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NFL: Chicago Bears unter Head Coach Matt Nagy: Endlich wieder Aufbruchsstimmung

Von Jan Dafeld
Mitchell Trubisky soll unter Matt Nagy den nächsten Schritt in seiner Entwicklung nehmen
© getty

Ein neuer Head Coach, ein junges, talentiertes Team und gleich mehrere namhafte Neuzugänge - die Chicago Bears zählen für viele Experten zu den Teams to watch 2018. Potenzial ist zweifelsohne vorhanden. Doch reicht das aus, um schon in der kommenden Saison Erfolge zu feiern?

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Aggressivität und Risikobereitschaft in der Offseason zahlen sich in der NFL längst nicht immer aus. Die Green Bay Packers, die Baltimore Ravens oder andere - einige der erfolgreichsten Teams dieses Jahrtausends können ihren Erfolg zu großen Teilen darauf zurückführen, eben nicht um die größten Stars zu werben und mit den Scheinchen zu wedeln. Zu häufig bleiben Teams auf schlechten Verträgen sitzen. Zu selten bekommen Rookies die Chance, sich zu beweisen.

Dass es allerdings auch anders geht, zeigten alleine in der vergangenen Saison gleich zwei Teams eindrucksvoll. Die Jacksonville Jaguars sicherten sich in der Free Agency mit Calais Campbell, AJ Bouye und Barry Church gleich drei namhafte (und entsprechend teure) Spieler und katapultierten sich dank ihrer dominanten Defense bis ins AFC Championship Game. Die Los Angeles Rams wiederum investierten brutal in ihre Offense: Andrew Whitworth, Sammy Watkins, Robert Woods, Cooper Kupp und Gerald Everett kamen allesamt nach Los Angeles, um Head Coach Sean McVay in dessen Premieren-Saison genau die Offense zu ermöglichen, die ihm vorschwebte. Es wurde ein voller Erfolg.

Bears-Head-Coach Matt Nagy: Offensivgenie aus Kansas City

Ähnlichen Erfolg, oder zumindest einen Schritt in diese Richtung, erhoffen sich in diesem Jahr nun auch die Chicago Bears von dieser Strategie. Vor allem die Rams können dabei als Parallele herhalten. Denn als größter Hoffnungsträger fungiert in Chicago wie schon in Los Angeles ein junger Coach, der als Offensivgenie gilt und sich als Play-Caller einer der besten Offenses der NFL einen Namen gemacht hat: Matt Nagy.

Als Quasi-Ziehsohn von Chiefs-Head-Coach Andy Reid verkörpert Nagy die moderne NFL wie nur wenige andere. In der vergangenen Saison verwandelte er den als notorisch risikoscheu verschrienen Alex Smith in eine Downfield-Passing-Maschine. Nach elf Spielen übernahm er sogar die Playcalling-Aufgaben von Reid und führte Kansas City zu einem respektablen 4-1-Saisonabschluss.

Bill Walsh, Paul Brown und die Gegenwart: Play-Calling erklärt

Nagy baut dabei stark auf Elemente aus der West Coast Offense, verbindet jedoch immer wieder horizontale mit vertikalen Route-Kombinationen. Zudem besticht er durch eine große Kreativität und Variantenreichtum, sodass zahlreiche Plays aus unterschiedlichen Formationen heraus gespielt werden können. Es ist davon auszugehen, dass Nagy viele Teile seiner Trickkiste aus Kansas City mit in die Windy City bringen wird. Das heißt: Jet Sweeps, Shovel Passes und - natürlich - Run-Pass-Options.

Bears-Fokus voll auf Quarterback Mitch Trubisky

Erster Nutznießer dieser Veränderungen soll Quarterback Mitchell Trubisky sein. Der 23-Jährige spielte im vergangenen Jahr eine annehmbare, aber wenig spektakuläre Debüt-Saison, litt dabei allerdings auch merklich unter dem konservativen Play-Calling von Head Coach John Fox. Während Trubisky am College beispielsweise ausschließlich aus der Shotgun heraus glänzte (98 Prozent aller Snaps), ließ ihn Fox die Hälfte seiner Snaps under Center nehmen. Mit diesem Wert lag Chicago 13 Prozent über dem Ligadurchschnitt.

Nagy soll und will die Offense stärker auf die Qualitäten seines Quarterbacks ausrichten. "Ich habe das Gefühl, dass mittlerweile schon viel mehr Leute auf ihn (Trubisky) hören", verrät Running Back Jordan Howard. "Er hat deutlich mehr im Locker Room zu sagen, weil jetzt sicher ist, dass er unser Quarterback ist." Auch Neuzugang Trey Burton traut Trubisky Großes zu: "Er ist außergewohnlich. Er gehört in die gleiche Kategorie wie (Eagles-QB) Carson (Wentz). Mich hat er bisher sehr beeindruckt."

