„Die Quote ist das Zeugnis – fürs Fernsehen, aber auch fürs Tennis“

Der DTB-Pressechef sieht weniger die TV-Sender in der Pflicht, als vielmehr den deutschen Tennissport selbst, für mehr Interesse an diesem zu sorgen.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 04.02.2016, 21:23 Uhr

Hans-Jürgen Pohmann war selbst Tennisprofi, seine höchste Platzierung in der Weltrangliste erreichte er als Nummer 30. Mit seinem Partner Jürgen Faßbender stand er 1973 in den Doppel-Halbfinals in Paris und Wimbledon. Pohmann spielte von 1971 bis 1976 im deutschen Davis-Cup-Team und gewann 18 seiner 24 Matches. Als Journalist und TV-Kommentator begleitete Pohmann den Aufstieg von Boris Becker und Steffi Graf . Er war von 1981 bis 2012 bei SFB und RBB in Berlin beschäftigt, zuletzt als Chef der Redaktion Sport und Service. Seit dem letzten Jahr arbeitet Pohmann als Pressechef des Deutschen Tennis Bund.

Herr Pohmann, Deutschland hat am letzten Wochenende ein Leben jenseits des Fußballs entdeckt - mit Angelique Kerber s Australian-Open-Triumph und dem Finalerfolg der deutschen Handballer. Was kann daraus entstehen?

Hans-Jürgen Pohmann: Ich spreche fürs Tennis. Es ist eine wunderbare Geschichte, dass wir wieder in den Schlagzeilen sind. Man spricht wieder über den Sport. Der große Wunsch und der Anspruch ist, Begeisterung zu wecken. Wieder mehr Menschen für die Klubs zu gewinnen. Die Realität ist ja: In den letzten 15, 20 Jahren haben wir eine halbe Million Mitglieder verloren.

Handball, auch Tennis sind aus dem öffentlichen Bewusstsein auch verschwunden, weil sie fast nicht mehr im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen sind.

Pohmann: Es nützt nichts, zu lamentieren und zu jammern. Wir haben nun mal im Fernsehen heute eine Einheit, an der sich alles bemisst - und das ist die Einschaltquote. Tennis war in den letzten Jahren kein Quotenbringer, es waren ja auch nicht die großen Erfolge da. Daran änderte auch der Ausreißer eines Wimbledon-Finales mit Sabine Lisicki nichts.

Und jetzt Kerber auf allen Kanälen. Viele, die auf den Zug draufspringen medial...

Pohmann: So ist das Geschäft nun mal. Ich klage nicht darüber. Ich sehe nur, dass Kerber vor einem Millionenpublikum der Aufmacher in der "Tagesschau" ist. Und denke mir: Sorry, das ist ein Geschenk des Himmels.

Spüren Sie bei den Reaktionen, ob nun Fans oder Medien, auch ein bisschen Sehnsucht nach den goldenen Zeiten?

Pohmann: Wir haben schon so oft den Fehler gemacht, Spieler und Spielerinnen an Becker oder Graf zu messen - was wirklich Unsinn war. Deshalb sollten wir jetzt auch nicht wieder in den Becker/Graf-Kategorien denken. Die sind unwiederholbar. Als Verband gilt es, beharrliche Aufbauarbeit zu betreiben, die öffentliche Wahrnehmung verbessern - und an einem nachhaltigen Aufschwung zu arbeiten. Boom ist ein großes Wort, das in diesen Tagen zu häufig gebraucht wird.

Konkret: Wie kann der DTB den Kerber-Effekt nutzen?

Pohmann: Wir müssen auf allen Wegen, auf allen Kanälen dafür sorgen, dass Tennis präsent ist. Wir müssen die Turniere in Deutschland unterstützen, nach allen Kräften - denn sie sind ein wichtiges Vehikel für Talentwerbung. Und wir müssen auch dafür sorgen, dass die Klubs attraktiv für junge Zielgruppen, Familien und Kids, sind. Ganz nebenbei: Es gilt auch, bei den Mitgliedern dafür zu trommeln, dass sie bei Tennisübertragungen zuschalten. Um Quote zu kriegen. Die Quote ist das Zeugnis, für den Sender, für den Sport. Brutal, aber wahr.

