Die Kronprinzessinnen der WTA-Tour

tennisnet.com stellt in einer Top-Ten-Liste die erfolgreichsten Spielerinnen vor, die den Sprung auf den Weltranglisten-Thron knapp verpassten.

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 06.04.2016, 09:10 Uhr

Von Christian Albrecht Barschel

Am 3. November 1975 begann eine neue Zeitrechnung im Damentennis. Mit der Einführung der Computer-Weltrangliste wurde Woche für Woche bestimmt, welche Spielerin denn die Beste im Tenniszirkus ist. Bis zum heutigen Zeitpunkt gelang es 21 Damen, die Spitzenposition zu erobern. Doch es gab auch Spielerinnen, die kurz vor der Besteigung des Tennisthrons scheiterten. tennisnet.com stellt die Kronprinzessinnen zehn erfolgreiche Spielerinnen, die nie die Nummer eins wurden im Damentennis in einer Top-Ten-Liste vor. Aktive Spielerinnen, die noch die Chance haben, die Nummer eins zu werden, sind von dieser Liste ausgeschlossen. Dazu gehören die zweimaligen Grand-Slam-Siegerinnen Svetlana Kuznetsova und Petra Kvitova, aber auch Agnieszka Radwanska.

Platz 10: Andrea Jaeger

Andrea Jaeger galt in den Achtzigern als neues Wunderkind im Tennis. Sie sollte ihren US-amerikanischen Landsfrauen Martina Navratilova und Chris Evert Paroli bieten und diese im Laufe der Jahre als Vorzeigespielerin ablösen. Mit 15 Jahren gehörte Jaeger bereits zur Weltspitze und gewann vier ihrer insgesamt acht Turniersiege in diesem Alter. 1980 war sie die jüngste Halbfinalistin in der Geschichte der US Open. Zu einem Grand-Slam-Sieg reichte es jedoch nicht. Zweimal (French Open 1982, Wimbledon 1983) stand Jaeger im Endspiel, zweimal verlor sie gegen Navratilova. Auch mit dem Erreichen der Weltranglisten-Spitze klappt es nicht bei Jaeger, die bereits im Alter von 19 Jahren ihre Karriere wegen chronischen Schulterschmerzen beenden musste.

Jaeger, die es bis auf Platz zwei schaffte, gab später zu, dass sie Matches absichtlich verlor, um nicht die Nummer eins zu werden. Ein weiterer Grund für die kurze Karriere der US-Amerikanerin liegt wahrscheinlich im Verhalten ihres deutschstämmigen Vaters Roland, der sie von Kindesbeinen an trainierte und sie zu Höchstleistungen antrieb. "Oh Gott, hoffentlich muss keiner das durchmachen, was ich erlebt habe. Mit 13 Jahren an war er nur noch mein Trainer, nicht mehr mein Vater", erklärte Jaeger. Sie spielte in jungen Jahren ohne Pause, bis die Schulter nicht mehr mitmachte. Auch sieben Schulteroperationen konnten das Karriereende nicht mehr verhindern.

Nach ihrer Tenniskarriere machte Jaeger vor allem mit ihrer sozialen Ader von sich reden. Sie studierte Theologie, gründete eine Stiftung für Krebskranke und wurde 2006 zur Schwester Andrea, eine Nonne der anglikanisch-dominikanischen Kirche. Auf ihre Tenniskarriere blickte sie etwas wehmütig zurück. "Ich glaube nicht, dass ich mein Potential je erreicht habe", sagte Jaeger, die auch einen Ratschlag für Tenniseltern hat: "Ich würde mein Kind nicht mit 14 Jahren Profi werden lassen. Ich kann die Jahre nicht ersetzen, als ich 13 oder 14 war."

Platz 9: Vera Zvonareva

Vera Zvonareva blieb nicht nur ein Grand-Slam-Titel verwehrt, sondern auch die Nummer eins der Weltrangliste. 2010 war Zvonarevas stärkste Saison. Sie erreichte die Finals in Wimbledon und bei den US Open und spielte sich bis auf Platz zwei vor. Das große Talent von Zvonareva war schon früh zu erkennen. Bereits mit 19 Jahren stand sie erstmalig in den Top Ten, doch immer wieder verhinderte ihre mentale Verfassung noch bessere Ergebnisse.

