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Free Agency: Warum sind die Patriots der Liga konstant voraus?

Die New England Patriots haben seit Jahren in der Free Agency einen anderen Ansatz als andere Teams.
© getty

Die heiße Phase der Free Agency ist vorüber und in New England ist wieder einmal mehr hochpreisige Qualität gegangen als gekommen. Das gehört bei den Patriots allerdings zum großen Muster, und gibt ein klares Indiz darauf, warum New England seit Jahren in puncto Kader-Zusammenstellung so vielen Teams voraus ist.

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Es kommt nur ausgesprochen selten vor, dass die Patriots in der Free Agency wirklich zuschlagen und einen Hochkaräter von außerhalb verpflichten. Man müsste schon zwei Jahre bis zu Stephon Gilmore zurückgehen, den New England damals in der Free Agency verpflichtete - und das ist auf weiter Flur auch der einzige wirklich hochpreisige Free-Agent-Neuzugang in Foxboro.

Darrelle Revis kam dem 2014 noch am nächsten, der allerdings unterschrieb praktisch nur für ein Jahr. Am ehesten fanden Investitionen in die Secondary statt, wo Belichick, verglichen mit Edge-Rushern und der Defensive Line generell, taktisch und finanziell den größeren Wert sieht.

Und wie schon in den vergangenen Jahren, als man Spieler wie Nate Solder, Malcolm Butler, Dion Lewis, Danny Amendola, Logan Ryan, Martellus Bennett oder Jabaal Sheard gehen ließ, stehen auch nach der ersten großen Free-Agent-Welle deutlich namhaftere Ab- als Zugänge fest. Unter anderem Trent Brown, Trey Flowers, Malcom Brown und Cordarrelle Patterson sind weg, Chris Hogan wird wohl folgen.

In Panik verfällt deshalb in New England niemand, eher das Gegenteil ist der Fall. Denn die Patriots haben sich über die letzten Jahre geradezu darauf spezialisiert, Top-Free-Agents ziehen zu lassen, und das nutzen sie konstant zu ihrem Vorteil. Es ist ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten und mit Weitsicht, welches bislang von New England dominiert wird.

Die Patriots und die Compensatory Pick Formel

Um den Ansatz zu verstehen, muss man verstehen, wie Compensatory Picks funktionieren. Vorweg: Die exakte Formel, welche die NFL anwendet, um jährlich zusätzliche Draft Picks zu verteilen, ist nicht bekannt. Blickt man aber auf die Teams, die in den vergangenen Jahren Compensatory Picks erhalten haben, dann fallen einige Eckpfeiler dafür, wie die Liga die Formel erstellt, auf.

Der grundsätzliche Ansatz ist dieser: Teams, die in der Free Agency quantitativ und qualitativ mehr Spieler verlieren, als sie neu verpflichten, werden mit Compensatory Draft Picks "entschädigt". Dabei kann kein Team mehr als vier Compensatory Picks pro Jahr erhalten und ein Compensatory Pick kann frühestens am Ende der dritten Runde verteilt werden.

Ein zentraler Aspekt für das Errechnen dieser Picks ist das durchschnittliche Jahresgehalt, welches die neu unterschriebenen Verträge beinhalten; doch auch Dinge wie die Einsatzzeit des Free Agents bei seinem neuen Team sowie mögliche Auszeichnungen werden berücksichtigt. Und: Wenn die Formel für ein Team erstellt wird, werden die Abgänge mit den Zugängen verrechnet.

Ein Beispiel: Die Miami Dolphins haben bislang dieses Jahr vier infrage kommende Free Agents verloren: Ja'Wuan James, Cameron Wake, Brandon Bolden und Frank Gore. Im Gegenzug hat Miami einen hier zu berücksichtigen Spieler verpflichtet, was dann in puncto Vertrag miteinander aufgewogen wird. Das könnte im Detail dann etwa so aussehen:

Abgänge Zugänge
SpielerAverage SalaryMögliche Comp. RundeSpielerAverage SalaryMögliche Comp. Runde
Ja'Wuan James12,75 Mio. Dollar3
Cameron Wake7,6 Mio. Dollar5
Brandon Bolden1,85 Mio. Dollar7Eric Rowe3,5 Mio. Dollar6
Frank Gore1,75 Mio. Dollar7

Der Abgang von Bolden wird mit der Verpflichtung von Eric Rowe verrechnet, sodass diese beiden aus der Formel raus fallen. Hätte Miami zu den berichteten Konditionen Teddy Bridgewater verpflichtet, hätte dieser wohl den mutmaßlichen Fünftrunden-Pick für Cam Wake ausradiert. Ein Team kann nur einen Compensatory Pick erhalten, wenn es mehr Spieler verloren als verpflichtet hat.

