NHL

Der Hexer namens Thomas

Von Florian Regelmann
Dennis Seidenberg, Tim Thomas und die Bruins haben die Serie wieder ausgeglichen
© Getty

Dennis Seidenberg und die Boston Bruins sind endgültig zurück in den Stanley-Cup-Finals! Boston gewann Spiel 4 gegen Christian Ehrhoff und die Vancouver Canucks mit 4:0 und glich damit in der Best-of-seven-Serie zum 2-2 aus. Überragender Mann auf dem Eis war einmal mehr Keeper Tim Thomas.

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Rich Peverley schoss die Bruins in der 12. Spielminute in Führung, im zweiten Drittel brachte ein Doppelschlag von Michael Ryder (32.) und Brad Marchand (34.) Boston endgültig auf die Siegerstraße. Den Schlusspunkt setzte dann im letzten Drittel erneut Peverley (44.).

Der Held des Abends hieß im TD Garden einmal mehr aber Tim Thomas. Der Superstar-Goalie der Bruins parierte alle 38 Schüsse der Canucks und feierte seinen dritten Shutout in den diesjährigen Playoffs. Sein Gegenüber Roberto Luongo hatte dagegen zum zweiten Mal in Folge ein Spiel zum Vergessen.

Luongo machte nur 16 Saves und wurde nach dem 0:4 von Vancouvers Coach Alain Vigneault auf die Bank geholt. Christian Ehrhoff (22:43 Minuten Eiszeit) war noch einer der besseren Canucks-Spieler. Der Deutsche stand als einziger Verteidiger bei keinem Gegentor auf dem Eis und feuerte in der Offensive 7 Schüsse auf den Kasten von Thomas ab. Kein Spieler beider Mannschaften gab in Spiel 4 so viele Schüsse ab wie Ehrhoff.

Dennis Seidenberg (25:48 Minuten Eiszeit, +2) lieferte eine seiner jetzt schon gewohnten Top-Leistungen ab und erhielt mal wieder die meiste Eiszeit bei den Bruins. Spiel 5 der Serie findet in der Nacht auf Samstag nun wieder in der Rogers Arena zu Vancouver statt.

Reaktionen:

Claude Julien (Trainer Boston): "Wir müssen jetzt in Vancouver so weitermachen. Es ist egal, wo du bist, du musst immer gleich spielen, ob das jetzt zuhause oder auswärts ist."

Brad Marchand (Boston): "Zuhause ist es immer einfacher. Wir leben von der Energie, die uns unsere Fans geben. Und jeder ist im Moment so fokussiert bei uns."

Dennis Seidenberg (Boston): "Wir sind einfach sehr aggressiv, üben großen Druck auf Vancouver aus und lassen sie keinen einzigen ruhigen Pass spielen."

Alain Vigneault (Trainer Vancouver): "Louie wird das wegstecken. Er ist einer der besten Torhüter der Liga. Wir haben sehr viel Vertrauen in ihn und glauben an seine Stärke."

Roberto Luongo (Vancouver): "Wir haben jetzt eine Best-of-three-Serie, und wir haben den Heimvorteil. Dafür haben wir die ganze Saison gearbeitet. Wir müssen wieder so spielen, wie wir das in den ersten beiden Spielen getan haben."

Kevin Bieksa (Vancouver): "Es ist nicht Robertos Schuld. Die ganze Mannschaft hat das Spiel verloren."

Der SPOX-Spielfilm:

Vor dem Spiel: Beide Teams müssen nach dem Hit von Rome gegen Horton umstellen. Ballard ersetzt den gesperrten Rome in der Canucks-Verteidigung, außerdem bringt Vigneault Glass in der vierten Reihe für Tambellini. Bei den Bruins rückt Peverley für den verletzten Horton in die erste Reihe zu Lucic und Krejci - und Seguin kehrt nach einem Spiel Pause in die Mannschaft zurück.

9.: Ryder muss wegen Beinstellens für zwei Minuten auf die Strafbank, aber das Power Play der Canucks will weiterhin nicht aufwachen. Nur einen Schuss geben die Canucks in Überzahl ab. Boston bekommt durch den Kill etwas Momentum.

12.: Tor für Boston! 1-0, Peverley (Krejci, Chara)! Krejci kann den Pass von Chara nicht sauber annehmen, chippt den Puck aber mit letztem Einsatz noch perfekt in den Lauf von Peverley. Salo steht auf der rechten Seite viel zu hoch, Peverley nützt seinen Speed, läuft auf Luongo zu und haut dem Canucks-Keeper die Scheibe zwischen den Beinen durch ins Netz.