Denn in früheren Jahren war die Russin ein Energiebündel auf den Platz, verlor ständig die Nerven und schnell die Geduld. Immer wieder gab es Tränen bei Zvonareva, die ihre Emotionen im Laufe der Jahre aber immer besser in den Griff bekam. Zwischen 2008 und 2011 war sie konstante Top-Ten-Spielerin. Vielleicht haben zur Beruhigung auch ihre Rituale geholfen. Zvonareva läuft immer mit ihrem MP3-Player auf den Platz, spielt sich bei noch so heißem Wetter immer in langer Spielkleidung ein und vergräbt ihr Gesicht in den Spielpausen unter ihrem Handtuch.

Doch einiges von ihrem mental anfälligen Gemüt war geblieben. Zvonareva verlor meist die wichtigen Spiele in ihrer Karriere. So hat die Russin mit 12:18 eine klare Negativbilanz in Endspielen. Neben den zwei Pleiten bei Grand-Slam-Finals verlor sie auch das Doppelfinale in Wimbledon 2010 und konnte nur eines ihrer sieben Premier-Finals auf der WTA-Tour gewinnen. Oft kam aber auch Pech hinzu. So geschehen bei einem Match gegen Angstgegnerin Samantha Stosur, als ihr neunmal die Saite riss und sie zwischenzeitlich mit dem Schläger von ihrem Trainer spielen musste. 2012 begann die Leidenszeit von Zvonareva, die wegen Krankheit und einer Schulterverletzung kaum noch Turniere spielen konnte. Seit April 2015 hat sie kein Match mehr bestritten. Die Karriere von Zvonareva scheint beendet.

Platz 8: Elena Dementieva

Auf Platz acht ist mit Elena Dementieva eine weitere Russin. Dementieva ist zum Ende der Saison 2010 zurückgetreten, mittlerweile glücklich verheiratet und Mutter einer Tochter. Dementieva war über ein Jahrzehnt lang eine der konstantesten Spielerinnen auf der WTA-Tour. Am 11. September 2000 wurde die sympathische Blondine erstmalig in den Top 20 geführt. Dort blieb sie bis zu ihrem Karriereende in den folgenden 524 von 529 möglichen Wochen. Insgesamt 328 Wochen verbrachte sie innerhalb der Top Ten. Umso beeindruckender ist es, dass es Dementieva trotz dieser starken Statistik nur bis auf Platz drei in der Weltrangliste schaffte.

Dementieva brachte fast alle Voraussetzungen mit, um die Nummer eins zu werden. Ihrer überragenden Fitness und ihren exzellenten Grundschlägen standen aber ihr teilweise unterklassiger zweiter Aufschlag und ihre labile Psyche gegenüber, der die wirklich großen Titel verhinderte. Letztendlich reichte es für Dementieva "nur" zu 16 Turniersiegen. Zweimal stand sie in einem Grand-Slam-Finale. Bei den French Open 2004 und den US Open 2004 ging sie jeweils als Favoritin ins Spiel und verlor dennoch gegen ihre Landsfrauen Anastasia Myskina und Svetlana Kuznetsova. Im Finale gegen Myskina leistete sie sich in der kurzen Zeit sogar zehn Doppelfehler und 33 unerzwungene Fehler.

Sieben weitere Male stand Dementieva im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers, zehnmal nahm sie an der WTA-Weltmeisterschaft teil. Der größte Triumph von Dementieva bleibt zweifelsohne der Gewinn der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking. Schon bei Olympia 2000 in Sydney hatte sie die Silbermedaille gewonnen. Nach ihrem letzten Gruppenmatch beim WTA-Masters 2010 verkündete Dementieva überraschend ihren Rücktritt vom Tennissport. "Ich möchte auch bald eine Familie haben. Ich denke, ich habe den idealen Zeitpunkt für einen Rückzug erwischt. Man soll nicht gehen, wenn die Leute den Kopf über einen schütteln", begründete die bei ihren Kolleginnen sehr beliebte Dementieva.

