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Tennisjournalist Ben Rothenberg – „Ich würde ziemlich schnell verrückt werden“

Der 28-jährige US-Amerikaner stellte sich den Fragen von tennisnet.com.

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 14.01.2016, 11:20 Uhr

Ben Rothenberg ist einer der bekanntesten Tennisjournalisten. Der US-Amerikaner schreibt regelmäßig für die "New York Times", moderiert den Tennis-Podcast "No Challenges Remaining" und ist Gründer des Fantasy-Tennisspiels "Racket Rally". Dem Twitter-Profil von Rothenberg zu folgen, ist ein Muss für jeden Tennisfan. Im Interview mit tennisnet.com spricht der 28-Jährige unter anderem über seinen ungewöhnlichen Werdegang als Tennisjournalist, sein speziellstes Interview, die Verwechslung mit einem bekannten Quarterback und das Aufdecken der Plagiatsaffäre um einen Journalistenkollegen.

Ben, du bist in den letzten Jahren zu einem der bekanntesten Tennisjournalisten aufgestiegen. Wann hat deine Leidenschaft für Tennis begonnen?

Ich glaube, der erste Moment, in dem ich Tennisfan wurde, war 1997 bei den US Open, als Venus Williams als Teenager das Finale erreichte. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht allzu viel Tennis geschaut. Das hat sich dadurch aber geändert. Da ich nicht allzu weit weg von New York lebe, bin ich dann regelmäßig zu den US Open gefahren, habe während meiner Highschool-Zeit Woche für Woche das Tennisgeschehen verfolgt und sehr viel gelesen. Außerdem habe ich damals extrem viel Zeit mit dem Videospiel Mario Tennis verbracht.

Du hast Anthropologie studiert. Wie in aller Welt bis du ein Tennisjournalist geworden?

Ich hatte eigentlich nie vorgehabt, etwas im Bereich Anthropologie zu machen. Mein Hauptfokus im Studium lag auf Osteuropa. In den USA ist es nicht so strikt, dass dein Hauptfach im Studium den Verlauf deiner Karriere bestimmt, vor allem im Bereich Journalismus oder Blogging. Ich liebe es zu schreiben und habe immer Blogs über Dinge, die mich interessieren, verfasst. Ich habe in der Jugend neben Tennis auch Eishockey gespielt und war dabei elf Jahre lang Torwart. Im Hockey war ich auch viel besser als im Tennis. Ich habe dann für das Sportportal "SB Nation" angefangen, über Eishockey zu schreiben. Ich glaube nicht, dass eine spezielle Ausbildung im Journalismus mir zwingend geholfen hätte, vielleicht nur, dass ich schneller eine Anstellung bei einer Zeitung bekommen hätte. Was den Tennisjournalismus betrifft, geht es aber auch um die Qualifikation. Und ich denke, dass ich viel über Tennis weiß.

Was ist so besonders an Tennis verglichen mit anderen Sportarten?

Ich finde es gut, dass Tennis eine Individualsportart ist. Du gewinnst, wenn du an dem Tag der bessere Spieler bist und kannst keinem anderen außer dir selbst die Schuld geben. Selbst als Torhüter im Eishockey hatte ich das Gefühl, dass ich die Kontrolle habe. Wenn jemand ein Tor gegen mich schießt, war es meine Schuld. Ich mag die Berechenbarkeit im Tennis. Als Autor ist das großartig. Wenn ein Fußballteam ein Spiel gewinnt, gibt es viele kleine Dinge, die das ausmachen. Mario Götze hat durch seinen Siegtreffer im WM-Finale all die Aufmerksamkeit bekommen, auch wenn er nicht der einzige Grund ist, warum Deutschland das Spiel gewonnen hat. Der Zugang zu Tennisspielern ist auch besser verglichen mit anderen Sportarten. Jeder Spieler hat seine eigene Geschichte. Ich interessiere mich auch mehr für diese unbekannten Geschichten.