Die Verpflichtung von Dwayne Allen zählt hier nicht mit rein, genau wie die Tatsache, dass die Lions Ex-Dolphins-Receiver Danny Amendola unter Vertrag genommen haben. Nur Spieler, deren Vertrag regulär ausgelaufen ist und die Unrestricted Free Agents werden, zählen in die Formel. Die Patriots hatten Allen zuvor entlassen, genau wie Miami Amendola. Beide spielen also keine Rolle.

Und wie sieht das Modell jetzt für die Patriots aus?

Die Compensatory-Pick-Preview für die Patriots

Abgänge Zugänge
SpielerAverage SalaryMögliche Comp. RundeSpielerAverage SalaryMögliche Comp. Runde
Trey Flowers18 Mio. Dollar3
Trent Brown16,25 Mio. Dollar3
Malcom Brown5 Mio. Dollar6Terrence BrooksTBATBA
Cordarrelle Patterson5 Mio. Dollar6Mike Pennel TBATBA
Eric Rowe3,5 Mio. Dollar6Brandon Bolden1,85 Mio. Dollar7

Matt LaCosse hat zwar für mehr unterschrieben als Bolden, zählt allerdings nicht in die Formel, da er ein Restricted Free Agent war und von den Broncos keinen Tender erhalten hatte. Mit Chris Hogan etwa noch auf dem Markt könnte die Formel für New England im Endeffekt noch besser aussehen, davon ausgehend, dass sie keinen teuren Free Agent mehr verpflichten.

Die Patriots werden im diesjährigen Draft zwei zusätzliche Top-101-Picks haben: Nummer 97 und Nummer 101 erhielt New England über die Compensatory-Formel. Dazu gab es noch einen Pick in der sechsten und einen in der siebten Runde.

Der Draft ist eine sehr ungenaue Sache, auf lange Zeit beobachtet gibt es kein Team, das wirklich "gut" oder "schlecht" draftet. Umso wichtiger ist es, möglichst viel Munition in den ersten drei, vier Runden zu haben. Die Patriots sorgen konstant dafür, dass sie hier besser aufgestellt sind als die allermeisten Teams, weil sie das Spiel mit den "Bonus"-Draft-Picks beherrschen.

Aber natürlich müssen auch die Patriots Abgänge auffangen. Was macht New England also stattdessen? Die Patriots traden seit Jahren Mid- und Late-Round-Picks für Routiniers.

Die Patriots-Verpflichtungen via Trade der letzten 2 Jahre

DatumTrade mitPatriots erhaltenTrade-Partner erhält
8.3.2019Philadelphia EaglesMichael Bennett, 7. Runde 20205. Runde 2020
17.9.2018Cleveland BrownsJosh Gordon, 7. Runde 20195. Runde 2019
27.4.2018San Francisco 49ersTrent Brown, 5. Runde 20183. Runde 2018
18.3.2018Oakland RaidersCordarrelle Patterson, 6. Runde 20185. Runde 2018
15.3.2018Cleveland BrownsJason McCourty, 7. Runde 20186. Runde 2018
10.3.2018Cleveland BrownsDanny Shelton, 5. Runde 20183. Runde 2019
2.9.2017Indianapolis ColtsPhillip DorsettJacoby Brissett
2.9.2017Seattle SeahawksCassius Marsh5. Runde 2018, 7. Runde 2018
2.9.2017Detroit LionsJohnson Bademosi6. Runde 2019
29.4.2017Cincinnati BengalsMarquis Flowers7. Runde 2018
29.4.2017Kansas City ChiefsJames O'Shaughnessy, 6. Runde 20175. Runde 2017
10.3.2017New Orleans SaintsBrandin Cooks, 4. Runde 20171. Runde 2017, 3. Runde 2017
10.3.2017Carolina PanthersKony Ealy, 3. Runde 20172. Runde 2017
8.3.2017Indianapolis ColtsDwayne Allen, 6. Runde 20174. Runde 2017

Dazu kam im Oktober 2016 noch der Trade für Lions-Linebacker Kyle Van Noy, welcher New England einen Sechstrunden-Pick kostete und im Gegenzug einen Siebtrunden-Pick mitbrachte. Van Noy war ein Leistungsträger in der Super-Bowl-Defense der vergangenen Saison. Mit Van Noy haben die Patriots über die letzten zweieinhalb Jahre 15 Verpflichtungen via Trade durchgeführt.

Das diesjährige Paradebeispiel ist die Bennett-Verpflichtung. Die Pats wussten, dass sie Trey Flowers aller Voraussicht nach nicht halten werden. Tatsächlich kassierte der in Detroit ab - New England sorgte vor, indem es Bennett aus Philadelphia holte. Der Deal im Gesamtpaket also: New England erhält Bennett, einen Drittrunden-Pick 2020 (voraussichtlich, via Compensatory Pick) und einen Siebtrunden-Pick 2020 (durch den Trade mit Philly) und gibt Flowers sowie einen Fünftrunden-Pick 2020 ab.

