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Third and Long: West Coast, Air Raid und Co. - die Offense-Schemes aller 32 Teams

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© getty

Die NFL-Saison rückt immer näher! Auch die NFL-Kolumne von SPOX-Redakteur Adrian Franke ist zurück aus der Sommerpause und hat zum Start in die Preseason den großen Überblick parat: Wie sollen die 32 Offenses eigentlich taktisch funktionieren? Und wie könnte das bei jedem Team konkret aussehen?

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Analog zur großen Offense-Preview aus dem Vorjahr liefert SPOX euch auch dieses Jahr wieder das offensive Hintergrundwissen für die nächsten fünf Monate: Welchen offensiven Kern haben die 32 Teams? Wie sehen die Schemes aus, was bedeutet das konkret für dieses Team, wie die jeweiligen Schemes funktionieren?

Zunächst zum allgemeinen Auffrischen nochmals die rudimentären Merkmale der drei Haupt-Offense-Schemes, welche die heutige NFL-Landschaft prägen, bevor es in die Vollen geht:

West Coast Offense - Merkmale:

  • Fokus auf kurze und mittellange Pässe - horizontales statt vertikales Passspiel.
  • Rhythmus und Timing sind von zentraler Bedeutung.
  • Dropback des Quarterbacks ist genau mit den Routes des Receivers synchronisiert.
  • Spiel soll mit einer Mischung aus (meist Zone-)Run Game und Kurzpassspiel kontrolliert werden.
  • Viele In-Breaking-Routes, viel Pre-Snap-Motion, Tight Ends und Running Backs intensiv als Receiver eingesetzt.
  • Einst von Bill Walsh geprägt, gibt es heute keine "reine" West-Coast-Offense mehr; kaum ein Team nutzt aber nicht zumindest einige Elemente aus dieser offensiven Philosophie.

Air Coryell - Merkmale:

  • Fokus auf ein vertikaleres Passspiel, das Downfield Passing Game ist prominenter als in anderen Offenses.
  • Spread Offense, die bewusst ein viel höheres Risiko im Passspiel eingeht.
  • Kombiniert in der Regel mit einem Power Run Game.
  • Der Tight End übernimmt häufig eine vergleichsweise große Rolle als Receiver.

Erhardt-Perkins Offense - Merkmale:

  • Fokus auf Konzepte und Kommunikation, statt auf eine grundsätzliche Philosophie.
  • Extrem wandelbar, passt sich stark an die Spieler an.
  • Eine EP-Offense kann genauso eine Oldschool-Run-Offense wie eine vertikale Spread-Offensive sein.
  • Es werden Route-Kombinationen in Konzepte unterteilt, um flexibel auf die Defense reagieren zu können.
  • So können aus unterschiedlichsten Formationen die gleichen Konzepte gespielt werden.
  • Die Offense ist dementsprechend auch beliebig erweiterbar, etwa mit Option-Plays, Option-Routes und dergleichen.

Arizona Cardinals Scheme

Stat to Know 2018: Arizona spielte 2018 genau einen einzigen Snap aus 10-Personnel (ein Running Back, vier Wide Receiver) und David Johnson lief 24 Prozent seiner Runs gegen acht oder mehr Spieler in der Box. Beides wird sich 2019 drastisch ändern.

Offense-Grundlage 2019: Air Raid.

Der Ausdruck "Air Raid" ist in Arizona seit dem Frühjahr fast ein wenig verpönt - der neue Head Coach Kliff Kingsbury selbst betont regelmäßig, dass man keine klassische Air Raid spielen wird. Das ist auch fraglos richtig, die klassische Air Raid ist zu radikal und zu simpel gleichzeitig für die NFL. Trotzdem deutet vieles darauf hin, dass Kingsburys Offense der Air Raid näher kommen wird als irgendeine andere NFL-Offense. Heißt: Deutlich überdurchschnittlicher Einsatz von 4-Receiver-Sets, diverse Varianten des "Mesh"-Konzepts, viel Empty Backfield, schnelle Reads und Pässe für Rookie-Quarterback Kyler Murray, sowie immer wieder No-Huddle-Phasen und Passing auch und gerade bei First und Second Down. In der Folge sollte es auch für die jungen Wide Receiver Hakeem Butler, Andy Isabella und KeeSean Johnson hinter Christian Kirk und Larry Fitzgerald einiges an Arbeit geben, während David Johnson wieder verstärkt als Matchup-Waffe gerade auch im Passing Game eingesetzt werden soll. Eine genaue Analyse der Air Raid Offense, wie sie in Arizona aussehen könnte, findet ihr hier.

