„Ich habe von der Trennung per E-Mail erfahren“

Der Stuttgarter spricht im Interview über das Ende der Zusammenarbeit mit Claudio Pistolesi und über seine Rückkehr in das Davis-Cup-Team.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 23.12.2010, 11:48 Uhr

Von Matthias A. Schmid

Hinter Michael Berrer liegt ein Jahr der Achterbahnfahrt. Es ging rauf und bis in sein erstes Finale in Zagreb, aber oft auch runter: er verlor allein 16 mal in der ersten Runde. In der Weltrangliste steht der 30-jährige Stuttgarter dennoch auf Platz 58. Im Interview mit tennisnet.com spricht er über die überraschende Trennung von seinem Coach Claudio Pistolesi, über sein Psychologiestudium und darüber, warum er seine Kinder nicht zum Tennis schicken würde.

Herr Berrer, merkt man eigentlich die Strapazen der Vorbereitung auf die neue Saison mit 30 Jahren mehr als früher?

Bei mir ist die Vorbereitung schon immer hart gewesen. Gegen Ende der Saison spielt man hauptsächlich Tennis und macht weniger für die Fitness. Wenn man dann nach dem Urlaub wieder mit 400-Meter-Läufen beginnt, dann spürt man da schon jeden Muskel. Das tut dann wirklich weh.

Mit wem bestreiten Sie die Vorbereitung?

Ich mache sie mit dem Konditionstrainer des Württembergischen Tennisbundes, Claus Wagner. Andreas Beck, Nils Langer und der Nachwuchsspieler Sebastian Sachs sind auch dabei. Wir sind ein gutes Team, motivieren uns gegenseitig und stacheln uns so zu neuen Höchstleistungen an.

Wie ist die Vorbereitung bisher gelaufen?

Gut, aber seit einer Woche plagt mich eine kleine Grippe. Sie hat den Zeitplan etwas durcheinandergebracht. Aber zum Saisonstart werde ich bereit und topfit sein.

Wann fliegen Sie nach Australien?

Ich werde am 28. Dezember nach Brisbane fliegen und erstmals dort spielen, anschließend bereite ich mich dann weiter beim Turnier in Sydney auf die Australian Open vor. Ich habe diesmal bewusst zwei Turniere zur Vorbereitung auf das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres gewählt, weil ich sehr sensibel auf den Wetterumschwung reagiere. So habe ich nun mehr Zeit, mich zu akklimatisieren und mich an die Hitze in Australien zu gewöhnen. Brisbane ist der Aufgalopp, in Sydney will ich dann schon ein paar Matches gewinnen.

Sie werden ohne Ihren Trainer Claudio Pistolesi nach Australien fliegen. Kam die Trennung für Sie auch so überraschend wie für die Öffentlichkeit?

Ja, das Ganze war eine ziemlich unschöne Sache. Ich hatte schon die Flüge für uns nach Australien gebucht. In drei E-Mails hat Pistolesi mir dann mitgeteilt, dass er künftig Robin Söderling trainieren wird. Dabei hatten wir erst unseren Vertrag verlängert.

Wie ist es genau abgelaufen?

Wir hatten uns zwischen den Turnieren in Basel und Wien darauf verständigt, dass wir unsere Arbeit um ein weiteres Jahr fortsetzen. Ich wollte ihn bei weniger Turnieren im Jahr dabei haben, weil ich ein Profi bin, der auch selbständig zu einigen Turnieren reisen kann. Ich muss nicht immer einen Trainer dabei haben. Aber bei den großen Turnieren ist das schon sehr wichtig, wenn er dabei ist. Am dritten Tag meines Urlaubs kam dann eine E-Mail von ihm, darin stand, dass er ein Angebot eines anderen Spielers hätte. Ich dachte mir, schön, vielleicht kann er ja zwei Spieler coachen und ich kann davon noch profitieren. Wir hatten über eine solche Möglichkeit schon mal nachgedacht. Doch dann schrieb er in der nächsten E-Mail, dass er trotz gültigen Vertrags sich nun doch entschieden hätte, mit Söderling zusammenzuarbeiten. Es wäre die schwerste Entscheidung seines Lebens gewesen, fügte er noch hinzu.

Er hat nicht einmal angerufen?

