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NFL: Die Denver Broncos vor dem Draft: Titelfenster oder Rebuild?

Case Keenum wird die Broncos als Starting-Quarterback 2018 anführen - doch was passiert darüber hinaus?
© getty

Der Draft rückt immer näher und in der ersten Runde könnten die Denver Broncos eines der Schlüssel-Teams unter anderem im Quarterback-Rennen sein. Denver hat den fünften Pick und könnte so einerseits ein Kandidat für einen Trade nach oben, aber auch für einen Trade nach unten sein - oder schlicht den besten verfügbaren Spieler im Draft an Position fünf wählen. Letztlich stellt sich für die Broncos eine klare Frage: Wie schätzt man die Siegchancen für 2018 ein?

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Das Wort "Rebuild" ist für John Elway schon fast etwas wie eine ansteckende Krankheit. "Ich habe nie davon gesprochen. Und das werde ich auch nicht", stellte er am Rande der Combine Ende Februar klar und fügte hinzu: "Das Leben ist zu kurz, um sich in der NFL einen Rebuild zu leisten."

Zu diesem Zeitpunkt war zumindest für die Öffentlichkeit noch nicht klar, wie genau Denver letztlich die Quarterback-Frage angehen würde - die Broncos-Verantwortlichen dürften selbstredend schon einen konkreteren Plan gehabt haben.

Lange nämlich galten die Broncos als der Favorit auf die Dienste von Kirk Cousins; bis Denver plötzlich scheinbar blitzartig aus dem Rennen war. Die Cardinals und die Jets blieben bis zuletzt die größten Konkurrenten für Minnesota, die Broncos hatten da längst den Weg in eine andere Richtung eingeschlagen.

Case Keenum sei die ganze Zeit schon das Wunschziel gewesen, sollte Elway später sagen. "Wir freuen uns wirklich sehr, dass Case hier ist. Wir haben nach dem Ende der vergangenen Saison darüber gesprochen, dass wir uns auf dieser Position verbessern müssen. Und wir haben unseren Mann dafür gefunden. Er war unser Wunschkandidat. All diese Quarterbacks, die verfügbar wurden, sind gute Spieler. Aber wir sind der Meinung, dass Case, nach allem was er erlebt hat, in der vergangenen Saison die beste Spielzeit all dieser Kandidaten hatte."

NFL: Case Keenum gibt den Broncos Draft-Freiheit

Natürlich sind derartige Aussagen immer mit Vorsicht zu genießen. Kein Team-Verantwortlicher würde schließlich öffentlich zugeben, dass man eventuell aus finanziellen Gründen vorzeitig aus dem Cousins-Rennen ausgestiegen ist. Oder dass Cousins dem Team womöglich zu verstehen gegeben hat, dass er nicht nach Denver kommt.

So oder so, Keenum gibt Denver eine verlockende Freiheit: Die Broncos sind dank Keenum nicht in der Situation, dass sie in der ersten Runde förmlich zu einem Quarterback-Pick gezwungen werden. Ein Quarterback mit dem fünften Pick ist nach wie vor denkbar, doch wäre es inzwischen wohl eine Überraschung, wenn in den ersten vier Picks nicht wenigstens drei Quarterbacks vom Board gehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Denvers Wunsch-QB noch zu haben sein wird, ist mehr als gering.

Denvers Strategie könnte also abermals in eine andere Richtung gehen, als von der breiten Öffentlichkeit erwartet: Ein sofortiger Impact-Spieler statt der Quarterback der Zukunft.