Platz 7: Na Li

Na Li ist die mit Abstand erfolgreichste Spielerin aus Asien, die es bislang gegeben hat. Die Karriere der Chinesin kam jedoch erst spät auf Touren. Mit 22 Jahren gewann sie ihren ersten WTA-Titel beim Heimturnier in Guangzhou. Bis zum Jahr 2011 spielte Na Li zwar in der erweiterten Weltspitze mit, doch mit dem ganz großen Durchbruch klappte es erst im Alter von Ende 20. Bei den Australian Open 2011 erreichte die Chinesin das Finale und verlor dort gegen Kim Clijsters. Vier Monate später folgte der Triumph bei den French Open. Na Li wurde damit die erste asiatische Grand-Slam-Siegerin im Einzel.

Na Li war fortan fester Bestandteil der absoluten Weltspitze. Bei den Australian Open 2013 verhinderte eine Knöchelverletzung im Finale gegen Victoria Azarenka wahrscheinlich ihren zweiten Grand-Slam-Titel. Ein Jahr später strahlte die Chinesin dann als Siegerin, als sie in der dritten Runde gegen Lucie Safarova zunächst einen Matchball abwehren konnte und eine Woche später das Endspiel gegen Dominika Cibulkova gewann. Kurz nach ihrem Australian-Open-Sieg, dem neunten und letzten Titel ihrer Karriere, war Na Li die Nummer zwei der Welt. Eine Verletzung am Knie verhinderte jedoch, dass sie bei ihrem Angriff auf die Nummer eins durchstarten konnte. Am 19. September 2014 gab sie ihren sofortigen Rücktritt vom Tennissport bekannt und wurde kurz darauf schwanger. Am 3. Juni 2015, exakt vier Jahre nach ihrem French-Open-Sieg, wurde Na Li Mutter einer Tochter.

Platz 6: Gabriela Sabatini

Gabriela Sabatini ist bis heute die erfolgreichste Spielerin, die Argentinien hervorgebracht hat. Mit 15 Jahren stand Sabatini bereits in den Top Ten und blieb dort nahezu durchgängig, bis 1996 im frühen Alter von 26 Jahren ihre Karriere zu Ende war. Trotz ihrer 27 Turniersiege reicht es nur bis auf Platz drei in der Weltrangliste. Stets stand Sabatini im Schatten von Steffi Graf, mit der sie sich 40 Mal duellierte. Zwar konnte die Argentinierin elfmal gegen die "Gräfin" gewinnen, in vielen wichtigen Matches blieb ihr aber das Nachsehen. So auch 1988, als sie als Endspiel-Gegnerin bei den Olympischen Spielen und bei den US Open den einzigartigen Golden Slam (Sieg bei allen vier Grand Slams und Olympia) von Graf nicht verhindern konnte. Auch im Wimbledon-Finale 1991 musste sie sich der Deutschen beugen. Ein ganz großer Triumph gelang Sabatini aber trotzdem gegen Graf. Bei den US Open 1990 gewann sie ihr einziges Grand-Slam-Turnier im Finale gegen ihre ewige Rivalin.

Dazu triumphierte sie zweimal beim WTA-Masters in New York und war dort auch Protagonistin im ersten Fünfsatz-Match im Damentennis. Sabatini unterlag aber im WM-Finale 1990 gegen Monica Seles. Zum Ende der Saison 1996 gab sie dann recht frühzeitig mit 26 Jahren ihr Karriereende bekannt. "Während der letzten Jahre meiner Karriere habe ich gelitten, und wie ich gelitten habe. Ich wachte morgens auf und dachte, ‚Oh, du musst heute trainieren und du hast gar keine Lust darauf'. Ich fühlte mich schrecklich, wusste aber nicht, was falsch mit mir ist. Ich suchte einen Sportpsychologen auf, der mir sagte: ‚Du gehst entweder in diese Richtung, Tennis, oder in die andere Richtung, zu einem neuen Leben. Es liegt an dir.' Und ich bemerkte dann, dass ich die andere Richtung gehen will, weg vom Tennis, das ich begann zu hassen", erklärte sie diesen Schritt.