Nein, vermutlich hatte er wohl vor meiner Reaktion zu großen Respekt. Aber ich hätte wirklich nicht von ihm erwartet, dass er unsere Zusammenarbeit mit einer E-Mail beendet. Das hat mich schon sehr enttäuscht.

Mit wem fliegen Sie nun nach Australien?

Mit Carsten Arriens, das ist ein glücklicher Zufall. Carsten ist ja der Trainer von Andi Beck, doch der spielt nicht in Australien, so dass Arriens nun mit mir kommt. Das ist auch mein Wunsch gewesen. Wir kennen und schätzen uns sehr. Wir haben die Verbindung nie abreißen lassen, seit er mich nicht mehr trainiert. Auch die Absprache mit meinem Heimtrainer Günther Metzger klappt hervorragend.

Wie lange wird das jetzt gehen?

Das weiß ich nicht, eine Dauerlösung wird das aber vermutlich nicht werden, weil er ja Andi trainiert. Und einen Coach zu teilen, davon halte ich nicht viel. Andi und ich trainieren ja schon sehr oft in Stuttgart zusammen, da muss man nicht auch noch bei den Turnieren immer zusammenspielen.  Mein Manager Dirk Hordorff ist auf der Suche nach einer neuen Lösung, aber im Dezember ist der Trainermarkt abgegrast, da gibt es kaum noch Möglichkeiten.

Blicken wir zurück auf das abgelaufene Jahr, es war eine merkwürdige Saison, wenn man das so sagen darf. Sie haben erstmals das Finale bei einem ATP-Turnier erreicht, aber auch 16-mal in der ersten Runde verloren.

Das hört sich vielleicht etwas erstaunlich an, aber von meinem Gefühl her war das kein gutes Jahr für mich. Ich habe sehr gut angefangen, doch nachdem ich meinen Verzicht auf den Davis Cup erklärt hatte, spielte ich nicht mehr gut. Ich hatte die öffentlichen Reaktionen etwas unterschätzt, es hat dann meine Leistung doch stärker als gedacht beeinflusst. Heute würde ich das auch nicht mehr so machen. Auch hat mich die 0:6-1:6-Niederlage gegen Rafael Nadal in Monte Carlo sehr runtergezogen. Ich war hinterher richtig deprimiert. Und als ich dann nach einer schlechten Sandplatzsaison vor Halle wieder in Topform war, zog ich mir eine Kapselverletzung im rechten Sprunggelenk zu. Ich habe dann anschließend den Fuß fast zwei Monate nicht richtig belasten können und trotzdem gespielt. Die Verletzung hat mich bis Asien gehandicapt. Normalerweise bin ich ein Spieler, der von seiner Konstanz lebt, aber so habe ich viele Spiele verloren, auch weil ich unbedingt vor heimischem Publikum in Stuttgart und eine Woche später in Hamburg spielen wollte. Erst im Herbst habe ich wieder besser gespielt, Tomas Berdych geschlagen und auch in Wien das Halbfinale erreicht. Aber ich war insgesamt nicht zufrieden, aber mit Platz 58 kann ich dennoch gut leben.

Welche Lehren haben Sie daraus für sich gezogen?

Ich werde mir künftig mehr Pausen gönnen und weniger auf Sand spielen. Aber dieser Vorsatz mit weniger Matches ist auch so eine Sache und ich werde das jetzt auch nicht groß hinausposauen. Weil mir die Halle am besten liegt, werde ich jetzt zu Beginn des Jahres wieder sehr viele Turniere spielen und diesen Vorteil für mich auszunutzen versuchen. Ich will unbedingt im März beim Davis Cup in Zagreb gegen Kroatien dabei sein.

Zu einem anderen Thema: auffällig im Welttennis ist zurzeit, dass immer weniger unter 19-Jährige in der Weltrangliste unter den Top 100 stehen. Was sind die Gründe?

Das Spiel ist in den vergangen Jahren viel komplexer geworden. Du musst vor allem vom Kopf her bereit für die Profitour sein, du musst reif sein, um deine beste Leistung permanent abrufen zu können. Dieser Prozess kann dauern. Aber ausschließen, dass mal wieder ein sehr junger Spieler ein großes Turnier gewinnen kann oder unter den besten 20 der Welt zu finden sein wird, das würde ich nicht. Aber im Moment sehe ich so einen Spieler nicht, vor allem nicht in Deutschland.

