NHL

"Ich bin kein Neandertaler"

Von Interview: Alexander Mey
Christian Ehrhoff steht mit den Vancouver Canucks zum ersten Mal in den Stanley-Cup-Finals
© Getty

In der Nacht auf Donnerstag treffen Christian Ehrhoff und Dennis Seidenberg in Spiel 1 der Stanley-Cup-Finals zum ersten Mal aufeinander. Im Duell der Vancouver Canucks und der Boston Bruins wird es einen deutschen Sieger geben - den ersten seit Uwe Krupp 1996. Im SPOX-Interview beschreibt Ehrhoff den Druck einer ganzen Nation, sein nicht existierendes Verhältnis zu Seidenberg, das Canucks-Rezept für den Titelgewinn und Erinnerungen an die Schulzeit. Und er macht ein großes Geheimnis um seine Verletzung.

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SPOX: Wieder mal ein Interview mit einem deutschen Medium. Das ist Ihnen zuletzt häufiger passiert, nehme ich an. Sie merken, Ihr Duell mit Dennis Seidenberg um den Stanley Cup ist jenseits des Atlantiks eine große Nummer.

Christian Ehrhoff: Das ist mir aufgefallen. Ich habe sehr viele Interview-Anfragen in den letzten Tagen. Es ist schön zu sehen, dass zum Finale ein so großes Interesse in Deutschland herrscht.

SPOX: Können Sie den entstehenden Hype um das deutsch-deutsche-Finale in Ihrer Situation überhaupt teilen?

Ehrhoff: Es ist natürlich schön für das deutsche Eishockey, dass auf jeden Fall ein Deutscher den Stanley Cup holen wird, aber für mich spielt das ehrlich gesagt überhaupt keine Rolle. Ich konzentriere mich voll auf meine Aufgabe hier in Vancouver. Ich will schließlich der Deutsche sein, der das Ding gewinnt.

SPOX: Dann wären Sie der Nachfolger Ihres Bundestrainers Uwe Krupp, der bisher als einziger deutscher Spieler 1996 den Cup gewonnen hat. Hat er sich schon gemeldet?

Ehrhoff: Vor den Finals noch nicht. Zuletzt hat er sich zu Beginn der Playoffs gemeldet. Aber er und seine Erfolge sind natürlich ein Vorbild für mich und ich möchte gerne in seine Fußstapfen treten.

SPOX: Krupp hat 1996 in der Overtime des entscheidenden Spiels das Siegtor erzielt. Sie waren damals 14 Jahre alt. Haben Sie das Spiel gesehen?

Ehrhoff: Ja, ich habe das Spiel zum Teil gesehen, bin aber mittendrin ins Bett gegangen, weil ich am nächsten Tag in die Schule musste. Als ich dann aufgestanden bin, habe ich gerade noch gesehen, wie Uwe Krupp sein Tor geschossen hat. Danach habe ich mir dann noch die ganzen Siegesfeiern angeschaut. Das war sehr schön.

SPOX: Jetzt haben Sie selbst die Chance, das zu erreichen, wovon Sie schon als Kind geträumt haben. Müssen Sie sich manchmal kneifen?

Ehrhoff: Ja, schon. Ich glaube, ich werde erst irgendwann im Sommer realisieren, was in den letzten Wochen alles passiert ist. Im Moment bin ich voll fokussiert auf meine Aufgabe und alles zieht unheimlich schnell an mir vorbei. Aber es ist eine tolle Zeit.

SPOX: Leben Sie im Moment ausschließlich in der Parallelwelt NHL-Playoffs?

Ehrhoff: Das normale Leben geht schon weiter. Ich habe zu Hause eine Frau und zwei Töchter. Die sorgen schon dafür, dass ich am normalen Leben teilnehme. Aber sie versuchen auch, Rücksicht auf mich zu nehmen und darauf zu achten, dass ich genug Schlaf und Pausen bekomme.