Bis heute gilt Sabatini als ein Sexsymbol im Damentennis. Sie war die Vorgängerin von Anna Kournikova und scharte viele männliche Bewunderer um sich. Ihr variantenreiches Spiel mit viel Topspin auf beiden Seiten mischte sie mit leichten Stöhnern bei der Ausführung ihrer Schläge. "Göttliche Argentinierin" und "die Perle von den Pampas" waren zwei ihrer klangvollen Beinamen. Sabatini war ihrer Wirkung auf die Männerwelt stets bewusst. "Ich bevorzuge es, für meine Schönheit und andere Qualitäten Wertschätzung zu erfahren, als nur als Tennis-Champion gesehen zu werden", äußerte sie sich in jungen Jahren selbstbewusst. Bis heute ist der Name Gabriela Sabatini nicht nur eingefleischten Tennisfans geläufig. Die Argentinierin ist seither erfolgreiche Geschäftsfrau, macht Werbung für ihre gleichnamige Parfümserie und ist daher nicht nur in aller Munde, sondern auch in so mancher Nase.

Platz 5: Jana Novotna

Jana Novotna war lange Zeit die beste Spielerin, die nie ein Grand-Slam-Turnier gewinnen konnte. Stets versagten der Tschechin, wenn es darauf ankam, die Nerven. So geschehen beim Wimbledon-Finale 1993 gegen Steffi Graf, als sie eine klare Führung aus der Hand gab und später von der Herzogin von Kent getröstet werden musste. Auch vier Jahre später vergab Novotna ihre Chance auf den Wimbledon-Sieg und unterlag Martina Hingis trotz guter Aussichten. Unvergessen ist auch ihr Drittrunden-Aus bei den French Open 1995. Die Tschechin führte gegen Chanda Rubin im dritten Satz mit 5:0, 40:0, hatte neun Matchbälle und verlor trotzdem.

Doch die große Stunde von der Serve-and-Volley-Spezialistin, die fast nur die Abteilung Attacke kannte, sollte noch kommen. Novotna hatte 1997 und 1998 ihre besten Jahre, wurde Weltmeisterin und war für einige Wochen die Nummer zwei der Welt. Beim Wimbledon-Turnier 1998 klappte es dann endlich mit dem lang ersehnten Wimbledon-Titel. "Das ist ein bestimmter Traum, der für mich wahr geworden ist. Es ist sehr wichtig, dass man immer an sich selbst glaubt und einen Traum hat. Das ist, worauf ich so lange gewartet und hingearbeitet habe", war Novotna nach dem Finalsieg über Nathalie Tauziat überglücklich.

Platz 4: Virginia Wade

Virginia Wade war die letzte herausragende Spielerin aus Großbritannien. Seitdem herrscht Ebbe im Traditionsland des Tennissports - zumindest im Damentennis. Wade hatte ihre beste Zeit vor Einführung der Weltrangliste, als sie die Titel bei den US Open 1968 und bei den Australian Open 1972 einheimste. Doch der wichtigste ihrer 55 Turniersiege war eindeutig ihr Triumph in Wimbledon - und das zu einem ganz speziellen Datum. Wade triumphierte bei ihrem 17. Antreten ausgerechnet beim 100. Geburtstag der All England Championships. Seitdem konnte keine britische Spielerin mehr in Wimbledon sowie bei einem anderen Grand-Slam-Turnier gewinnen.

