NFL

Der schwerste Rucksack der NFL

Von Mario Krischel
J.J. ist der Superstar, jetzt will es ihm sein kleinster Bruder T.J. gleichtun
© spox

Nach seinen beiden Brüdern hat nun auch T.J. Watt den Weg in die NFL gefunden. Die Pittsburgh Steelers haben den Outside Linebacker in der ersten Runde gedraftet und legen große Hoffnung in Watt, der sich unbedingt von der Last des Nachnamens befreien möchte.

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Ein bisschen mehr als eine Stunde östlich der University of Wisconsin-Madison liegt NX Level, über viele Jahre das Offseason-Trainingszentrum der bekanntesten Football-Familie des Bundesstaates.

Dort hat Justin James Watt an jedem freien Tag dafür gearbeitet, dass er heute einer der besten Spieler der NFL ist. Dort hat auch Derek Watt die Zeit mit seinem Bruder verbracht, um von ihm zu lernen und es bis nach ganz oben zu schaffen. Dort haben sie es ihm vorgemacht.

Vor dem Trainingsauftakt der Badgers im Sommer 2016 ist Trent Jordan Watt ebenfalls oft hergekommen, mindestens viermal in der Woche. Jedes Mal, als er die Eingangstüren hinter sich geschlossen hat, ist er auf dem Weg zum Trainingsplatz an Magazin-Covern vorbei gelaufen, die seinen Bruder J.J. zieren. An den Trikots, die von J.J. unterschrieben an der Wand hängen.

Jeden Tag hat ihm dieser Flur gezeigt, wie weit es sein ältester Bruder bereits geschafft hat.

T.J. oder J.J.s kleiner Bruder?

Als T.J. in die elfte Klasse der Pewaukee High School ging, feierte J.J. seine Rookie-Saison in der NFL, nachdem die Houston Texans ihn im Draft 2011 an elfter Stelle gewählt hatten.

Während sein kleiner Bruder von der High School aufs College weiterzog, sich mehrfach am Knie verletzte und sogar zweimal operiert wurde, ist J.J. dreimal zum Defensive Player of the Year und viermal in Folge in den Pro Bowl gewählt worden.

Über die Jahre hat T.J. aus der Ferne in Wisconsin beobachtet, wie sein Bruder in Texas und im ganzen Land immer größere Berühmtheit erlangt hat. Fortan war T.J. nicht mehr T.J., sondern J.J.s kleiner Bruder.

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Eine Tatsache, die den 22-Jährigen in seiner High-School- und College-Zeit stetig begleitet und belastet hat. "Ich habe mich eigentlich schon daran gewöhnt", erklärte Watt jüngst gegenüber Reportern. "Das Schlimmste war das ganze Gerede von wegen 'du wirst nur wegen deines Namens aufgenommen' und 'das Angebot von Wisconsin hast du nur wegen deines Namens erhalten'."

Wisconsin und die größtmöglichen Fußstapfen

Der Bezug zu seinem Bruder wurde immer mehr zur Last. Selbst zuhause bei der Familie, wo die Messlatte schon immer über dem Normalpunkt gelegen hatte. "Ich habe dann immer alles darauf geschoben, sein kleiner Bruder zu sein", erzählte T.J. weiter. "Wenn ich in der Schule schlecht war, habe ich gesagt: 'Es tut mir leid, aber ich bin nicht J.J.'. Lauter Kleinigkeiten, ich habe versucht, ihn dafür schuldig zu machen."

J.J. war seinerzeit von Central Michigan an die University of Wisconsin-Madison gewechselt. Es war immer sein Traum gewesen, für die Uni, neben der er quasi aufgewachsen ist, später Football zu spielen.

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T.J. tat es seinem ältesten Bruder 2013 gleich, obwohl er eigentlich vorgehabt hatte, nach Minnesota zu gehen. Eigentlich wollte er nicht wieder in J.J.s Fußstapfen treten. Doch ein Anruf von Ben Strickland, dem damaligen Assistenz-Coach der Badgers, hatte seine Meinung geändert. Er bot ihm ein Stipendium an.

Bruder Derek Watt, letztes Jahr als Fullback von den Chargers gedraftet, meinte ohnehin, dass "es hart ist für einen Jungen, der in Wisconsin geboren und aufgewachsen ist, nein zu sagen."

"Ich weiß, dass ein Teil von ihm seine eigenen Spuren hinterlassen wollte", sah auch Vater John Watt ein, dass T.J. mit der schweren Last umzugehen versuchte. "Aber als es dann real wurde und das Angebot aus Wisconsin wirklich kam, konnte man sehen, dass es das war, was er wollte."