Die NFL Regular Season Statistiken von Case Keenum:

Jahr (Team)Spiele (Starts)Completions/PässeYardsTouchdownsInterceptions
2013 (Texans)8 (8)137/253176096
2014 (Rams)00000
2014 (Texans)2 (2)45/7743522
2015 (Rams)6 (5)76/12582841
2016 (Rams)10 (9)196/3222201911
2017 (Vikings)15 (14)325/4813547227

Denver Broncos glauben noch an Paxton Lynch

Dazu passen die Aussagen der Verantwortlichen zu Paxton Lynch, Denvers Erstrunden-Quarterback vor zwei Jahren, für den die Broncos damals sogar nach oben tradeten. "Ich denke, Paxton ist ein Faktor. Er hatte vier oder fünf Starts, und Paxton basierend darauf für nicht gut genug abzustempeln, das wäre nicht fair. Natürlich geht es darum, schnell Leistung zu zeigen. Aber es braucht einfach Zeit, um ein guter NFL-Quarterback zu werden. Paxton Lynch ist auf keinen Fall schon abgehakt", stellte Head Coach Vance Joseph vor einigen Tagen klar.

Elway hatte schon zuvor betont: "Paxton muss erst einmal gesund werden. Er wird wieder fit werden, sich dann steigern und dann schauen wir, wie er sich verbessern kann. Das sind unsere Erwartungen an Paxton." Nach dem Abgang von Trevor Siemian ist es ein glaubwürdiges Szenario, dass Keenum als Starter und Lynch als Backup eingeplant ist. Für 2018 und möglicherweise auch für 2019, betrachtet man Keenums Vertragsaufbau.

Insgesamt zehn Millionen Dollar sind ihm für 2019 voll garantiert (sieben Millionen des Basisgehalts sowie der aufgeteilte Unterschriftsbonus über drei Millionen Dollar), im Falle einer Entlassung blieben diese zehn Millionen als Dead Cap übrig. Für ein Team, das aktuell 2019 einen prognostizierten Cap Space in Höhe von 11,5 Millionen Dollar hat, kein Pappenstiel.

In der Summe verdichten sich die Anzeichen zunehmend in eine Richtung: Die Broncos glauben, dass sie mit Keenum jetzt gewinnen können, so wie es Minnesota in der vergangenen Saison vorgemacht hat.

Broncos: Saquon Barkley statt C.J. Anderson?

Der Blick auf den Draft wird so klarer und die Situation für Denver in diesem Szenario äußerst interessant. Unter der Annahme, dass vor Denver etwa drei Quarterbacks vom Board gehen, könnten die Broncos an Position fünf einen der Top-Spieler dieser Klasse zur Verfügung haben. Etwa in Quenton Nelson ein herausragendes Guard-Prospect, das die Interior-Line gemeinsam mit Matt Paradis und Ronald Leary zu einer Stärke dieses Teams machen würde.

Oder auch in Saquon Barkley ein Ausnahme-Running-Back-Talent. Einen Running Back so früh im Draft zu nehmen, ist allein positionsbedingt ein Risiko, doch gibt es anhaltende Gerüchte, wonach C.J. Anderson in Denver vor dem Aus stehen könnte. "Eventuell bleibt er, eventuell auch nicht. Wir werden da weiter dran arbeiten und versuchen, herauszufinden, was uns die beste Chance auf Siege gibt", sagte Elway zu dieser Personalie.

Eine ungewöhnlich ehrliche Aussage, während auch klar ist, dass ein zumindest solides Run Game sowie ein verlässliches Receiver-Corps zwei elementare Aspekte sind, um Keenum die bestmögliche Chance auf Erfolg zu geben. Genau das war in der vergangenen Saison in Minnesota der Fall: Die Vikings rangierten mit 3,9 Yards pro Run trotz der frühen Verletzung von Dalvin Cook im Mittelfeld, die 31,3 Runs pro Spiel waren der zweithöchste Wert. Derweil bestachen Stefon Diggs und Adam Thielen als Route-Runner in den Schemes von Pat Shurmur.

In diese Rolle schlüpfen jetzt Demaryius Thomas und Emmanuel Sanders, ebenfalls ein sehr gutes Receiver-Duo. Die Frage hier lautet einerseits, wer die dritte Pass-Catcher-Option in Denver werden soll - und ob Offensive Coordinator Bill Musgrave Keenum ebenfalls so in Position für Erfolg bringen kann. Musgrave zeigte bei den Raiders zumindest einen kreativen Spread-Ansatz mit vielseitigen Play-Designs sowie ein verlässliches Power Run Game.