Tennis hat einen vollen Zeitplan. Es passiert immer etwas auf der ganzen Welt, fast 365 Tage im Jahr. Wie schaffst du es, deine Augen auf all die Events, Matches und Hintergrundgeschichten, die jeden Tag passieren, zu richten?

Ich schaue natürlich nicht alles. Ich würde ziemlich schnell verrückt werden, wenn ich das machen würde. Aber ich habe viele Follower auf Twitter und folge selbst auch vielen Leuten, die sehr gut darin sind, lustige, kontroverse und verrückte Dinge zu entdecken. Das hilft natürlich. Ich denke, dass ich das mehr mache als die traditionellen Journalisten, die hier beispielsweise in Melbourne vor Ort sind.

Du bist bei vielen Tennisturnieren vor Ort. Wo sind für dich die Arbeitsbedingungen am besten und wo sind sie ziemlich mau?

Vor allem hier bei den Australian Open sind sie sehr gut. Das liegt auch an Nick Imison, der die Medienanfragen und Pressekonferenzen hier und auch bei den French Open und bei den US Open organisiert. Auf der ATP-Tour ist es Indian Wells, wo das Wetter perfekt und das Essen großartig ist. Es gibt dort mehr gemeinsame Bereiche zwischen Medien und Spielern, was das Führen von Interviews mit Spielern viel leichter macht. Die schlechtesten Arbeitsbedingungen sind definitiv in Miami, würde ich sagen. Alles ist desorganisiert, die Kommunikation ist nicht gut, der Verkehr ist schlimm. Der Interviewraum ist zudem sehr weit vom Presseraum entfernt.

Du führst ein wenig das Leben eines Tennisprofis und bereist die ganze Welt. Gibt es ein spezielles Turnier, das in deiner Liste noch fehlt? Ein Turnier, das du schon immer als Journalist besuchen wolltest?

Da gibt es zwei Turniere. Zum einen Monte Carlo und zum anderen das WTA-Turnier in Stuttgart. Über die Turniere habe ich nur gute Dinge gehört. Die beiden Turniere liegen aber für mich zeitlich nicht besonders gut.

Was war das beste oder speziellste Interview, das du bislang geführt hast?

Da kommt mir als allererstes das Interview mit Timea Bacsinszky in den Sinn, das ich bei den French Open 2014 geführt habe. Ich bin nach ihrem Erstrunden-Sieg in die Pressekonferenz gegangen und habe sie gefragt, wo sie in den letzten Jahren gewesen sei. Sie hat dann eine siebenminütige Antwort über ihre Lebensgeschichte gegeben, dass sie im Hotel gearbeitet hat. Ich habe sie dann einen Tag später in der Lobby ihres Hotels getroffen und eine Stunde mit ihr gesprochen. Sie war sehr offen und ehrlich. Es hat sich wie ein Treffen bei einem Psychiater angefühlt. Es war eine Geschichte, die ich noch nicht kannte und die keiner bislang niedergeschrieben hatte.

Du hast mehr als 40.000 Follower auf Twitter. Was macht aus deiner Sicht einen guten Tweet aus?

Ich habe mir zu Beginn des letztens Jahres das Ziel gesetzt, bis zum Ende des Jahres 40.000 Follower zu haben. Das ist natürlich etwas doof, weil man keine Kontrolle darüber hat. An Silvester um 20 Uhr habe ich dann die Benachrichtigung bekommen, dass ich 40.000 Follower erreicht habe. Was einen guten Tweet ausmacht? Es sollte nicht etwas sein, was jeder im TV oder im Livescore sehen kann wie "Federer hält seinen Aufschlag zum 2:1", sondern sollte eine Information bieten, die der Follower noch nicht kennt. Außerdem kommen sarkastische Kommentare bei den meisten gut an.

Einige Leute verwechseln dich auf Twitter mit dem berühmten Quarterback Ben Roethlisberger von den Pittsburgh Steelers. Kannst du mir eine Episode darüber erzählen?