SPOX: Ganz Kanada ist wegen der Canucks im Ausnahmezustand, immerhin datiert der letzte Titelgewinn der Montreal Canadiens aus dem Jahr 1993. Wie stark lastet der Druck einer ganzen Nation auf Ihren Schultern?

Ehrhoff: Der Druck von außen ist riesig. Aber nicht erst seit jetzt. Den haben wir schon seit Anfang der Saison, schließlich wurden wir von Beginn an als Favoriten gehandelt. Wir haben aber sehr gut gelernt, damit umzugehen und machen uns sogar intern selbst Druck. Das belastet uns nicht.

SPOX: Ist das der Unterschied zu den Canucks der Vorsaison?

Ehrhoff: Wir haben aus diesen Niederlagen gelernt. Zudem haben wir mehr Tiefe im Kader und konnten die Verletzungen, die uns vor einem Jahr noch stark geschwächt haben, besser ausgleichen.

SPOX: Was wird das für eine Serie gegen Boston?

Ehrhoff: Das wird eine tolle Serie werden. Vancouver ist wie gesagt im Ausnahmezustand und ich werde mit Sicherheit Gänsehaut haben, wenn ich in Spiel 1 aufs Eis komme. Dann noch Boston als Gegner - ein Team mit riesiger Tradition. Super!

SPOX: Dennis Seidenberg konnte sich im SPOX-Interview nicht entscheiden, wo er den Stanley Cup hinbringen soll, wenn er ihn gewinnt. Wie sehen Ihre Pläne aus?

Ehrhoff: Darüber mache ich mir lieber erst Gedanken, wenn es soweit ist.

SPOX: Kommt es in Frage, vor den Finals Kontakt mit Seidenberg aufzunehmen oder ist das tabu?

Ehrhoff: Ich denke, wir werden erst nach den Finals sprechen. Jetzt soll sich jeder auf sein Team konzentrieren.

SPOX: Sie spielen beide nicht nur in den Finals mit, Sie sind Leistungsträger in Ihren Teams und haben sich zu Star-Verteidigern in der NHL entwickelt. Hätten Sie gedacht, dass Sie es einmal so weit bringen würden?

Ehrhoff: Das war immer mein Ziel und ich habe hart dafür gearbeitet. Es war ein steiniger Weg und jetzt erhalte ich den verdienten Lohn.

SPOX: Gab es einen Knackpunkt in Ihrer NHL-Karriere?

Ehrhoff: Grundsätzlich habe ich mich kontinuierlich gesteigert, aber der Wechsel von San Jose nach Vancouver hat mich einen deutlichen Schritt nach vorne gebracht, weil ich hier eine andere Rolle in der Verteidigung einnehmen konnte. Die hätte ich bei den Sharks wahrscheinlich nicht bekommen.

SPOX: Sie spielen in Vancouver offensiver als Seidenberg in Boston.

Ehrhoff: Natürlich spiele ich sehr gerne offensiv, aber ich bin auch ein guter Allrounder. Ich habe in dieser Saison in allen Situationen gut gespielt.

SPOX: Wie wird Seidenbergs Entwicklung in Nordamerika bewertet?

Ehrhoff: Er hat in den Medien sehr gute Kritiken bekommen und spielt sehr gute Playoffs.

SPOX: Unterscheidet sich die Vorbereitung auf die Finals von denen auf andere Serien?

Ehrhoff: Das Drumherum ist anders. Es ist viel mehr los und das Medieninteresse ist deutlich größer. Aber unsere Coaches bereiten uns genauso auf Boston vor wie auf die Gegner in den anderen Serien auch.

SPOX: Muss man den Gegner auf dem Eis hassen, wenn man in einem so emotionalen Ausnahmezustand ist wie in den Stanley-Cup-Finals?