27.: Die Canucks machen eigentlich ein ordentliches Auswärtsspiel und dominieren auch zu Beginn des Mitteldrittels. Schussverhältnis: Vancouver: 20. Boston: 7. Torres zieht mittig aus dem Slot ab, aber Thomas ist mit dem Blocker zur Stelle. Die Canucks verzweifeln schon wieder am Bruins-Hexer.

32.: Tor für Boston! 2-0, Ryder (Seguin, Kelly)! Seguin spielt den Cross-Ice-Pass auf Ryder, der auf der linken Seite ins Drittel der Canucks eindringt und einen Snap-Shot abfeuert. Salo fälscht den Schuss ganz leicht ab, der Puck flattert unter Luongos Fanghand hindurch in den Kasten.

34.: Tor für Boston! 3-0, Marchand (Bergeron)! Furchtbarer Shift von Rome-Ersatz Ballard. Weil Marchand aggressiv forecheckt, verliert Ballard den Puck. Ballard braucht viel zu lange, bis er wieder auf den Beinen ist, hat den Puck dann zwar vor seinen Füßen, aber Bergeron stochert ihn an der Seite des Gehäuses stehend vors Tor, wo Marchand den Puck per Backhander unter die Latte nagelt.

34.: Kurze Zeit nach dem 3:0 treffen sich Seidenberg und Ehrhoff zum deutschen Duell auf dem Eis! Ehrhoff geht aggressiv nach vorne, befindet sich tief in der Zone der Bruins und bekommt einen hammerharten Check von Seidenberg ab. So geht das unter Freunden!

44.: Tor für Boston! 4-0, Peverley (Lucic, Krejci)! Weil Bieksa an der blauen Linie den Hit verpasst, geht Lucic einfach an ihm vorbei und spielt dann den Querpass vors Tor. Dort kämpfen Peverley und Kesler, Luongo lenkt den Lucic-Pass genau auf Peverley ab, und vom Boston-Stürmer geht der Puck ins Tor. Luongos Abend ist vorbei. Schneider kommt rein.

53.: Als Legende Bobby Orr als Ehrenkapitän der Bruins vorgestellt wurde, hatten wir vor dem Spiel den ersten Gänsehaut-Moment des Abends. Jetzt gibt es den zweiten: "Na-than Hor-ton"-Sprechchöre im TD-Garden!

58.: Jetzt wird es noch mal richtig hässlich. Gerade eben gab es schon mächtig Ärger, als Marchand beim Forecheck Ehrhoff mit einer Art Clothesline zu Fall brachte und dann noch Daniel Sedin aushebelte, jetzt geht die Post schon wieder ab. Burrows steht vor dem Tor, malträtiert Thomas solange mit Stockschlägen, bis der Bruins-Goalie irgendwann genug hat und Burrows von hinten einen Stockschlag verpasst. Burrows geht auf Thomas los, Seidenberg stürzt sich auf Burrows. That's hockey.

Der Star des Spiels: Tim Thomas. Die Legende des Tim Thomas wächst immer weiter. Sollten die Bruins den Stanley Cup gewinnen, geht der MVP-Award automatisch innerhalb von Sekunden an Thomas. Was der 37-jährige Goalie derzeit veranstaltet, ist einfach der helle Wahnsinn. In den letzten beiden Spielen hat Thomas 78 von 79 Schüssen der Canucks abgewehrt. Das ergibt eine ganz akzeptable Fangquote von 98,7 Prozent. Wenn man das Spiel 7 der Eastern Conference Finals gegen Tampa Bay noch einrechnet, hat Thomas in seinen letzten drei Heimspielen 102 von 103 Schüssen pariert, die auf seinen Kasten kamen. Irre. Er sitzt definitiv in den Köpfen der Canucks-Stürmer. Der offensive Star des Abends: Rich Peverley. Ersetzt Horton in der ersten Reihe und schießt in 60 Minuten sofort so viele Tore wie in den gesamten Playoffs zuvor.