Das ist mir sogar zweimal als Person passiert, als Leute meinen Namen gelesen haben. Einmal als ich einen Mietwagen abholen wollte, um nach Charleston zu fahren. Zuvor habe ich meinen Führerschein vorgelegt. Die Leute waren dann den ganzen Tag total aufgeregt, dass Ben Roethlisberger zu ihnen kommt, um das Auto abzuholen. Als ich dann kam, waren sie nicht allzu glücklich darüber. Einmal habe ich einen Freiwilligendienst an einer Schule gemacht. Als ich meinen Ausweis vorgezeigt habe, dachte die Person ernsthaft, dass ich Ben Roethlisberger bin und im Geheimen gemeinnützige Arbeit leisten wolle. Für ihn war ich dann eine Woche lang Ben Roethlisberger, bis ich ihm erzählt habe, dass ich es gar nicht bin. Die Verwechslung war am Anfang noch witzig, bis dann Vergewaltigungsvorwürfe ihm gegenüber in den Medien auftauchten.

Hast du mit Ben Roethlisberger über die Verwechslung gesprochen?

Nein, ich habe ihn weder getroffen noch mit ihm gesprochen. Jemand hat sich mal einen Spaß erlaubt und meine E-Mail-Adresse für den Newsletter der Pittsburgh Steelers verwendet. Ich bekam dann zu Weihnachten eine Grußkarte mit dem Foto von Ben Roethlisberger.

Viele Spieler hatten Vorbilder, als sie mit dem Tennis begonnen haben. Hast du Vorbilder als Journalist?

Ich habe viele Sportberichte gelesen, als ich aufgewachsen bin, vor allem die in der Washington Post. Ein richtiges Vorbild hatte ich nie, weil ich auch nie geplant hatte, ein Tennisjournalist zu werden und dies nur zufällig wurde. Ich habe aber immer sehr gerne die Berichte von Jon Wertheim gelesen.

Viele Tennisspieler haben bestimmte Rituale, wenn sie ein Match bestreiten. Hast du als Journalist auch ein besonderes Ritual, wenn du an einer Geschichte arbeitest oder ein Interview führt?

Nein, jedenfalls keines, das mir bewusst ist. Ich benutze Evernote, das ist eine App, die alles Geschriebene automatisch speichert und noch viele andere Funktionen hat. Das ist aber eher meine Geheimwaffe als ein Ritual.

Glaubst du, dass es möglich ist, dass man als Tennisjournalist mit Spielern befreundet sein kann?

Das ist nicht etwas, was ich anstrebe, wobei die meisten Spieler auch Distanz halten. Ich halte das aber durchaus für möglich, es darf natürlich dein Schreiben nicht beeinflussen. Ich habe aber keine richtig engen Freundschaften mit Spielern, aber einige Spieler, zu denen ich ein freundschaftliches Verhältnis pflege. Nach der Karriere ist das etwas anderes. Mit Lindsay Davenport, die nun eine Kollegin von mir ist und für den Tennis Channel kommentiert, bin ich befreundet.

Du wurdest in der Tennisindustrie unter anderem auch dadurch bekannt, dass du die Plagiatsaffäre um den britischen Journalisten Neil Harman aufgedeckt und niedergeschrieben hast. Hättest du gedacht, dass diese Entdeckung so viel Aufmerksamkeit erhalten und zu großen Konsequenzen führen würde?

Ich wusste schon, dass es eine große Geschichte ist und Aufmerksamkeit erregen würde. Ich habe versucht, dass sich die Geschichte eher um Wimbledon dreht als um Neil Harman, da ich finde, dass sich Institutionen wie Wimbledon an einen höheren Standard halten sollten. Ich hätte gedacht, dass Neil mittlerweile wieder als Journalist arbeiten würde, was aber bislang nicht passiert ist. Es war nie etwas Persönliches gegen ihn, aber ich fühlte mich unwohl damit, dass die Geschichte seit Monaten bekannt war, aber nichts passierte. Daher habe ich mich als Journalist verpflichtet gefühlt, darüber zu berichten.

Was hast du aus dieser Sache gelernt und was können Tennisjournalisten aus der Affäre um Neil Harman lernen?