Atlanta Falcons

Stat to Know 2018: Fast 27 Prozent seiner Pässe warf Matt Ryan via Play Action. Ligaweit hatte kein Quarterback eine schlechtere Play-Action-Completion-Quote im Vergleich zum Standard-Passing als Ryan (-7,3 Prozent)

Offense-Grundlage 2019: Air Coryell/West Coast Hybrid.

Geplant war eigentlich ein schematisch möglichst reibungsloser Übergang von Kyle Shanahan zu Steve Sarkisian - dieses Experiment hat man in Atlanta inzwischen aufgegeben. Züge von Shanahans West Coast Offense und seinem Outside Zone Blocking Scheme wird man auch weiterhin in Atlanta finden, mit der Rückkehr von Dirk Koetter als Offensive Coordinator wird es aber auch Änderungen geben. Die Offense bleibt zwar Pass-lastig, das war sie auch - immer wieder durch Rückstände notgedrungen - letztes Jahr schon; allerdings wird Koetter wieder einen stärkeren Fokus auf das vertikale Passspiel legen: Seine Quarterbacks in Tampa Bay warfen im Vorjahr den Ball im Schnitt über zwei Yards weiter als Matt Ryan.

Baltimore Ravens

Stat to Know 2018: Nachdem Lamar Jackson in Woche 11 als Starter übernahm, lief Baltimore bei 64 Prozent seiner Offense-Snaps, mit Abstand am häufigsten ligaweit. Auch bei First Down (74 Prozent Rushing) lief kein Team häufiger, genau wie bei Second Down (60 Prozent).

Offense-Grundlage 2019: Run-Heavy Option Offense.

Baltimores Head Coach John Harbaugh beschrieb die neue Ravens-Offense vor einigen Wochen im Adam Schefter Podcast so: "Wir werden verschiedene Aspekte nutzen. Wir werden Dropback-Pässe haben, ein Downhill-Run-Game, Run Pass Options, Triple Options, Play Action, Zone-Runs - wir werden viele verschiedene Dinge einsetzen, um Gegner auf dem falschen Fuß zu erwischen und für uns gute Matchups zu schaffen." Die Wahrheit ist, dass man nur spekulieren kann, wie die neue Ravens-Offense unter Greg Roman genau aussehen wird. Der wurde zum Offensive Coordinator befördert und hat in San Francisco um Kaepernick sowie in Buffalo mit Tyrod Taylor bereits Offenses um mobile Quarterbacks aufgebaut. Klar ist: Ein um Lamar Jackson aufgebautes, flexibles Option Run Game wird das Rückgrat sein; Harbaugh erklärte jüngst in einem Interview, dass man darauf setzen kann, dass Jackson mehr als die 139 Runs (persönliche Bestmarke von Cam Newton) verzeichnen wird. Damit bewegt man sich dann Richtung rund zehn QB-Runs pro Spiel. Kombiniert werden dürfte das mit Yards nach dem Catch und vertikalen Pässen zu den Tight Ends, sowie Run Pass Option und Play Action. Letztes Jahr kamen bereits absurde 42,9 Prozent von Jacksons Pässen via Play Action, der einsame Spitzenplatz. Eine ausführliche Vorschau auf die neue Ravens-Offense findet ihr hier.

