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Arizona und die Air Raid Offense - Sieht so die NFL-Revolution aus?

Kliff Kingsbury und die Arizona Cardinals könnten eine neue Offense-Ära in der NFL einleiten.
© getty
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Fazit: Sehen wir eine Revolution in der NFL?

Die Air Raid genoss in der NFL lange keinen guten Ruf, so produktiv sie im College auch war. Viele scherten die verschiedenen Auslegungen der Air Raid über einen Kamm und sahen in allen Varianten zu Unrecht die simple Variante, die insbesondere Art Briles in Baylor installiert hatte; die Offense, aus der Robert Griffin III in die NFL kam.

Unbestreitbar war, dass mehrere Air-Raid-Quarterbacks - von Tim Couch über Brandon Weeden bis zu Johnny Manziel - in der NFL nicht ansatzweise an ihre Erfolge und großen Stats anknüpfen konnten, die sie in der Air Raid im College zuvor hatten; was womöglich eher ein Argument für die Qualitäten der Offense als irgendetwas anderes ist.

Doch der Wind dreht sich. Jared Goff kam aus der Air Raid bei Cal zu den Rams, wo er auf bestem Wege ist, unter Sean McVay ein guter NFL-Quarterback zu werden. Nick Foles spielte im College ebenfalls in der Air Raid, auf seinem Lebenslauf steht inzwischen ein Super-Bowl-MVP-Titel - in einer Eagles-Offense, die mehrere Air-Raid-Basics nutzte. Und Case Keenum, der unter Kingsbury in Houston gespielt hatte, legte vorletztes Jahr in Minnesota eine spektakuläre Saison hin. Ganz zu schweigen von Patrick Mahomes letztes Jahr.

Chiefs, Patriots, Eagles - die Air Raid in der NFL

Quarterbacks mit konkretem Air-Raid-Hintergrund hatten in den vergangenen zwei Jahren also durchaus Erfolg in der NFL, während die Basis-Play-Konzepte der Offense ebenfalls mehr und mehr in der NFL zu finden sind.

Die Chiefs mit Mahomes haben hierauf noch mehr Wert gelegt, "Mesh" ist hier längst ein Basis-Konzept geworden. Das gilt auch für die Patriots, die dieses Konzept seit Jahren erfolgreich nutzen; Eagles-Coach Doug Pederson hatte im Super Bowl gegen die Pats vier Mal "Mesh" angesagt, Foles brachte alle vier Pässe für 81 Yards an. Auch die Saints nutzen seit Jahren Air-Raid-Konzepte.

Kingsburys Air Raid: Kommt die offensive Revolution?

Es geht also gar nicht so sehr um revolutionäre Play-Designs, auch wenn die Mischung aus Kingsburys Offense und der Oklahoma-Offense spannend werden dürfte. Eher der übergreifende Ansatz könnte tatsächlich zu einer offensiven Revolution in der NFL führen.

Letztes Jahr überraschten die Rams die Liga mit rund 90 Prozent ihrer Plays aus 11-Personnel (ein Running Back, ein Tight End, drei Wide Receiver) und nur wenig verschiedenen Formationen.

11-Personnel ist die Standard-Aufstellung in der NFL heute; 65 Prozent der ligaweiten Offense-Snaps letztes Jahr kamen aus diesem Personnel-Grouping heraus. Insgesamt waren nur die 49ers bei unter 50 Prozent - San Francisco führte die Liga stattdessen mit weitem Abstand in 21-Personnel an (41 Prozent), da kein Coach den Fullback so vielseitig einsetzt wie Kyle Shanahan.

Dazu zunächst die Frage: Wie groß war der ligaweite NFL-Prozentsatz an Plays mit vier oder fünf Wide Receivern auf dem Feld?

Jahr10-Personnel: 4 WR01-Personnel: 4 WR5-WR-Sets
20182% (519 Total Plays)1% (210 Total Plays)>1% (97 Total Plays)
20172% (648 Total Plays)1% (361 Total Plays)>1% (131 Total Plays)
20163% (1.183 Total Plays)1% (489 Total Plays)1% (175 Total Plays)

Kingsbury könnte diese Zahlen deutlich übertreffen. Die Seahawks hatten letztes Jahr die meisten 10-Personnel Groupings (76 Total, 7 Prozent ihrer Plays) und wer sich Kingsburys Offense anschaut, kann sich nur schwer vorstellen, dass er diese Zahl nicht pulverisieren wird.

Und weiter noch: Die Steelers führten letztes Jahr die Liga mit 18 Prozent ihrer Plays aus Empty-Formations - also ohne einen Spieler abgesehen vom Quarterback im Backfield - an.

Kingsburys Offense will die Defense so weit es geht in die Breite ziehen und das Feld so öffnen, seine Play-Designs im College zeigen das immer wieder. Wenn wir davon ausgehen, dass er viel mit vier Wide Receivern und dann gemeinsam mit David Johnson aus "5-Wide"-Formationen agieren will: Könnte Kingsbury in puncto Personnel Groupings und generellen Formationen eine aggressivere, Pass-lastigere Denkweise in der NFL signifikant vorantreiben?

Im Gegensatz zum College, wo Teams aufgrund deutlich unterschiedlicher Möglichkeiten, was die Physis und das Talent der eigenen Spieler angeht, drastische Unterschiede im Run Game aufweisen (die Schere bei den Teams auf dem höchsten College-Level geht von etwa 2 Yards pro Run bis 7 Yards pro Run), ist in der NFL das Run Game längst nicht mehr der entscheidende Faktor.

In der NFL gewinnt man mit dem Passing Game, weshalb Texas-Recruiting-Director Bryan Carrington auch zu Jahresbeginn bei Bleacher Report bereits betonte: "Wenn man sieht, wie sich die NFL in Richtung des Passing Games entwickelt, verstehe ich, warum Teams Kingsbury als dieses Einhorn sehen. Er ist einer der klügsten Offense-Köpfe des Landes und wenn ich mir die Rams, Chiefs, Bears oder Saints anschaue, sehe ich im Prinzip Big-12-Offenses."

Vielleicht ist Kingsburys Offense auch zu extrem für die NFL. Vielleicht gehen seine Personnel-Pläne aufgrund der deutlich strengeren Kader-Restriktionen nicht auf. Vielleicht gelingt ihm die Anpassung an die komplexesten Defenses der Welt nicht. All das ist ohne Frage möglich und darf hier nicht unerwähnt bleiben.

Vielleicht aber kommt Kingsbury auch zum exakt richtigen Zeitpunkt in die NFL und die Idee, sich mit einem der besten Passing-Offense-Designer aus dem College an die Spitze der NFL-Entwicklung zu setzen, geht voll auf.

Eines steht fest: Die Cardinals gehen mit Kingsbury und Murray immenses Risiko ein. Und wenn sonst nichts daraus entsteht, dann ist zumindest klar, dass die Umsetzung dieser Offense in der NFL Must-Watch-TV für NFL-Analysten sein wird. Es könnte sich um einen Meilenstein handeln.