Der Flop des Spiels: Roberto Luongo. Es wäre zu einfach, alle Probleme der Canucks an Luongo festzumachen. Es zeigt sich in den letzten Spielen vor allem auch, dass der Ausfall von Top-Verteidiger Dan Hamhuis Vancouver unglaublich wehtut. Keith Ballard, der in Spiel 4 für Aaron Rome ins Team rückte, machte eine miserable Partie. Kevin Bieksa ist ohne seinen Partner Hamhuis auch nicht mehr der gleiche Spieler. Aber: Im Endeffekt kommt man nicht drumherum, dass ein Goalie (Thomas) alles hält - und der andere (Luongo) seinem Team nicht die Big Saves gibt, die es braucht. Luongo hat in den letzten zwei Spielen 12 Tore kassiert, seine Fangquote steht in diesem Zeitraum bei 79,3 Prozent - so kann es für Vancouver nicht gehen. Bezeichnend war der Jubel der Canucks-Fans in der heimischen Rogers Arena, als Cory Schneider in die Partie kam.

Analyse: Es ist nur wenige Tage her, da sind die Bruins in Vancouver mit zwei herzzerreißeden Niederlagen im Gepäck in den Flieger gestiegen und mit null Momentum in Boston wieder angekommen. Die Canucks dagegen hätten sich gar nicht besser fühlen können, als sie nach ihren beiden dramatischen Siegen in Spiel 1 und 2 in Boston ankamen. Es schien alles für sie zu laufen, sie hatten praktisch schon eine Hand am Stanley Cup. Und jetzt? 8:1, 4:0 - 12:1 Boston! Wie schnell sich so eine Serie doch auf unfassbare Art und Weise drehen kann.

Denn jetzt steigen die Canucks mit gesenktem Haupt und vielen Fragen in den Flieger gen Heimat, und die Bruins könnten gar nicht mit mehr Energie beladen sein. Dabei war nicht alles schlecht, was Vancouver in Spiel 4 machte. Die Canucks lieferten erst mal ein gutes Auswärtsspiel ab und waren das dominante Team. Vor allem die Sedin-Zwillinge machten bei jedem Wechsel unglaublich Betrieb. Sie trafen aber nicht.

Boston blieb immer brandgefährlich und war viel effizienter. Die Canucks ließen sich zwar durch den Rückstand im ersten Drittel nicht entmutigen (zwischenzeitlich 20:7-Schüsse), aber sie fanden erneut keine Lösung, wie sie Thomas bezwingen sollen und kamen trotz vieler Schüsse zu wenigen echten Torchancen. Bei vielen Saves machten sie es Thomas auch zu einfach. Als die Bruins Mitte des Spiels durch den Doppelschlag von Ryder und Marchand auf 3:0 davozogen, war das Spiel gelaufen. Ein 0:3 aufholen? Gegen Thomas? Unmöglich.

Marchand ist im Schatten von Thomas einer der wichtigsten Faktoren dafür, dass Boston die Serie ausgleichen konnte. Der 23-Jährige ist zwar klein von Statur, aber er ist er für jeden Gegner eine richtige Pest. Pfeilschnell, physisch, torgefährlich (8 Playoff-Tore) - Marchand hat das komplette Paket. Seine Alleingänge sind teilweise atemberaubend. Und er geht den Sedins mit seiner Spielweise offenkundig unglaublich auf die Nerven.

Während Marchand seinen Job stark macht, müssen sich bei den Canucks einige Herren Kritik gefallen lassen. Es sind nicht nur die Sedins (2 Scorerpunkte in 4 Spielen), die von Bostons Defense ziemlich aus dem Spiel genommen werden. So ist die zweite Reihe um Ryan Kesler bislang noch gar nicht in Erscheinung getreten. Ohne ihre Produktion kann Vancouver den Cup aber nicht gewinnen. Genauso wenig wie ohne ein produktives Power Play. Die PP-Quote ist nach einer weiteren 0/6-Performance jetzt auf 4,5 Prozent (1/22) gesunken.

Boston ist bei 5-gegen-5 die bessere Mannschaft, das sagt auch die Statistik aus. Die Bruins haben bei 5-gegen-5 in der Postseason einen Wert von +25, die Canucks stehen bei -2. Vancouver braucht sein Überzahlspiel. Die Canucks verloren im Laufe des Spiels praktisch jeden Zweikampf um den Puck, sie wirkten zusehends frustriert und müde, während die Energie bei den Bruins immer weiter stieg.

Aber: Im Prinzip ist aus Sicht der Canucks nichts passiert. Sie haben ihre beiden Heimspiele gewonnen, jetzt haben die Bruins ihre beiden Heimspiele gewonnen. Wir haben eine Best-of-three-Serie um den Stanley Cup. Alles offen.

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