Buffalo Bills

Stat to Know 2018: Josh Allen hatte 2018 73 Dropbacks aus Empty Sets. Diese Quote von 18,5 Prozent war der dritthöchste Wert hinter Roethlisberger und Watson. Aus Empty Sets hatten die Bills letztes Jahr sieben Pass-Plays über 20+ Yards.

Offense-Grundlage 2019: Erhardt-Perkins Offense mit Option-Elementen.

Die Bills hatten unter Brian Daboll eine wacklige erste Saison, was neben einem schwachen Offensiv-Kader insgesamt sowie den erwartbaren Startproblemen von Rookie-Quarterback Josh Allen auch darin begründet war, dass die Offense ihre Identität noch suchte, und zu einem gewissen Grad noch immer sucht. In einer Saison, in der er 396 Dropbacks verzeichnete, lief Josh Allen 47 Mal als Scrambler - also während eines Spielzugs, der eigentlich als Pass gedacht war - los. Anders gesagt: Bei fast zwölf Prozent seiner Dropbacks nahm Allen die Beine in die Hand. Bei diesen Scrambles erlief er absurde 508 Yards, es wäre also ein Fehler, ihm diese Qualität kategorisch auszutreiben. Nur kann man darum keine Offense aufbauen, jedenfalls keine konstant funktionierende Offense. Doch Buffalo fand einige Ansätze, etwa in der Art und Weise, wie die Bills in der zweiten Saisonhälfte aus Empty Sets immer besser wurden. Daboll ermöglichte Allen hieraus klare Reads insbesondere aus Empty Sets mit engen Formationen, diese Matchups konnte Allen dann auch regelmäßiger nutzen. Jetzt geht es darum, die Passing Offense auszubauen und Allen gleichzeitig innerhalb der Struktur der Offense Möglichkeiten zu geben, seine Athletik einzusetzen.

Carolina Panthers

Stat to Know 2018: Cam Newton führte die Liga 2016 mit 11 Intended Air Yards pro Passversuch - also wie weit er den Ball im Schnitt warf - an. 2017 stand er noch bei 8,2. In der vergangenen Saison in einer gezielt darauf umgestellten Offense bewegte er sich mit 7,1 Average Intended Air Yards in der Gesellschaft von Derek Carr (6,7), Eli Manning (7,2) und Marcus Mariota (7,5).

Offense-Grundlage 2019: Air Coryell.

Norv Turner kam nach einjähriger Coaching-Auszeit im Vorjahr nach Carolina, im Gepäck vermeintlich seine vergleichsweise klassische Interpretation der Air Coryell Offense. Die schien auch ideal zu passen: Groß gewachsene, physische Wide Receiver, ein sehr guter Tight End, ein Quarterback, dessen Stärke im vertikalen Passspiel liegt. Allein - Turner überraschte mit einer gänzlich anderen Interpretation seiner Offense. Newton warf gerade einmal 8,5 Prozent seiner Pässe 20 Yards oder weiter Downfield, ligaweit war nur Nick Mullens noch unter diesem Wert. Die Offense fand in der Mid-Range und vor allem im Kurzpassspiel statt und hier erhielt auch Christian McCaffrey in seiner Monster-Saison eine sehr gute Rolle. Diese Art der Offense passt auch zu den Waffen D.J. Moore und Curtis Samuel.

Chicago Bears

Stat to Know 2018: Im Gegensatz zu seinem Lehrmeister Andy Reid sowie dessen anderem Schüler Doug Pederson baute Matt Nagy in Chicago überraschend wenig auf das Play-Action-Passspiel: 22 Prozent von Trubiskys Pässen kam mit vorher angetäuschtem Run. Rund zehn Prozent weniger als bei Carson Wentz unter Pederson und fast neun Prozent weniger als bei Mahomes unter Reid.

Offense-Grundlage 2019: West Coast Spread Offense.