Ehrhoff: Ich muss meinen Gegner nicht hassen, um aggressiv zu sein und mein bestes Eishockey zu spielen. Diese Aggressivität kommt von ganz alleine. Man muss seinen Gegner vielmehr respektieren.

SPOX: Wie groß ist der Respekt vor der Bruins-Defensivreihe Seidenberg/Chara? Werden die Sedin-Brüder gegen die beiden ebenso gut scoren können wie zuletzt gegen San Jose?

Ehrhoff: Seidenberg und Chara werden ihre Probleme bekommen, die beiden Sedins zu stoppen. Sie sind sehr gut drauf und haben die ganze Saison über super gespielt.

SPOX: Sollte es bei den beiden mal nicht so gut laufen, gibt es ja immer noch Ryan Kesler, der ganz starke Playoffs spielt.

Ehrhoff: Er ist auf jeden Fall eine perfekte Entlastung. Es ist ja nicht so, dass man als Gegner von uns einfach die Sedins ausschaltet und uns damit geknackt hat. Wir haben sehr tiefe Reihen. Das war bisher ein großer Vorteil von uns.

SPOX: Was für ein Typ ist Kesler auf und neben dem Eis?

Ehrhoff: Er ist ein guter Typ und mit der Schnauze immer ganz vorne dabei. Auf dem Eis gibt er immer alles und ist für uns da.

SPOX: Wie bewerten Sie das Duell zwischen zwei der besten Goalies der NHL, Tim Thomas und Roberto Luongo?

Ehrhoff: Dieses Duell wird eines der entscheidenden in der Serie sein. Beide sind Kandidaten für den besten Goalie der Saison und haben sehr starke Spiele gemacht. Klar bekommt Luongo es in Vancouver immer am heftigsten ab, wenn es mal nicht so gut läuft, aber das ist hier nun einmal so. Wenn es läuft, bist du der Held, wenn nicht, bist du der Loser. Wir erwarten von ihm in den Finals sehr gute Leistungen.

SPOX: Neben den Goalies werden auch die Special Teams die Serie mitentscheiden. Beim Blick auf die Power-Play-Zahlen ein klarer Vorteil für die Canucks.

Ehrhoff: Wenn man sich die Statistiken ansieht, sehen wir im Power Play in der Tat besser aus als Boston und wir hoffen natürlich, dass es weiterhin so gut in Überzahl läuft. Aber jede Serie ist anders, von daher können wir uns darauf nicht verlassen.

SPOX: Ist die längere Pause der Canucks nach dem klaren 4-1 gegen San Jose ein Vor- oder Nachteil?

Ehrhoff: Ich denke nicht, dass das jetzt noch eine Rolle spielt. Boston musste zwar in Spiel 7, aber auch sie haben zuletzt am Freitag gespielt und hatten danach einige Tage Pause. Da sehe ich also keinen Vorteil für uns.

SPOX: Für Sie speziell war die lange Pause aber Gold wert. Schließlich haben Sie so Ihre Verletzung auskurieren können.

Ehrhoff: Stimmt. Ich bin auf jeden Fall im ersten Spiel dabei. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

SPOX: Warum nicht?

Ehrhoff: Das macht man hier in den Playoffs so. Es wird einfach nicht preisgegeben, was für eine Verletzung man hat. Allein schon deshalb, um dem Gegner keine Hinweise zu geben.

SPOX: Aber hier in Deutschland heißt es, Sie seien an der Schulter verletzt gewesen.

Ehrhoff: (lacht) Das kann und will ich nicht kommentieren.

SPOX: Ich merke, das ist ein sensibles Thema. Das hat aber nichts mit Aberglauben zu tun, oder?

Ehrhoff: Nein, gar nichts.

SPOX: Der Playoff-Bart schon. Wie geht es Ihrem?

Ehrhoff: Der ist ganz okay. Ich habe jetzt keinen riesigen Bartwuchs und bin kein Neandertaler, aber ein paar Haare habe ich schon.

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