Tight End Burton zählt zu den Waffen, die Nagy und die Bears ihrem jungen Quarterback unbedingt zur Verfügung stellen wollten. Sinnvollerweise. Chicago tradete im Draft 2017 extra nach oben, um seinen Wunsch-Quarterback sicher zu haben. Nun sollten sie alles dafür tun, um das neue Gesicht der Franchise in dessen Entwicklung bestmöglich zu unterstützen.

Die Offense der Chicago Bears 2018: Ein Unterschied wie Tag und Nacht

Genau in diese Kategorie fällt auch Wide Receiver Allen Robinson. Der 24-Jährige unterzeichnete einen Dreijahresvertrag über 42 Millionen Dollar und soll Trubisky endlich den klaren Nummer-eins-Receiver geben, den er in der vergangenen Saison teilweise so schmerzlich vermisste.

Als großer, physischer Receiver erfüllt Robinson das Profil des X-Receivers in der West Coast Offense, der isoliert auf seiner Seite des Feldes Eins-gegen-eins-Matchups gewinnen kann, nahezu in Gänze. Doch vor allem als Downfield-Ziel könnte er im Zusammenspiel mit Trubisky besonders gefährlich werden.

2015, in Robinsons mit Abstand stärkster Saison, führte er die NFL mit 672 Deep Receiving Yards an. Vor allem bei Go Routes gibt es kaum einen gefährlicheren Receiver. Mit einem Passer Rating von 108,1 zählte Trubisky bereits in der vergangenen Saison zu den drei besten Quarterbacks bei Deep Passes (mind. 20 Yards), die Kombination mit seinem neuen Top-Receiver dürfte daher so manchen Defensive Coordinator Kopfschmerzen bereiten.

Mit Robinson, Burton, Free Agent Taylor Gabriel, Zweitrunden-Pick Anthony Miller sowie Tight End Adam Shaheen und dem hochexplosiven Tarik Cohen verfügt Chicago in der kommenden Saison über ein Waffenarsenal im Passing Game, das sich von dem der Vorsaison so stark unterscheidet wie die Nacht vom Tag. Die stotternde Passing-Offense, die im vergangenen Jahr ligaweit Platz 27 belegte, soll daher ab sofort Geschichte sein.

Chicago Bears 2018: Defensive Elite?

Während der Fokus in der Offense sowohl beim Trainer- als auch beim Spielerpersonal auf einer Radikalerneuerung lag, hoffen die Bears in der Defense in erster Linie auf Konstanz und Weiterentwicklung. In der vergangenen Saison zählte Chicago bereits zu den besten Teams gegen den Run und war gegen den Pass ligaweit zumindest in der oberen Hälfte angesiedelt. Dass Defensive Coordinator Vic Fangio dem Team trotz des Head-Coaching-Wechsels erhalten bleibt, ist daher eindeutig als Pluspunkt zu werten.

Die jungen Spieler in Fangios Defense sollen 2018 den nächsten Schritt in ihrer Entwicklung machen, Leistungsträger wie Leonard Floyd und Danny Trevathan von Verletzungen verschont bleiben. Dann sieht so mancher in der Windy City tatsächlich das Potenzial, um in der kommenden Saison zu den besten Defenses der Liga zählen zu können.

Eine Schlüsselrolle nimmt dabei First-Round-Pick Roquan Smith ein. Der gerade mal 21-Jährige besticht durch eine schier unglaubliche Explosivität und Schnelligkeit. Als Sideline-to-Sideline-Linebacker soll Smith für die Bears zu einer Tackling-Maschine werden - sowohl in der Run- als auch in der Pass-Defense. Mit Lavonte David und Telvin Smith brachten es ähnliche Spielertypen gerade erst zu Pro-Bowl- und All-Pro-Ehren, nicht wenige sehen in Roquan Smith daher den klaren Favoriten für den Titel des Defensive Rookie of the Year.

Die Zukunft der Chicago Bears: Ein Schritt nach dem anderen

Zum ersten Mal seit Jahren umgibt die Franchise also tatsächlich mal wieder (berechtigte) Aufbruchsstimmung. So vielversprechend das Team aktuell auf dem Papier aussieht, so viele Fragezeichen bleiben allerdings weiterhin bestehen. Kann Trubisky die deutlich gestiegenen Erwartungen erfüllen? Wie fängt die Offensive Line den Verlust von Guard Josh Sitton auf? Wird Robinson nach seiner schweren Kreuzband-Verletzung tatsächlich wieder der Alte?

Sofern die Bears in der kommenden Saison, anders als noch 2016 und 2017, vom Verletzungspech verschont bleiben, dürfen sich die Fans in Chicago aller Voraussicht nach auf einige unterhaltsame Spiele einstellen. Inwieweit diese in der stark besetzten NFC North auch sofort von Erfolg gekrönt werden können, bleibt abzuwarten, doch nach Jahren der Trübsal dürften die Anhänger noch ein wenig Geduld mitbringen, wenn die Kurve zumindest nach oben zeigt.

Den ersten Schritt in die richtige Richtung hat die Franchise in der Offseason genommen. Während der Saison gilt es nun, diesen eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Dann dürften sich auch in Chicago die Aggressivität und Risikobereitschaft tatsächlich auszahlen.

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