Denvers Defense auf dem Prüfstand

All diese Gedankenspiele kommen mit der Theorie, dass die andere Seite des Balls auch nachdem Aqib Talib abgegeben wurde Playoff-Niveau hat. Und das ist alles andere als garantiert: Denver steigerte sich zwar in der vergangenen Saison deutlich in der Run-Defense, die Pass-Defense aber war nicht mehr ganz so dominant wie in den Jahren davor - auch weil der Pass-Rush abgesehen von Von Miller so gar nicht den eigenen Ansprüchen gerecht wurde.

Das Scheinwerferlicht rückt hier auf Shane Ray, der nach einer Verletzung am Handgelenk in der Vorsaison Gewicht verloren hat und dann vor allem in der Run-Defense ein Problem wurde. Shaquil Barrett stünde als Alternative bereit, hier könnte im Draft in die Rotation investiert werden. Auch die Defensive Line benötigt dringend frisches Blut, die überraschend gute Saison von Domata Peko dürfe sich in der Form kaum wiederholen.

Schon jetzt ist klar, dass Miller künftig mit dem Defensive Line Coach und nicht mehr mit dem Linebacker-Coach zusammenarbeitet. "Wir wollen unserem besten Pass-Rusher mehr Pass-Rush-Gelegenheiten geben", begründete Joseph die Entscheidung. "Darum geht es. Dass Von Miller mit Coach Kollar arbeitet wird uns weiterbringen."

Broncos: Cravens-Trade als Antwort auf die Division-Rivalen?

Bei den Cornerbacks werden derweil ebenfalls perspektivische Verstärkungen gebraucht: Chris Harris ist gesetzt, Bradley Robey übernimmt Talibs Platz. Dahinter wird es schon dünner, Tramaine Brock ist aktuell wohl die klare dritte Option.

Eine Baustelle konnte Denver indes schon vor dem Draft angehen: Mit dem Trade für Washingtons Su'a Cravens hat Denver einen flexiblen Spieler für die Front Seven bekommen, der als Safety-Linebacker-Hybrid eingesetzt werden kann. Mit Justin Simmons und Darian Stewart sind die Broncos auf den Safety-Positionen gut aufgestellt, Cravens könnte aber in den Sub-Packages - welche Denver inzwischen ebenfalls in über 60 Prozent der Snaps spielt - als zusätzlicher Safety beziehungsweise Linebacker aufgeboten werden.

Gerade mit Blick auf die Division und je zwei Duellen pro Jahr gegen die Tight Ends Travis Kelce (Kansas City) und Hunter Henry (Chargers) könnte diese Position für Denver von besonderem Wert sein. Vorausgesetzt, Cravens hat sich von seinen Verletzungen an Ellbogen und Knie tatsächlich vollständig erholt. Die Ärzte jedenfalls haben ihm bereits im Dezember grünes Licht gegeben.

NFL Draft: Broncos als ein potentieller X-Faktor

Die Broncos sind im anstehenden Draft ein potentielles Zünglein an der Wage, der fünfte Pick könnte der Spot für den letzten der Top-4-Quarterbacks sein. Dementsprechend könnte es auch Trade-Offerten geben, wenn die Broncos selbst keinen Quarterback nehmen wollen.

Und genau diese Tendenz scheint in den Aussagen aber auch den Handlungen der vergangenen Wochen in Mile High durch. Die Broncos wollen jetzt einen Impact-Spieler, mit dem sie ihr Team für 2018 besser machen. Nach zwei Jahren in Folge ohne Playoffs sowie jetzt mehreren durchwachsenen Draft-Klassen nacheinander ist ein guter Draft dringend nötig.

Und dann könnte Denver tatsächlich in der Lage sein, jetzt mit Case Keenum Erfolg zu haben sowie den in der NFL so verhassten Rebuild weiter zu vertagen.

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