Für Wade kam als Sahnehäubchen noch dazu, dass ihr die Siegestrophäe von Queen Elizabeth II., die im gleichen Jahr silberne Regentschaft (25 Jahre) feierte, überreicht wurde. Das begeisterte Publikum stimmte daraufhin das Lied "For She's a Jolly Good Fellow" für Wade, die ein paar Tage später 32 Jahre alt wurde, an. Die Queen ließ sich danach 33 Jahre lang nicht mehr in Wimbledon blicken, ehe sie 2010 Andy Murray und dem "Heiligen Rasen" wieder einen Besuch abstattete. Für "Ginny", wie Wade genannt wurde, reichte es aber trotz des großen Sieges nicht zur Nummer eins. Sie musste sich nach Einführung der Weltrangliste mit Platz zwei begnügen.

Und auch über die Welt im Damentennis hat sich die Britin so ihre Gedanken gemacht. "Spricht man über psychologische Kriegsführung, hat man diese nicht richtig gesehen, solange man sich nicht bei einigen Damenturnieren umgibt", plauderte Wade aus dem Nähkästchen. "Es tut den Mädchen nicht gut, wenn sie ständig aufeinander hocken. Sie werden sterilisiert, eine schreckliche Sache. Es passiert schnell, dass man nicht darauf achtet, wie man aussieht. So gehen schnell die guten Dinge eines Geschlechts verloren", klagte Wade in den Siebzigern über ihre Generation. In der heutigen Zeit hat sich diese Situation im Damentennis grundlegend geändert. Es wird mehr denn je auf das Äußere geachtet.

Platz 3: Mary Pierce

Die gebürtige Kanadierin Mary Pierce hätte als Tochter eines US-Amerikaners und einer Französin für drei Nationen spielen können. Sie entschied sich für Frankreich, das sie in der Jugend mehr förderte. Die Erfolge von Pierce ereigneten sich in mehreren Etappen. Nach ihrem Einstieg in die WTA-Tour mit 14 Jahren ging es für die Französin Schritt für Schritt nach oben. Mit ihrem ersten Grand-Slam-Sieg bei den Australian Open 1995 kletterte sie bis auf Platz drei in der Weltrangliste. Nach einem enttäuschenden Jahr 1996 fiel Pierce in der Weltrangliste wieder zurück, konnte ihre Leistungen aber wieder stabilisieren. Bei den French Open 2000 machte sie ihre Landsleute stolz, die sich so sehr nach einer einheimischen Siegerin sehnten.

Pierce gewann ihr zweites Grand-Slam-Turnier und wurde die erste französische Titelträgerin in Paris nach 33 Jahren. Doch der Titel brachte auch Schwierigkeiten mit sich. Die Französin litt an Rücken- und Schulterschmerzen, konnte eineinhalb Jahre lang nur sporadisch spielen und fiel in der Weltrangliste erneut zurück. Mit eisernem Willen kämpfte sie sich aber wieder in die Weltspitze zurück und erreichte 2005 die Finals bei den French Open und US Open, die sie aber deutlich verlor. Pierce' Karriere endete völlig abrupt. Sie knickte 2006 beim Turnier in Linz im Match gegen Vera Zvonareva beim Stand von 6:4, 6:5 um und zog sich einen Kreuzbandriss im linken Knie zu. Zuvor hätte sie sogar mit drei Matchbällen die Partie beenden können.

Pierce konnte sich von der Verletzung nicht mehr erholen und kehrte nicht mehr auf die WTA-Tour zurück. Trotz ihrer sechs Grand-Slam-Finals - neben den vier bereits erwähnten erreichte sie zudem die Endspiele bei den French Open 1994 und Australian Open 1997 - sprang nur Rang drei als beste Platzierung heraus. "Ich kann mein schlimmster Feind und mein bester Freund sein. Gewöhnlicherweise bin ich mein schlimmster Feind. Ich denke selten an meine guten Qualitäten. Ich muss mich manchmal bremsen und mir anschauen, was ich im Tennis und im Leben erreicht habe", sagte Pierce in ihrer Blütezeit.