Natürlich sollte man lernen, dass man die Inhalte eines anderen nicht als die eigenen ausgibt. Ich ziehe daraus jetzt keine großen Lehren. Ich hätte es natürlich besser gefunden, wenn ich die Geschichte nicht hätte schreiben müssen und er das nicht getan hätte. Denn Wimbledon hat darüber bereits vor meinem Bericht Bescheid gewusst und versucht, die Sache herunterzuspielen.

Was ist für dich die dümmste Frage, die ein Tennisjournalist einem Spieler stellen kann?

Eine kleine Sache, die mich aufregt und bei der ich hoffe, dass ich das nicht mache, ist, wenn Journalisten keine richtige Frage stellen, sondern die Spieler nur auffordern, etwas zu erzählen, um ein Zitat zu bekommen. Es sollte auch der Fall sein, dass man ehrliches Interesse an der Antwort hat. Dann stören mich auch Fragen, die immer wieder gestellt werden, beispielsweise, warum die Spieler in den Dreißigern so erfolgreich sind oder wenn Caroline Wozniacki danach gefragt wird, warum sie noch kein Grand-Slam-Turnier gewonnen hat. Natürlich sind bei vielen Turnieren auch Lokaljournalisten vor Ort, die gewisse Basisfragen stellen und sich nicht so intensiv mit Tennis beschäftigen. Dann ist das auch verständlich.

Bist du manchmal überrascht, mit welchem Wissen manche Journalisten in Pressekonferenzen gehen (zum Beispiel in Wimbledon bei Tomas Berdych und bei den French Open bei Nicolas Mahut )?

Die Berdych-Pressekonferenz war natürlich gravierender, weil es im späteren Verlauf des Turniers passierte. Ich habe da aber ein gewisses Verständnis, weil gerade zu Beginn eines Grand Slams so viel passiert und man leicht den Überblick verlieren kann. Fehler passieren eben, das bedeutet nicht, dass die betreffenden Journalisten keine Ahnung von Tennis haben. Wenn so etwas passiert, ist es aber natürlich extrem lustig. Wenn ich in eine Pressekonferenz gehe, stelle ich aber sicher, dass ich auch weiß, wer das Match gewonnen hat.

Glaubst du, dass man ein guter Tennisspieler oder sagen wir ein Spieler mit normalen Fähigkeiten sein muss, um Tennis zu verstehen und darüber zu schreiben?

Ich glaube nicht und hoffe nicht, dass es so sein muss, denn ich habe selbst Tennis gespielt, aber war nie wirklich gut darin. Natürlich sollte man schon die Basissachen wissen, zum Beispiel was eine Topspin-Vorhand ist. Bei mir ist es so, dass ich lieber über die Charaktere in diesem Sport schreibe als darüber, wie eine Slice-Rückhand das Match verändert hat. Das liegt sicherlich auch an meinem Studiengang.

Siehst du dich in zehn bis 20 Jahren noch als Tennisjournalist?

Das ist eine beängstigende Frage. Ich weiß nicht mal, ob ich noch in zwei Jahren über Tennis schreiben werde. Tennis war bislang sehr gut zu mir. Ich schreibe daneben aber auch noch etwas über Eishockey und würde gerne in Zukunft auch über andere Bereiche schreiben. Solange ich im Sport tätig bin, will ich aber beim Tennis bleiben.

Du hast letztes Jahr den Eurovision Song Contest in Wien besucht. Das ist für einen US-Amerikaner nicht typisch. Was ist so speziell an diesem Contest?

Ich liebe den Eurovision Song Contest einfach. Als ich 2008 fürs Studium in England war, habe ich ihn zum ersten Mal gesehen. Es war für mich die irrwitzigste Sache der Welt. Ich wurde schnell süchtig danach und verfolge ihn nun ziemlich genau. In Europa schaut es ja fast jeder, für viele ist es aber ein heimliches Laster.

Das Gespräch führte Christian Albrecht Barschel.

von Christian Albrecht Barschel

Donnerstag
14.01.2016, 11:20 Uhr