NHL

Heiland mit Schattenseite

Von Robert Heusel
Patrick Kane ist momentan nicht aufzuhalten
© getty

Patrick Kane hat keinen einfachen Sommer hinter sich. Wegen des Verdachts der Vergewaltigung geriet der dreifache Stanley-Cup-Champion ins Visier der Staatsanwaltschaft. Es war nicht der erste Kontakt mit der Justiz. Ungeachtet dieser Vorfälle spielt Kane derzeit groß auf, wird als Franchise-Player verehrt - und schreibt Geschichte. Viel Zeit zum Feiern bleibt ihm allerdings nicht.

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Ein Blick auf die Uhr, die Zeit verrinnt. Noch hat Patrick Kane allerdings zwei Minuten. Zwei Minuten, um eine Serie am Leben zu halten, die ihn in die Geschichtsbücher bringen würde. Angepeitscht von den Zuschauern im United Center, die ihr Team trotz einer 2:1-Führung immer weiter nach vorne treiben, schaltet er Sekunden später am schnellsten.

Mit dem Handschuh fischt er die Scheibe herunter. Ein kurzer Blick - und der Puck landet bei seinem Teamkollegen Artemi Panarin. Der Russe nimmt Maß und schiebt locker in das leere Gehäuse ein. Der Assist geht an Kane, der bereits abdreht. Für einen Moment wird es ruhig in seinem Kopf, dann folgt die Explosion.

Rekorde, Rekord, Rekorde

Er hatte es wieder getan, zum 22. Mal! Es war das 22. Spiel in Serie, in dem Kane an mindestens einem Tor direkt beteiligt war. Noch nie zuvor war dieses Kunststück einem Spieler der Blackhawks gelungen. Auf der Tribüne fing die Kamera Klub-Legende Bobby Hull, den alten Rekordhalter aus dem Jahr 1972, ein. Er klatschte - aufrichtig und mit einem Lächeln im Gesicht.

Es war nicht der erste Rekord, den Kane geknackt hatte. Bereits zuvor hatte er einen weiteren Grund zum Jubeln. Noch nie war es in der NHL einem US-amerikanischen Spieler gelungen, in mehr als 19 Spielen in Serie zu punkten. Diese Bestmarke hatte der 27-Jährige allerdings bereits vergangene Woche beim Spiel in Los Angeles gebrochen.

"Ich kann es kaum glauben, dass mir dieser Rekord gelingt. Es ist unfassbar, dass ich dies alles hier in unserer Halle erleben darf", sagte der ergriffene Right Wing der Blackhawks nach dem historischen Ereignis, von dem sich die Fans noch lange erzählen werden.

Ein schwerer Sommer

Kanes Erfolgsgeschichte in diesem Jahr ist umso bewundernswerter, wenn man den Trubel um seine Person während des Sommers betrachtet. 'Patrick Kane im Visier der Staatsanwaltschaft!' Diese Meldung im August diesen Jahres schlug ein wie eine Bombe. Der dreifache Stanley-Cup-Champion sollte angeblich eine Frau nach einem Disko-Besuch vergewaltigt haben, wie von mehreren Medien berichtet wurde.

Nach forensischen Untersuchungen am vermeintlichen Opfer konnten jedoch keine DNA-Spuren Kanes gefunden werden und die Staatsanwaltschaft stellte letztlich keinen Strafantrag. "Ich habe nichts falsch gemacht", kommentierte der Beschuldigte in einem Statement die Entscheidung: "Ich habe den rechtlichen Prozess, der seine Zeit dauert, stets respektiert und bin nun einfach nur glücklich, dass der Fall abgeschlossen ist. Mehr werde ich nicht sagen."

Belastend dürften die Wochen für Kane dennoch gewesen sein, stand er doch extrem im Fokus der negativen öffentlichen Wahrnehmung. Auch teils lukrative Verträge scheiterten. So sollte beispielsweise sein Konterfei das Cover des neuen Videospiels NHL 2016 zieren. Nachdem der Verdacht im Raum stand, wurde Hersteller EA Sports die Angelegenheit allerdings zu heiß und die Entscheidung fiel gegen das Kane-Cover.

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Aussetzer schon 2009

Die Vergewaltigungsvorwürfe sind dabei nicht die ersten negativen Schlagzeilen, mit denen er sich herumschlagen muss. Bereits 2009 wurde er zusammen mit seinem Cousin nach einer nächtlichen Taxifahrt in Buffalo festgenommen. Beiden wurde vorgeworfen, dass sie den Fahrer geschlagen haben sollen - wegen 20 Cent.