Abseits des Platzes machte Pierce vor allem mit der gestörten Beziehung zu ihrem Vater Schlagzeilen. Jim Pierce, der vor der Geburt von Mary bereits einige Jahre wegen Raubüberfalls im Gefängnis saß, wollte seine Tochter mit allen Mitteln zum nächsten Tennisstar machen. Er misshandelte und bedrohte sie. "Er hat mich geohrfeigt, wenn ich ein Match verloren habe, manchmal auch, wenn ich schlecht trainiert habe", gab die Französin an. "Kill the bitch, Mary", so brüllte Jim Pierce seine Tochter bei Juniorenturnieren immer wieder an. Mit 18 Jahren wurde es Mary und ihrer Familie zu bunt. Sie verließen den Vater, erwirkten eine einstweilige Verfügung und nahmen sich Leibwächter.

Doch auch dies hielt den Vater nicht zurück. Beim Turnier 1993 in Rom stieg er seiner Familie hinterher und bedrohte einen Leibwächter mit einem Messer. "Ich habe den Ferrari gebaut, nun will ich meine Schlüssel zurück", fauchte der gewalttätige Vater. Ende 1996 verklagte Pierce seine Tochter auf die angeblich versprochenen 25 Prozent ihrer Einnahmen - mehr als drei Millionen US-Dollar. Es wurde berichtet, dass Mary ihrem Vater 500.000 US-Dollar zahlte, einerseits um die Sache ruhen zu lassen, andererseits weil es ihm zustehe, wie sie angab. Bereits nach ihrem Sieg bei den Australian Open 1995 erklärte Pierce, dass auch ihr Vater Verdienst an ihrem Sieg hat. "Ich war es gewohnt, den ganzen Tag zu trainieren, bis die Sonne unterging. Mein Vater hat mich sehr gedrängt. Ich habe wahrscheinlich in acht Jahren die Arbeit von 15 Jahren gemacht. Aber ich bereue es nicht."

Platz 2: Conchita Martinez

Conchita Martinez stand über weite Strecken in ihrer Karriere im Schatten von ihrer Landsfrau Arantxa Sanchez Vicario. Trotz ihrer 55 Finals, von denen sie 33 siegreich gestaltete, blieb die Nummer eins immer nur ein Traum für Martinez. Die Spanierin stand 1995 und 1996 einige Zeit auf Platz zwei, biss sich aber an Steffi Graf die Zähne aus. Den größten Erfolg feierte die Sandplatz-Spezialistin ausgerechnet in Wimbledon, bei dem Turnier, das sie in den ersten Profijahren gemieden hatte. "Es war komplett anders zu allen anderen Turnieren, die ich zuvor gespielt habe. Manchmal reist man mit einer schlechten Einstellung an. Aber solange du das nicht änderst, wirst du dort nicht gut spielen."

Martinez gewann bei ihrer dritten Teilnahme 1994 als bislang einzige Spanierin das Wimbledon-Turnier - im Finale gegen die Rasenkönigin Martina Navratilova. "Mir kommt in den Sinn, wie ich den letzten Punkt gewonnen habe und die Trophäe hochstemmte. Das waren meine besten Erinnerungen. Es war auch sehr besonders, Lady Di und Prinz Edward später im Tunnel getroffen zu haben", blickte Martinez zurück. Die Spanierin kämpfte danach auch mit den hohen Erwartungen der Presse. "Leute erwarten, dass du in jedem Turnier gut spielst. Ich habe gelernt, dass man bei Turnieren nicht die Zeitungen lesen sollte, weil einige Kommentare dich beeinflussen könnten, obwohl diese nicht stimmen."

Martinez erreichte bei Grand Slams zwei weitere Finals (Australian Open 1998 und French Open 2000) sowie neunmal das Halbfinale. Doch ein weiterer großer Titel blieb ihr nicht vergönnt. Stattdessen avancierte sie zu einer der besten Fed-Cup-Spielerinnen aller Zeiten. Insgesamt zehnmal stand Martinez mit Spanien im Endspiel, fünfmal gewann sie den Fed Cup. Für die heutige Spielergeneration gibt sie auch den passenden Rat mit auf den Weg. "Was du brauchst, ist, dass du dich auf deine Karriere konzentrierst. Fokussiere dich darauf, deinen Job zu machen und das Bestmögliche herauszuholen, um als Spielerin und als Mensch zu wachsen. Achte nicht darauf, was andere Leute denken oder sagen werden. Manchmal ist das schwer, weil du Dinge liest und Leute immer eine eigene Meinung haben. Aber das ist, was ich anderen empfehle - auf sich selbst konzentrieren." Martinez ist derzeit als Kapitänin des spanischen Davis-Cup-Teams aktiv.