Kurzfristig betrachtet ist Flowers zu Bennett ein geringes Downgrade, während New England jede Menge Cap Space einspart und dazu noch mit dem Drittrunden-Pick, im Gegensatz zum im Bennett-Trade geopferten Fünftrunden-Pick, seine Chance erhöht, einen neuen Starter zu finden. So funktioniert clevere, langfristige Kader-Konstruktion.

Ähnliches konnte man letztes Jahr beobachten. Die Patriots ließen Nate Solder für sehr viel Geld bei den Giants unterschreiben, strichen den entsprechenden zusätzlichen Drittrunden-Pick ein - und tradeten einen Drittrunden-Pick für Trent Brown sowie einen Fünftrunden-Pick. Brown hat nach einer starken Saison als Left Tackle in New England vor wenigen Tagen teuer bei den Raiders unterzeichnet und wird dem Titelverteidiger wiederum einen Drittrunden-Pick bescheren.

Late-Rounder gegen Routinier - mehr Effizienz

Insbesondere wenn es darum geht, Late-Round-Picks zu traden - wie etwa bei den Trades für Van Noy oder McCourty, beides Starter in der Pats-Defense letztes Jahr -, dann ist der mögliche Gewinn um ein Vielfaches höher als der Preis. Ein Sechst- oder Siebtrunden-Rookie hat statistisch nur eine sehr geringe Chance, mittel- und langfristig im Team zu bleiben oder gar irgendwann zu starten. Die Patriots sind hier stattdessen mehr als gewillt, Routiniers kostengünstig zu verpflichten und dann für wenig Geld ein bis zwei Jahre zu binden.

Das gibt den Patriots ganz praktisch mehr Möglichkeiten. Kein Team ist besser darin, Teile seiner Defense und seiner Offense von Woche zu Woche umzubauen; der massive Zone-Coverage-Anstieg vor allem bei First und Second Down im Super Bowl war das jüngste und prominenteste Beispiel aus der vergangenen Saison. Diese Umstellungen funktionieren mit etwas älteren Spielern, die mehr Erfahrung in verschiedenen Schemes haben, deutlich reibungsloser.

Laut Over The Cap hatten die Patriots letztes Jahr ligaweit die meisten "Low Level Contracts" - gemeint ist ein Cap Hit von 4,5 Millionen Dollar oder weniger - für Routiniers. Im Gegenzug waren sie das Liga-Schlusslicht was Rookie-Verträge angeht, aber das Team ist deswegen nicht überteuert. Im Gegenteil.

New England hatte letztes Jahr sieben Spieler mit einem Cap Hit von fünf Millionen Dollar oder mehr, und einer davon war Kicker Stephen Gostkowski. Zum Vergleich, die anderen AFC-Playoff-Teams? Weder die Chiefs (9), noch die Ravens (12), Texans (11) oder Chargers (10) kamen da ran. Lediglich Indianapolis, das infolge des Umbruchs ein extrem junges Team an den Start brachte, kam auf die gleiche Zahl wie die Pats. Super-Bowl-Gegner L.A. hatte gar 14, die meisten aller Playoff-Teams.

Warum nutzt nicht jeder das Patriots-Modell?

Natürlich könnte man jetzt die Frage stellen: Warum beschreiten nicht mehr Teams diesen Weg? Ohne Zweifel sind die Rahmenbedingungen in New England einzigartig. Tom Brady kann viele offensive Defizite überspielen, sein schneller Release lässt Offensive Linemen besser aussehen (und verschafft ihnen in der Free Agency viel Geld), genau wie das Coaching von Dante Scarnecchia - vielleicht dem besten Offensive Line Coach in der NFL.

Josh McDaniels ist der wohl beste Offensive Coordinator der Liga, und Belichick selbst ist nicht nur defensiv ein absolutes Mastermind. Diese Voraussetzungen erlauben es New England, individuelle Qualitätsverluste noch besser hinzunehmen. Man weiß in Foxboro, dass das eigene System und das eigene Coaching Defizite auffangen kann; und dennoch ist es erstaunlich, wie wenige Teams das Spiel mit den Compensatory Picks beherrschen und sich immer wieder mit einzelnen Verpflichtungen selbst in die Parade fahren.

Ohne Frage haben auch die Patriots Schwachstellen. Hohe (erste und zweite Runde) Draft-Picks waren in den vergangenen Jahren nur von sehr überschaubarem Erfolg und natürlich kann nicht jeder Trade einschlagen - wenngleich die 2018er "Trade-Klasse" unter dem Strich herausragend war.

Und doch ist hier eine ganz zentrale Säule für die andauernde Dominanz der Patriots zu finden. Die Fähigkeit, günstigere kurzfristige Lösungen zu finden, statt überteuerte Free-Agency-Verträge auszuteilen und sich dabei noch zusätzliches Draft-Kapital und somit eine Verbesserung der eigenen Chancen zu sichern - so funktioniert cleveres Team-Management in der NFL.

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