Der Fahrpreis soll damals 14,80 Dollar betragen, die Kanes 15 Dollar gegeben haben. Da der Fahrer kein Kleingeld mehr hatte und dementsprechend auch die 20 Cent nicht herausgeben konnte, wurden die beiden Cousins handgreiflich. Ihr Opfer musste mit mehreren Platzwunden im Gesicht und weiteren Verletzungen behandelt werden.

Nachdem Kane vor Gericht zunächst auf "unschuldig" plädierte, gestanden er und sein Cousin die Tat später ein. Beide kamen mit einer Bewährungsstrafe wegen Raubes davon. Der Vorfall wurde Kane als Jugendsünde verziehen, denn der erste Pick des Drafts galt als eines der größten Talente des Landes. Seine Verfehlungen verblassten.

Sportlich ohne Tadel

Nach einer überragenden Junioren-Saison bei den London Knights attestierten diverse Scouts Kane eine "außergewöhnliche Übersicht und herausragende Spielmacherqualitäten". Im zarten Alter von 18 Jahren explodierte er in der OHL, wohl auch beflügelt von der Goldmedaille bei der U18-Weltmeisterschaft, die er im Frühjahr 2006 mit dem US-Team gewonnen hatte. In 58 Spielen für die Knights kam er auf 145 Punkte. Sagenhafte 62 Tore und 83 Assists standen nach der Saison 2006/07 auf seinem Konto und sorgten für jede Menge Aufmerksamkeit.

So war es auch nicht verwunderlich, dass der Junge aus Buffalo von den Chicago Blackhawks an erster Stelle im Draft verpflichtet wurde. "Es ist unglaublich", sagte Kane damals: "Vor allem, wenn man sich anschaut, wer schon an erster Stelle gezogen wurde. Vincent Lacavalier, Sidney Crosby oder Alexander Ovechkin - sie alle sind dabei."

Die Verantwortlichen aus Chicago wussten da wohl bereits, welches Juwel sie sich gesichert hatten, denn sie statteten Kane mit einem Maximalvertrag für Rookies über drei Jahre aus. Mit 72 Scorerpunkten in seiner Premierensaison, Höchstwert aller Neuen in dieser Spielzeit, zahlte Kane früh das in ihn gesteckte Vertrauen zurück. Sehr zur Freude der Bosse.

"Wir sind ein junges und hungriges Team", versprach der damalige General Manager, Dale Tallon, seinem Rookie: "Er wird bei uns die Chance haben, auch zu spielen. Wir bringen ihn mit guten Spielern zusammen und dann sehen wir, was passiert. Wir geben ihm die Möglichkeit, sich bei uns etwas aufzubauen. Der Rest liegt an ihm." Und Kane lieferte.

An der Spitze angelangt

Nachdem die Blackhawks 2008 noch an einer Playoff-Teilnahme vorbeigeschrammt waren, dauerte es nicht lange, bis er mit seinem Team an der Spitze der NHL angelangt war und zum neuen Helden der Stadt avancierte. Im zweiten Jahr war erst in den Conference Finals gegen die San Jose Sharks Endstation, ehe 2010 der ganz große Wurf gelang.

Im Stanley-Cup-Finale trafen die Blackhawks auf die Philadelphia Flyers und holten sich nach sechs Spielen den ersten Titel seit 1961. Siegtorschütze in der Overtime des sechsten Finalspiels war übrigens kein Geringerer als das neue Gesicht der Franchise: Kane.

Mittlerweile steht fest, dass er mit den Hawks eine Ära prägt, ein Ende scheint nicht in Sicht. Zwei weitere Titel 2013 und 2015 konnte das Team von Joel Quenneville seitdem feiern. Auch in der laufenden Saison liegt Chicago in der Western Conference wieder auf Playoff-Kurs.

Wohin geht die Reise?

Kane baut derweil weiter fleißig an seinem eigenen Denkmal. Bislang hat der 27-Jährige in 576 Spielen für Chicago sagenhafte 557 Punkte gesammelt. Mit einem Schnitt von 0,97 Punkten pro Spiel liegt er auf Rang sechs der vereinsinternen All-Time-Liste. Betrachtet man ausschließlich die Playoffs, liegen nur noch vier Spieler, die mehr Tore erzielt haben, vor ihm.

Spitzenreiter Stan Mikita ist nur noch elf Treffer entfernt. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass man in Chicago bald den nächsten Kane-Rekord feiern darf. Und vielleicht schafft er es ja auch den ewigen Wayne Gretzkys zu überflügeln. Dem Kanadier gelang es, in 51 Spielen in Serie zu punkten. Ein weiter Weg - sogar für Chicagos Heiland.

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