Spieler gesucht – Droht dem Turnier am Hamburger Rothenbaum der GAU?

Das Teilnehmerfeld bei Deutschlands traditionsreichsten Turnier, dem ATP-Event in Hamburg, könnte dieses Jahr besonders mau aussehen.

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 08.03.2016, 00:00 Uhr

HAMBURG,GERMANY,02.AUG.15 - TENNIS - ATP World Tour, bet-at-home Open, final. Image shows the center court. Photo: GEPA pictures/ Witters/ Frank Peters - ATTENTION - COPYRIGHT FOR AUSTRIAN CLIENTS ONLY

Alle vier Jahre, wenn die Olympischen Spiele anstehen, wird die Terminplanung auf der ATP- und WTA-Tour zu einer noch größeren Herausforderung. Das olympische Tennisturnier in Rio de Janeiro (6. bis 14. August) wirbelt den Kalender gehörig durcheinander. Und dieses Jahr ist es vor allem auf der ATP-Tour besonders heftig. Eines der leidtragenden Turniere ist das traditionsreiche ATP-Sandplatz-Event am Hamburger Rothenbaum, das seit dem Jahr 1892 ausgetragen wird. Das Turnier der 500er-Serie findet in diesem Jahr vom 11. bis 17. Juli statt - direkt im Anschluss an das Turnier in Wimbledon.

Keine Diskussionen nach Niederlage im Davis Cup

In der gleichen Woche wird das bei Spielern sehr beliebte Sandplatzturnier im schwedischen Bastad ausgetragen sowie das Rasenturnier in Newport im US-Bundesstaat Rhode Island, wo am Finalwochenende auch die Zeremonie für die neuen Mitglieder in der International Tennis Hall of Fame über die Bühne geht. Was neben den zwei Konkurrenzturnieren noch hinzukommt: Vom 15. bis 17. Juli werden zudem die Viertelfinals im Davis Cup sowie einige Spiele in der Weltgruppe I gespielt. Als die deutsche Davis-Cup-Mannschaft in der TUI Arena in Hannover den Ausgleich zum 2:2 schaffte, konnte man sich auch die Frage stellen: Was passiert eigentlich, wenn Deutschland das Viertelfinale erreicht? Gegen Frankreich hätte das Team von Michael Kohlmann ein Auswärtsspiel gehabt.

Denn dann hätten die besten deutschen Spieler für das ATP-Turnier in Hamburg passen müssen. Das traditionsreichste deutsche Tennisturnier ohne ein deutsches Zugpferd? Dieses Szenario war durchaus gegeben und hätte sicherlich für sehr große Diskussionen zwischen dem Deutschen Tennis Bund und Michael Stich, dem Turnierdirektor am Rothenbaum, gesorgt. Denn Deutschlands große Nachwuchshoffnung Alexander Zverev ist bis zum Jahr 2018 vertraglich an das Turnier in Hamburg gebunden. Um eine Auseinandersetzung zu vermeiden, hätte man das Viertelfinale an einem anderen Termin spielen können. Ob der Tennis-Weltverband ITF damit einverstanden gewesen wäre? Zumindest diese Frage stellt sich nach der Niederlage des deutschen Teams gegen Tschechien nicht mehr.

Teilnahme vieler Topspieler so gut wie ausgeschlossen

Aber es stellt sich die Frage, welche Spieler überhaupt beim Turnier in Hamburg aufschlagen werden. Eine Frage, die sich auch die Veranstalter in Bastad und Newport stellen müssen. Seit letztem Jahr wird in Hamburg mit einem 32er-Feld im Einzel gespielt, in den Jahren zuvor waren es noch mehr Teilnehmer. Spielt man einige Szenarien durch, kommen bereits vier Monate vor Turnierbeginn zahlreiche Spieler für eine Teilnahme gar nicht in Frage. Allen voran alle Spieler, die mit ihren Teams im Davis-Cup-Viertelfinale antreten werden. Zwar ist es noch lange hin bis zu den Kadernominierungen, doch die jeweiligen Verbände werden es sicherlich nicht dulden, dass ihre Topspieler bei einem parallel stattfindenden ATP-Turnier antreten, anstatt sich für den Davis Cup zur Verfügung zu stellen.

War es von vornherein sowieso sehr unrealistisch, dass Novak Djokovic oder Andy Murray nach Hamburg kommt, sind die Chancen nun gegen Null gesunken, da die beiden mit ihren Teams im Davis-Cup-Viertelfinale aufeinandertreffen. Und auch diese Spieler werden wahrscheinlich im Kader für das Davis-Cup-Viertelfinale stehen, sodass eine Teilnahme ausgeschlossen ist: Viktor Troicki (Serbien), Fabio Fognini (Italien), Andreas Seppi (Italien), Leonardo Mayer (Argentinien), Jo-Wilfried Tsonga (Frankreich), Richard Gasquet (Frankreich), Gael Monfils (Frankreich), Gilles Simon (Frankreich), Tomas Berdych (Tschechien), Lukas Rosol (Tschechien), Jiri Vesely (Tschechien), John Isner (USA), Jack Sock (USA), Marin Cilic (Kroatien), Borna Coric (Kroatien).