War früher die Leistungsdichte unter den Top 100 nicht so vorhanden wie heute?

Thomas Muster hat mir neulich dazu gesagt, dass es früher 20 Weltstars gegeben hat. So kann man das natürlich auch sehen. Ich habe in meinen Jugendtagen die ersten 200 der Weltrangliste mit Namen und Konterfei gekannt.

Da wurde ja auch jedes Spiel von Boris Becker, Michael Stich und Stefanie Graf im Fernsehen übertragen.

Ja, das war ein großer Unterschied zu heute. Auch wir haben heute coole Typen, die was hergeben, aber wer kennt denn diese Leute schon. Tobias Kamke zum Beispiel ist ein super Junge, der viel drauf hat. Aber das Schlimme ist ja, wir dürfen gar nicht so sein, wie wir gerne sein würden, weil man in der Öffentlichkeit auch immer aufpassen muss, was man sagt. Ich würde meine Kinder nicht mehr zum Tennis schicken, sondern ihnen eine andere Sportart empfehlen.

Wie bitte?

Ja, sie haben richtig verstanden. Verstehen Sie mich aber nicht falsch. Tennis ist ein toller Sport, der beste, den man sich vielleicht vorstellen kann. Mann gegen Mann, das macht den Reiz auch für die Zuschauer aus. Aber wie dieser Sport in Deutschland verkauft wird, ist eine Schande. Das müsste man vielleicht auch vom DTB her besser lenken, damit die Medien auch wieder positiver berichten. Es gibt nämlich eine positive Entwicklung in Deutschland. Wir haben viele Spieler unter den besten 100. Ja, es fehlt ein Spitzenspieler, jemand, der auch mal ein großes Turnier gewinnen kann. Aber Rainer Schüttler und Tommy Haas haben jeweils das Halbfinale in Wimbledon erreicht und es hat kaum jemand registriert. Das Publikum ist viel zu verwöhnt aus den Zeiten mit Graf, Becker und Stich und weiß die Leistungen von heute nicht mehr zu würdigen.

Reicht ein Grand-Slam-Titel eines Deutschen aus, um das Tennis wieder beleben zu können?

Nein, das denke ich nicht. Es müsste auch noch ein Typ sein, der etwas zu sagen hat und entsprechend zu vermarkten ist. Aber wir müssen einfach geduldig sein. Das Tennis hat in Deutschland nach wie vor großes Potenzial. Nur werde ich diesen Boom als aktiver Spieler wohl nicht mehr erleben.

Sie sind 30 Jahre alt, welche Ziele wollen Sie in Ihrer Karriere noch verwirklichen?

Ich würde mich sehr gerne für Olympia 2012 in Wimbledon qualifizieren. Darauf habe ich alles abgestimmt. Das wäre ein toller Abschluss meiner Karriere, wenn ich dort dabei sein könnte.

Was kommt danach?

Das weiß ich noch nicht. Aber ich habe mir natürlich schon Gedanken gemacht.

Was würde Sie denn reizen?

Ich habe schon einige Ideen im Kopf, aber darüber will ich noch nicht groß reden. Ich habe von der ATP ein Stipendium für ein Bachelor-Studium in den USA bekommen. Ich studiere nun seit den US Open Psychologie. Das ist ein volles Programm, ich muss viel lesen und lernen. Aber ich brauche das für meinen Kopf, ich kann nicht die ganze Zeit blöd über Tennis quatschen. Das Studium lenkt mich ab und bringt mich als Persönlichkeit weiter. In dieser Hinsicht helfen mir auch die Gespräche mit Professor Gabler aus Tübingen, mit dem ich gerne zusammenarbeite.

Können Sie sich vorstellen, später ebenfalls als Sportpsychologe zu arbeiten?

Ja, sehr gut sogar. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg, bis dahin kann noch viel passieren. Aber das könnte ich mir wirklich sehr gut vorstellen. Aber ich möchte mir noch alle Möglichkeiten offenhalten und bis 2012 alles dafür tun, damit ich mich für Olympia qualifizieren kann.(Foto: J. Hasenkopf)

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