Laura Siegemund - Lokalmatadorin ohne Furcht vor großen Siegen

Der Einzug in das Finale in Stuttgart muss noch nicht das Ende für den Run von Laura Siegemund sein.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 23.04.2016, 00:00 Uhr

STUTTGART, GERMANY - APRIL 23: Laura Siegemund of Germany celebrates match point in her semi final match against Agnieszka Radwanska of Poland during Day 6 of the Porsche Tennis Grand Prix at Porsche-Arena on April 23, 2016 in Stuttgart, Germany. (...

Heinz Günthardt, der Zeremonienmeister auf dem Stuttgarter Centre Court, sprach es nach diesem verrückten Match sofort an. Das Gefühl, das alle in der Porsche Arena an diesem Samstagabend hatten - das Gefühl, dass diese unheimliche Laura Siegemund doch irgendwann und irgendwie Angst vorm Siegen hätte bekommen müssen. Die Furcht des Außenseiters vor den letzten, alles entscheidenden Punkten, in diesem Fall gegen die Nummer zwei der Welt, Agnieszka Radwanska aus Polen. Laura Siegemund aber, die frischgebackene Porsche-Grand-Prix-Finalistin nach einem makellosen 6:4, 6:2-Sieg gegen Radwanska, lächelte auch in diesem Moment ganz gelassen, die Sensationsdarstellerin dieser Woche, vielleicht sogar des ganzen Tennisjahres. Also sprach sie zu Günthardt, dem ehemaligen Profi und Schweizer Fed Cup-Coach: "Manchmal ist es gut, dass man gar nicht mehr denkt. In den Automatik-Modus schaltet. Den Bauch entscheiden läßt, die Intuition. Das ist besser als jeder große Plan."

Worauf Siegemund den letzten rauschenden Applaus an diesem Abend erhielt, an einem Abend, der in die Geschichte dieses Turniers aus vielerlei Gründen eingehen wird. Zuerst, weil es noch selten eine Außenseiterin und Lokalmatadorin in Stuttgart gegeben hat, die sich Tag um Tag, Spiel um Spiel derart erfrischend in die Herzen der Fans gespielt hat - von der Qualifikation nun bis hinein ins Endspiel. Dann aber auch, weil es noch nie in der Turniergeschichte ein deutsches Endspiel gegeben hat, auch nicht in den 80er und 90er Jahren, den Jahren mit Steffi Graf und Anke Huber und deren Generationsgefährtinnen. Nun also lautet, wer hätte es jemals für möglich gehalten, das Finale des Jahres 2016: Grand Slam-KöniginAngelique Kerber gegen Heimspielerin Laura Siegemund. Frontfrau des DTB gegen das ehemalige Wunderkind. "Eine bemerkenswerte Dramaturgie" nannte das Turnierchef Markus Günthardt, "ein echter Coup für das deutsche Frauentennis."

Zwei ganz große Geschichten

Klar, die Geschichte von Angelique Kerber und ihrem wiederholten Finaleinzug, der Chance auf eine Titelverteidigung ist für sich genommen schon außerordentlich. Aber diese Laura Siegemund schaffte es an diesem aufwühlenden Halbfinaltag tatsächlich, dem Star aus Kiel noch die Show zu stehlen. Wie sie sich dem Zweikampf gegen Radwanska stellte, mit einer Courage und Furchtlosigkeit sondergleichen, das nötigte einfach nur Riesenrespekt ab. Oft passiert es ja, dass eine Spielerin aus der zweiten Reihe einen Überraschungssieg feiert, dann aber im Spiel danach einbricht. Siegemund aber landete nach überstandener Qualifikation gleich drei Volltreffer, gegen die Nummer 6, 8 und 2 der Weltrangliste - gegen Simona Halep, Roberta Vinci und schliesslich gegen Radwanska, die Zauberkünstlerin.

Der Magie der Polin setzte Siegemund vom ersten Moment an ihre erfrischende Unkonventionalität entgegen - Power und Köpfchen gleichermaßen brachte sie ins Spiel ein. Stopps, Lobs und harte Grundlinienbälle waren da zu sehen, auch der aus der Mode gekommene Slice. Radwanska betrachtete sich in gewisser Weise im Spiegel, Siegemund war diesem Spiel eben die eigentliche, die bessere Aga. Und Siegemund nahm die berauschende Atmosphäre in der Arena kraftvoll mit, ließ sich zu immer neuen Siegesschlägen inspirieren, machte auch die Big Points ein ums andere Mal. So gewann sie Satz eins mit 6:4, zog rasch im zweiten Akt auf 4:1 davon. "Ihr wart so geil als Publikum", rief Siegemund später den Fans zu, die sich von ihren Plätzen erhoben hatten. Nach der letzten, vielleicht aber auch noch nicht allerletzten Sternstunde der Spielerin von nebenan.

von Jörg Allmeroth

Samstag
23.04.2016, 00:00 Uhr