Thiem: "Das ist nicht ideal und extrem schlecht"

Die Hoffnung auf eine Verpflichtung von Juan Martin del Potro dürfte sich nach dem Viertelfinaleinzug von Argentinien auch zerschlagen haben. Aber es kommt noch schlimmer für die Turnierorganisatoren in Hamburg, Bastad und Newport. In der Weltgruppe I werden am gleichen Wochenende wie bei den Viertelfinals die weiteren acht Nationen ermittelt, die in der Davis-Cup-Relegation (16. bis 18. September) antreten werden. Die kleine Hoffnung, dass Rafael Nadal zur Titelverteidigung in Hamburg antritt, ist auch drastisch gesunken. Denn der Spanier ist laut Olympia-Regularien dazu gezwungen, bei der Davis-Cup-Partie in Rumänien (15. bis 17. Juli) dabei zu sein, um für Olympia spielberechtigt zu sein - außer die ITF gewährt ihm und Feliciano Lopez eine Ausnahmeregelung.Schaut man sich die jeweiligen Partien in der Weltgruppe I an, kommen derzeit weitere prominente Spieler für eine Teilnahme in Hamburg, Bastad und Newport nicht in Frage: Dominic Thiem (Österreich), Alexandr Dolgopolov (Ukraine), Sergiy Stakhovsky (Ukraine), Robin Haase (Niederlande), Teymuraz Gabashvili (Russland), Martin Klizan (Slowakei), Hyeon Chung (Südkorea), Thomaz Bellucci (Brasilien), Santiago Giraldo (Kolumbien). Thiem hatte sich bereits mehrmals über den durchgewirbelten Terminkalender beklagt. "Ich finde es nicht gut, dass sich der Turnierkalender nur wegen Olympia so zusammenpresst. In diesem Jahr findet in der gleichen Woche neben einem großen Turnier wie Hamburg auch der Davis Cup statt. Das ist nicht ideal und extrem schlecht", sagte Österreichs Nummer eins bei den Australian Open.

Die große Chance auf einen deutschen Turniersieg?

Was es noch schwerer für Hamburg und Bastad macht: Da das olympische Tennisturnier in Rio de Janeiro auf Hartplatz ausgetragen wird, wird es für Spieler,

die sich gute Chancen bei Olympia ausrechnen und nicht den Wechsel von Rasen auf Sand und dann auf Hartplatz vollziehen wollen, unattraktiv. Dass Roger Federer,Stan Wawrinka,Kei Nishikori oder auch Milos Raonic eine Stippvisite in Hamburg einlegen, scheint ebenso ausgeschlossen. So ist also damit zu rechnen, dass am Rothenbaum vorwiegend Spieler dabei sind, die nicht in Davis-Cup-Diensten stehen, sich keine Medaillenchancen bei Olympia ausrechnen und sehr gerne auf Sand spielen: Spieler eines Kalibers wie Pablo Cuevas (Uruguay) oder Joao Sousa (Portugal).

Für die deutschen Spieler um Philipp Kohlschreiber und Alexander Zverev bietet dies aber eine große Chance, den Titel zu gewinnen und 500 Weltranglistenpunkte zu ergattern. Seit 1993, als Michael Stich nach seinem Sieg in Tränen ausbrach, wartet das Turnier in Hamburg auf einen deutschen Titelträger. Im letzten Olympia-Jahr, 2012, wäre es beinahe passiert. Doch Tommy Haas verlor das Finale gegen Juan Monaco. Das Rothenbaum-Turnier wäre für den bald 38-jährigen Haas der ideale Ort, um sich vom deutschen Publikum zu verabschieden. Sechs Wochen vor Turnierbeginn ist Meldeschluss (30. Mai) für die Spieler. Spätestens dann weiß man, wer dabei sein wird. Ein großes Dilemma droht zudem in der nachfolgenden Woche, wenn gleich vier Turniere, Washington (500er-Turnier) sowie die 250er-Events in Kitzbühel, Gstaad und Umag, über die Bühne gehen. Für Dominic Thiem besonders schlimm, da er letztes Jahr die Turniere in Umag und Gstaad gewonnen hat und auf sein Heimspiel in Kitzbühel wahrscheinlich nicht verzichten möchte.

von Christian Albrecht Barschel

Dienstag
08.03.2016, 00:00 Uhr