäßiger Kommunikation mit den Mitgliedern des Teams. Aber letztlich muss der DTB entscheiden, wo und auf welchem Belag und wie überhaupt eine Davis-Cup-Partie veranstaltet wird. So haben wir es immer gehandhabt. Und so wird es auch in Zukunft sein. Darüber gab es im Übrigen auch keinen Disput mit Sascha Zverev oder seinem Vater.

Teamchef Michael Kohlmann sprach in New York davon, es werde Beratungen mit dem DTB-Präsidium über Konsequenzen aus den diversen Absagen geben.

Hordorff: Der DTB hat in der Tat darüber zu befinden, wie die Absagen einzelner Spieler zu bewerten sind. Jeder Spieler hat aus meiner Sicht das Recht, Davis Cup zu spielen oder nicht. Ich will da gar keine moralischen Verpflichtungen auferlegen. Aber Teil eines Davis-Cup-Teams zu sein heißt, nicht Rosinenpickerei zu betreiben. Entweder verpflichtet man sich für das Team - oder man sollte auch nicht zum Team dazugehören.

Ist das jetzt Ihre Einzelmeinung als Mann, der für den Leistungssport im Präsidium verantwortlich ist, oder ist das schon ein Standpunkt des gesamten Präsidiums?

Hordorff: Meine Position habe ich mit dem Präsidenten des DTB, Ulrich Klaus, und dem Davis-Cup Kapitän Michael Kohlmann in New York besprochen. Ich werde dem Präsidium des DTB und dem Bundesausschuss des DTB in Berlin vorschlagen, dass Spieler, die Challenger-Turniere oder andere Events dem Davis Cup vorziehen, in der laufenden und kommenden Saison nicht Teil des Davis-Cup-Teams sein werden. Wir werden die ATP-Turnierdirektoren in Deutschland bitten, dieses auch bei ihren Wildcard-Vergaben zu berücksichtigen. Im Gegenzug wünschen wir uns, dass etwa Spieler wie Florian Mayer oder Benni Becker, die jederzeit bereit sind, für das Davis-Cup-Team zu spielen, bei dieser Wildcard-Thematik besser gewürdigt werden.

Das klingt jetzt aber ein wenig so, als mache man die Strafwürdigkeit des Verhaltens von der Wichtigkeit eines Spielers abhängig. Toleranz bei Zverev, Härte an anderer Stelle.

Hordorff: Ich bewerte die Vorgänge einfach komplett unterschiedlich. Sonst stecken da keine tieferen Geheimnisse dahinter.

Der Vertrag von Teamchef Kohlmann läuft zum Jahresende aus. Will und wird der DTB verlängern?

Hordorff: Ich habe immer gesagt, dass man sich am Ende eines Jahres zusammensetzt und dann über die neue Saison redet. Jetzt plädiere ich aber für eine Ausnahme, um ein Zeichen zu setzen. Ich werde dem Präsidium des DTB in der nächsten Sitzung vor dem Davis Cup in Berlin vorschlagen, den Vertrag von Michael Kohlmann als Davis-Cup Kapitän um ein Jahr zu verlängern, unabhängig vom Ergebnis gegen Polen. Er hat nicht nur in der Vorbereitung auf dieses Spiel gegen Polen, sondern überhaupt als Teamchef einen sehr guten Job gemacht. Wir haben als Präsidium, finde ich, allen Grund, ihm den Rücken zu stärken.

Das Gespräch führte Jörg Allmeroth.

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Dienstag
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