Auch in den Medien wurde in den letzten Tagen zuweilen über die Fußball-Monokultur geklagt.

Pohmann: Aber es hilft gar nichts, jetzt den Fußball zu beschimpfen, weil er hohe Einschaltquoten hat. Es hilft auch nicht zu fragen, warum jetzt Rodeln und Langlauf 25 Prozent Einschaltquoten haben. Wir müssen auf uns selbst schauen im Tennis, nicht auf andere. Wir müssen mit nachhaltig guten Leistungen dafür sorgen, dass unsere Quoten sich verbessern. Das ist unsere ureigenste Aufgabe. So erfolgreich zu sein, dass der Mann auf der Straße sagt: Ist doch verrückt, dass dieses Spiel, dieses Turnier nicht im Fernsehen läuft. Also: Wir fahren hier keinen Konfrontationskurs gegen Sender, die nicht übertragen. Wir müssen Überzeugungsarbeit leisten, durch Siege, Siege, Siege.

Die Fed-Cup-Partie mit Melbourne-Siegerin läuft wenigstens am Samstag bei SAT.1 - und nicht bei SAT.1-Gold, was zunächst einige hämische Kommentare auslöste.

Pohmann: Der DTB hat nicht den geringsten Grund zur Klage. Wir haben mit einem Medienkonzern einen Vertrag abgeschlossen, als niemand anderes bereit war, einen Deal zu machen. Sonst gäbe es heute nämlich gar keine Bilder. Andere Sportarten sind noch wesentlich schlechter dran, da ist im Fernsehen die Mattscheibe ganz dunkel. Eins doch noch: Es gab so gute Tennis-Quoten bei der Kerber-Zusammenfassung am letzten Samstagmorgen in der "ARD", dass sich einige in den Anstalten schon denken werden: Halt mal, Tennis, das kann sich wieder lohnen.

Braucht Deutschland nicht einen Sportkanal, der die ganze Breite der sportlichen Disziplinen abdeckt?

Pohmann: Wir haben doch Sportsender, "Eurosport" im Tennis ganz besonders. Die machen einen starken Job. Ich hätte da auch meine Schwierigkeiten, wenn ich eine solche Übertragung wie in Australien auf die Beine stelle - und dann kommt auf einmal jemand, der sich die Rosinen rauspicken will. Sprich: Das Endspiel übertragen will plötzlich.

Anderes Thema: Früher gab es große Damenturniere auch in Hamburg und Berlin? Wäre da eine Renaissance denkbar?

Pohmann: Erst mal haben wir als Verband eine große Aufgabe: Die bestehende Turnierlandschaft zu stärken, mit richtig viel Einsatz. Ob auf der WTA-Tour, ob bei Challenger- oder ITF-Wettbewerben. Ob wir mehr Turniere etablieren können? Ich wünsche es mir mit heißem Herzen, aber der Kapitaleinsatz und das Risiko sind nicht zu verachten. Was ein Traum wäre - ein Turnier in Leipzig, im Osten Deutschlands. Hier spüre ich große Begeisterung, nicht nur beim Fed Cup, nicht nur wegen Angelique Kerber.

Was trauen Sie Kerber zu, in den nächsten Monaten, Jahren Ihrer Karriere?

Pohmann: Sie hat noch Gutes, richtig viel Gutes vor sich. Ich bewundere schon ihr Durchsetzungsvermögen, ihre Professionalität. Sie wird in den Top drei bleiben.

Sie waren selbst Nationalspieler, Zeitzeuge der Becker-Jahre. Warum ist das deutsche Herrentennis in die internationale Bedeutungslosigkeit verschwunden.

Pohmann: Im Damentennis hat Barbara Rittner über ein Jahrzehnt vorbildliche Aufbauarbeit geleistet. Es gibt ja schon wieder eine neue Generation, die jetzt nachrückt. Anna-Lena Friedsam und Annika Beck zum Beispiel. Bei den Herren entstehen diese ganzen Strukturen jetzt erst richtig. Aber ich muss sagen: Der Hamburger Alexander Zverev kann ein richtig Guter werden. Er hat die Anlagen für den Sprung in die engere Weltklasse.

Das Gespräch führte Jörg Allmeroth.

von tennisnet.com

Donnerstag
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