NFL

Die Ravens in der Free Agency: Hoffnungsschimmer Nummer 29

Von Jan Dafeld
Earl Thomas wird in der kommenden Saison für die Baltimore Ravens auflaufen
© getty

Durch die Abgänge von CJ Mosley, Za'Darius Smith, Terrell Suggs und Co. sahen die Baltimore Ravens schnell wie einer der großen Verlierer der diesjährigen Free Agency aus. Mit der Verpflichtung von Earl Thomas gelang dem neuen GM Eric DeCosta allerdings ein echter Coup. In Baltimore tritt der Star-Safety in große Fußstapfen - und könnte eine veränderte Rolle einnehmen.

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Das Gefühl, das eintritt, wenn wichtige Spieler das eigene Team verlassen, kennt jeder NFL-Fan. Der Salary Cap sowie das Compensatory-Pick-System sorgen für eine hohe Fluktuation in der besten Football-Liga der Welt. Jedes Jahr aufs Neue.

Ganz besonders gut dürften dieses Gefühl allerdings Anhänger der Baltimore Ravens kennen. Praktisch jedes Jahr verlassen wichtige Stützen die Franchise aus Maryland, um bei der Konkurrenz anzuheuern. Unter General Manager Ozzie Newsome verfolgten die Ravens über Jahrzehnte hinweg die Philosophie, Spieler, die sie für praktisch unersetzlich hielten, zu halten, allen weiteren Free Agents aber keine Steine in den Weg zu legen und niemals mehr zu zahlen, als die Maximalgrenze, die man sich teamintern gesetzt hatte.

Im vergangenen Sommer wurde Center Ryan Jensen so zum bestbezahlten Spieler auf seiner Position. 2017 entlohnten die Detroit Lions Offensive Tackle Ryan Wagner fürstlich. Kelechi Osemele, Pernell McPhee, Paul Kruger - die Liste mit den Namen von Spielern, die die Ravens verließen, um hoch dotierte Verträge zu unterschreiben, ist lang. Kein Team sammelte während der Amtszeit von Newsome auch nur annähernd so viele Compensatory Picks, die Teams für den Verlust von Free Agents entschädigen sollen, wie Baltimore.

Die Free Agency der Baltimore Ravens: Der Start verkommt zum Albtraum

Und dennoch: Selbst die erprobten Ravens-Fans und -Verantwortlichen traf der Beginn der Free Agency 2019 heftig. Nach und nach verließ ein Leistungsträger nach dem anderen das Team - ohne, dass gleichwertiger Ersatz in Sicht schien. Bereits im Februar hatten die Ravens Wide Receiver Michael Crabtree entlassen, wenige Tage darauf folgte Safety und Publikumsliebling Eric Weddle. Durchaus erwartete Abgänge, für so manchen Anhänger dennoch eine bittere Pille.

Dass auch Pass-Rusher Za'Darius Smith und Wide Receiver John Brown bei einem anderen Team unterschreiben würden, kam ebenfalls wenig überraschend. Als dann allerdings auch noch Middle Linebacker CJ Mosley, den viele als Nachfolger von Ray Lewis ausgemacht hatten, und Edge Defender Terrell Suggs, der während seiner 16-jährigen Profi-Karriere ausschließlich das Trikot der Ravens getragen hatte, das Team verließen, schrillten die Alarmglocken.

Mit Smith, Mosley, Suggs und Weddle hatte man vier Eckpfeiler der eigenen Defense verloren. Mit Defensive End Brent Urban war ein weiterer defensiver Starter Free Agent, eine Entlassung von Cornerback Jimmy Smith scheint zudem ebenfalls noch immer möglich. Ein solcher Aderlass, egal in welcher Unit, wäre wohl für jedes Team schwer zu verkraften. Baltimore trafen die Verluste allerdings besonders hart. Kein Team hatte im Jahr zuvor weniger Yards zugelassen. Nur eines hatte weniger Punkte zugelassen. Die vielleicht beste Defense der NFL war innerhalb weniger Tage beinahe komplett auseinander gefallen.

Zusätzliches Salz in der Wunde: Auch die offensive Philosophie Baltimores hatte zuletzt stark auf der eigenen defensiven Stärke gefußt. Mit Lamar Jackson under Center wollten Head Coach John Harbaugh und sein Staff über das Running Game die Uhr kontrollieren, eigene Fehler vermeiden und der eigenen Defense Pausen sowie vorteilhafte Feld-Positionen bescheren. Mit einer unterdurchschnittlichen Defense Shootouts gewinnen zu müssen? Darauf war und ist die Offense in Maryland ganz und gar nicht ausgelegt.

Earl Thomas bei den Baltimore Ravens: Entscheidung in letzter Minute

Nur zwei Tage nach dem Beginn der Free Agency schien sich das Narrativ rund um die Ravens somit bereits grundlegend zu ändern. Angesichts der brutalen Anzahl an Abgängen sowie der trotzdem etwas angespannten Cap-Situation schien sich der neue GM Eric DeCosta in den Augen einiger Beobachter in seinem ersten Jahr an der Spitze der Franchise schon damit abgefunden zu haben, die kommende Saison als Übergangsjahr zu betrachten.