Ein Ableger der Andy-Reid-Offense unter Matt Nagy, und das sah man regelmäßig. West-Coast-Elemente kombiniert mit Air-Raid-Zügen, offenen Wurffenstern für den Quarterback und das geschickte Kreieren von Matchups war genauso sichtbar wie die vertikale Rolle des Running Backs im Passing Game. Tarik Cohen ist hier so etwas wie das aktuelle Musterbeispiel in der NFL. Gleichzeitig merkte man an mehreren Ecken noch, dass die neue Offense in Chicago Zeit brauchen wird. Das Screen-Game generell war längst nicht so effizient wie das der Chiefs, auch das Kurzpassspiel funktionierte noch nicht so gut - und im Play-Action-Passspiel taten sich die Bears ebenfalls überraschend schwer. Im Fokus steht dabei aber auch Quarterback Mitch Trubisky, bei dem neben gefährlichen Scrambling-Qualitäten vor allem Inkonstanz in puncto Accuracy die Saison prägte und der 2019 einen merklichen Schritt nach vorne machen muss.

Cincinnati Bengals

Stat to Know 2018: Sowohl Jeff Driskel (21 Prozent) als auch Andy Dalton (17 Prozent) bewegten sich 2018 im oberen Liga-Drittel was Pässe in enge Fenster angeht. Zum Vergleich: Jared Goff bei den Rams, von denen der neue Bengals-Coach Zac Taylor kommt, hatte einen der ligaweit niedrigsten Werte (13,2 Prozent).

Offense-Grundlage 2019: West Coast Offense.

Bill Lazors Air Coryell/West Coast Hybrid ist Geschichte; Zac Taylor, der vor Jahren in Miami kurzzeitig unter Lazor gearbeitet hat, kommt von den Rams und bringt die West Coast Offense von Sean McVay mit. Die Bengals spielten über Jahrzehnte eine West Coast Offense, sollte Taylor dem ähneln, was McVay bei den Rams spielt, wird es zumindest wieder ein gutes Stück in diese Richtung gehen. Das Attackieren einer Defense via Play Action sowie in der Mitte des Feldes sollte dabei genauso eine Rolle spielen wie Empty- und Single-Back-Sets. Dabei spielt die Offensive Line eine ganz zentrale Rolle, und es bleibt abzuwarten, wie groß der Fortschritt der Bengals angesichts der Verletzung von Jonah Williams und des Rücktritts von Clint Boling sein wird.

Cleveland Browns

Stat to Know 2018: Kein Team spielte mehr 13-Personnel (1 RB, 3 TE, 1 WR) als die Browns, die 14 Prozent ihrer Offense-Snaps so bestritten. Daraus waren sie im Passspiel extrem aggressiv, mit einer durchschnittlichen Target-Tiefe von 13 Yards und 9,7 Yards pro Pass.

Offense-Grundlage 2019: Flexible Air Raid mit Fokus auf vertikales Passspiel.

In Cleveland könnte eine wirklich spannende Offense entstehen. Nicht nur aufgrund des immensen Potenzials, das Baker Mayfield angedeutet hat oder aufgrund des Waffenarsenals, das in der Offseason mal eben mit Odell Beckham verstärkt wurde. Es ist auch die Kombination der Coaches, die für einen spannenden Ansatz sorgt: Der zum Head Coach beförderte Freddie Kitchens ist vergleichsweise noch ein unbeschriebenes Blatt - seine einzige Saison als Offensive Coordinator kam letztes Jahr, nachdem die Browns Hue Jackson und Todd Haley gefeuert hatten. Was wir wissen? Kitchens bringt aus fünf Jahren unter Bruce Arians in Arizona eine Vorliebe für das vertikale Passspiel mit und hat offensichtlich auch von Arians einiges über das Kreieren von Plays mit funktionierenden Route-Kombinationen gelernt. Gleichzeitig war er durchaus flexibel mit seinen Formationen. Todd Monken, der als Offensive Coordinator verpflichtet wurde, hat indes eine klare Prägung in der Air Raid Offense, ähnlich der Offense, die Mayfield im College gespielt hat. Das muss jetzt in einem funktionierenden Playbook vereint werden.