Platz 1: Hana Mandlikova

Vier Grand-Slam-Siege, vier weitere Endspiel-Teilnahmen bei den "Majors", insgesamt 27 Karriere-Titel - und doch nie die Nummer eins oder zwei der Weltrangliste gewesen. Gibt es nicht? Doch, das gibt es! Und zwar in Form von Hana Mandlikova. Die beste Weltranglisten-Platzierung der gebürtigen Tschechoslowakin war trotz der herausragenden Erfolge nur die Nummer drei. In den Achtzigern biss sie sich an Martina Navratilova und Chris Evert immer wieder die Zähne aus. Damit trägt Mandlikova den Titel der absoluten Kronprinzessin völlig zu Recht. Bei Mandlikova lagen Genie und Wahnsinn dicht beieinander. Die Tschechin kannte nur eine Devise: so schnell wie möglich ans Netz und attackieren.

"Hana konnte ein Niveau entwickeln, das über dem von allen anderen hinausging - unerklärliche Tiefen genauso. Sie hatte eine unglaubliche Bandbreite an Schlagmöglichkeiten, aber auch Schwierigkeiten, ihr Bestes zu halten. Wahrscheinlich weil sie nicht widerstehen konnte, die spektakulärsten Schläge zu spielen", sagte Billie Jean King über Mandlikova. Ihr großes Vorbild war ihre damalige Landsfrau Navratilova. "Als ich zwölf Jahre alt war, bin ich Ballmädchen für Martina gewesen. Sie war die Motivation für mich. Wir spielten in der gleichen Art und Weise, und ich wollte gut genug sein, um sie eines Tages zu schlagen."

Und das tat sie dann auch. Obwohl die Bilanz mit 30:7 klar für Navratilova spricht, konnte Mandlikova vier von zehn Grand-Slam-Spielen gegen ihr großes Vorbild gewinnen. Nachdem sie bereits die Titel bei den Australian Open 1980 und bei den French Open 1981 gewonnen hatte, setzte sie sich bei den Endspielen bei den US Open 1985 und den Australian Open 1987 jeweils gegen Navratilova durch. Bei ihrem US-Open-Sieg vollbrachte sie das Kunststück, mit Evert und Navratilova die Nummer zwei und eins hintereinander zu schlagen. Ihr zweiter Titelgewinn in Melbourne bedeutete auch zeitgleich das Ende der 58 Spiele umfassenden Siegesserie von Navratilova.

Mit dem Wimbledon-Sieg hat es aber nicht geklappt für Mandlikova, die zweimal im Endspiel unterlegen war. Außerdem gingen zwei Finals in New York verloren. Die dreifache Fed-Cup-Siegerin beendete bereits mit 28 Jahren ihre Karriere und war anschließend über zehn Jahre lang die Trainerin von Jana Novotna. Zudem coachte sie in den Neunzigern auch für drei Jahre die tschechische Fed-Cup-Mannschaft. Ihre Motivation zum Tennisspielen resultiert auch zum Teil aus dem gewaltsamen Niederschlag des Prager Frühlings im Jahr 1968. "Es waren schreckliche Momente, als die sowjetischen Panzer 1968 nach Prag kamen. Ich war sechs, habe es aber trotzdem begriffen. Es war nicht sehr schön zu sehen, dass man in mein Land einmarschierte. Aber die politischen Zustände waren Motivation für mich und andere, sich so zu verbessern, dass man gut genug war, um ins Ausland zu reisen", berichtete Mandlikova .

von Christian Albrecht Barschel

Mittwoch
06.04.2016, 09:10 Uhr