Lamar Jackson sollte sein erstes volles Lehrjahr in der NFL bekommen, Baltimore die maximale Anzahl an Compensatory Picks sammeln und dann im Jahr darauf mit einem jungen Team, einer großen Ladung an Draft Picks sowie dem größten Cap Space in der eigenen Team-Geschichte in den Angriffsmodus schalten.

Doch: Mit einer einzigen Entscheidung änderte sich diese Ausgangslage schlagartig. Earl Thomas, dreifacher All-Pro und sechsmaliger Pro Bowler, hatte sich für die Ravens entschieden. Der wohl beste Safety der Liga und vielleicht beste Free Agent der gesamten Klasse war auf dem Weg nach Baltimore - und sollte die Verluste von Weddle, Mosley und Co. wettmachen. "Ich dachte, ich würde woanders hingehen. Die Ravens haben sich in letzter Minute gemeldet", schildert Thomas die Ereignisse. "Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeit, hier spielen zu können."

Die Qualitäten von Thomas sind unbestritten. Seine persönlichen Auszeichnungen alleine genügen bereits, um ihm eine gute Chance auf ein goldenes Jackett in seiner Zukunft zu prophezeien. Die Bedeutung des wohl besten Center Fielders der Liga für Seattles Defense wurde in den Vorjahren aber vor allem dann deutlich, wenn der Mann, der auch in Baltimore weiter die Nummer 29 tragen wird, nicht auf dem Feld stehen konnte.

Mit Thomas in der Mitte der Secondary ließ Seattle über die letzten drei Saisons ein Passer Rating von 81 und 6,8 Yards pro Pass zu - beides Werte, die ligaweit in den Top 5 stehen würden. Ohne Thomas? Ein Passer Rating von 100 und 7,9 Yards pro Pass - beide Statistiken würden ligaweit einen Platz unter den fünf schlechtesten Teams einnehmen.

Veränderte Rolle für Thomas in Baltimore?

Mit Marlon Humphrey, der im kommenden Jahr den nächsten Schritt zu einem echten Nummer-eins-Cornerback machen soll, Brandon Carr und Jimmy Smith als Outside Cornerbacks, Tony Jefferson als Strong Safety und Tavon Young als Slot Cornerback verfügt Baltimore im Verbund mit Thomas über eine der besten Secondarys der Liga. In Maryland freut man sich bereits auf den neuen Mann. "Manche Hunde bellen nicht. Sie beißen nur", beschreibt Defensive Coordinator Don Martindale Thomas' Auftreten.

Welche Rolle der neue Anführer der Secondary in Baltimore genau einnehmen wird, dürfte derweil spannend zu beobachten sein. In Seattle agierte Thomas fast ausschließlich als Center Fielder in einer Cover-3-basierten Defense. Die Ravens setzten unter Martindale im Vorjahr allerdings in erster Linie auf aggressive Man-Konzepte, in denen die Blitzer in schwer lesbaren Formationen versteckt wurden.

Seine Rolle als Center Fielder hat Thomas zum wohl besten Safety der Liga gemacht, ihre defensiven Verschleierungen die Ravens allerdings zur vielleicht besten Defense der Liga. Letztendlich dürfte Thomas' Rolle eine Mischung aus beiden Philosophien werden. "Ich wusste, wenn ich hierhin komme, dann würde ich zu einer großartigen Defense kommen", so Thomas. "Defense wins Championships. Das ist alles, was ihr dazu wissen muss."

Der 29-Jährige hat problemlos die Klasse, um auch in der Box aufgestellt zu werden, ist in seiner tiefen Rolle allerdings am effektivsten. Hier die richtige Mischung zu finden, dürfte zu den entscheidenden Herausforderungen Martindales in der kommenden Saison werden.

Baltimore Ravens: Der Blick geht schon Richtung 2020

Mit Thomas hat DeCosta in seinen ersten Monaten als GM den größten Free Agent der Teamgeschichte verpflichtet. Komplett ist das Team dadurch allerdings noch lange nicht.

Mit Mark Ingram kam obendrein ein verlässlicher Running Back, der auch in der Pass-Protection ein Upgrade darstellen soll, zudem verpflichteten die Ravens Special-Teams-Ass Justin Bethel. Nach den Abgängen von Smith und Suggs in der Defensive sowie Crabtree, Brown und vermutlich auch Maxx Williams in der Offensive bleiben der Pass-Rush und das Receiving Corps allerdings eindeutige Baustellen. Auch auf der Linebacker-Position verträgt das Team nach dem Verlust von CJ Mosley wohl noch den einen oder anderen Neuzugang.

Auch nach der Verpflichtung von Thomas ist Baltimore somit noch ein gutes Stück vom Kreis der Top-Teams entfernt. Favorit auf den Division-Titel sind nach einer hoch aggressiven Offseason plötzlich die Cleveland Browns. Die Free Agency 2019 könnte somit trotz allem nur ein erster Schritt in Richtung 2020 gewesen sein, wenn die Ravens mit ihrer besten Cap-Situation seit einer kleinen Ewigkeit zum vollen Angriff mit Lamar Jackson blasen wollen.

Schon jetzt dürfte Baltimore allerdings für so manchen zu den spannendsten und interessantesten Teams der kommenden Saison zählen. Das hätte nach diesem Beginn der Free Agency wohl kaum jemand erwartet.

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