Es drohte das Ende vor dem Anfang

Das Schicksal meinte es zu Beginn nicht gut mit T.J., der für die Wisconsin Badgers wie schon auf der High School als Tight End begonnen hatte. Gleich zu Beginn verletzte er sich am rechten Knie, eine Operation war nicht notwendig, versicherten die Ärzte.

Im April, fast ein halbes Jahr später, war das Knie wieder verheilt. Es dauerte jedoch nur wenige Tage, ehe es wieder krachte, diesmal ging das linke Knie kaputt. Als dasselbe Drama zum dritten Mal, jetzt wieder am rechten Knie, geschah, sah T.J. keinen anderen Ausweg mehr. Er entschied sich für eine Operation.

Der Arzt, der ihm wieder auf die Beine helfen sollte, war Walt Lowe, Mannschaftsarzt der Houston Texans. J.J. nutzte seine Verbindungen und unterstützte seinen jüngsten Bruder, damit er schnellstmöglich aufs Feld zurückkehren bzw. überhaupt mal auflaufen konnte. Bis dahin hatte T.J. noch nicht ein Spiel für die Badgers bestritten.

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Als ihn sein linkes Knie im Frühling 2015 wieder im Stich ließ, verlor T.J. bereits den Glauben an ein Dasein als Football-Profi. Vielleicht war er, im Gegensatz zu seinen Brüdern, nicht dazu bestimmt, ein solches Leben zu führen. Er legte sich erneut auf den OP-Tisch.

Der entscheidende Moment

Das war der Zeitpunkt, als Paul Chryst, dem neuen Head Coach der Badgers, eine Idee kam. Jedes Mal hatte sich T.J. bei Blocking-Übungen als Tight End in der O-Line verletzt. Sein Knie konnte diesem Druck in One-on-One-Situationen womöglich nicht mehr Stand halten. Also war es Zeit für einen Wechsel. Ohne auch nur mit einem Defensive Coordinator zu sprechen, testete Chryst T.J. als Outside Linebacker.

"Ich dachte zunächst, es wäre ein Witz", erinnerte sich Watt. Doch Chryst meinte es ernst.

Auch der Neustart verlief alles andere als optimal. Watt war noch nicht fit genug, um alle Übungen mitzumachen, oft war er zum Zusehen an der Seitenlinie gezwungen. Tim Tibesar, neuer Coach der OLB, war zu Beginn nicht wirklich begeistert, realisierte aber mit der Zeit, was ihm da für ein Spieler zur Verfügung gestellt wurde.

T.J. verzeichnete nicht nur mit seinen Knien inzwischen große Fortschritte, er legte währenddessen auch gewaltig an Muskelmasse zu. Mit fast zwei Metern Körpergröße und über 100 Kg brachte Watt alle athletischen Voraussetzungen mit, um als Linebacker durchzustarten.

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Und das tat er. Am Ende der 2016er Saison, seiner ersten richtigen Spielzeit, verzeichnete Watt als Starter 63 Tackles, 15,5 für Raumverlust, 11,5 Sacks, zwei Forced Fumbles und eine Interception. Seine Zahlen waren sogar besser als die von J.J., der damals auch vom Tight End zum Defensive End umgeschult worden war.

Lobeshymnen vom großen Bruder

Es war nur eine Saison, doch die hinterließ Spuren. Ihr Leben lang hatten J.J., Derek und T.J. aus allem einen Wettbewerb gemacht, doch jetzt musste J.J. die Leistungen seines kleinsten Bruders anerkennen.

"Er ist ein besserer Spieler, als ich es zu dieser Zeit war", erklärte er. "Die Qualitäten, die er mitbringt, sein Gespür für den Ball und die Art und Weise, wie er den Quarterback erreicht ohne langjährige Erfahrung. Er bringt einfach alles mit."

Viele Lobeshymnen erreichten T.J. diesbezüglich, doch bei den Analysen der Draft-Prospects für 2017 wurden auch kritische Stimmen lauter, die T.J. eben ob der mangelnden Erfahrung Schwierigkeiten voraussagten.

Die Pittsburgh Steelers um General Manager Kevin Colbert ließen sich davon jedoch nicht beirren und griffen an 30. Stelle noch in der ersten Runde zu. Als Colbert und Head Coach Mike Tomlin sich vor dem Draft mit T.J. getroffen hatten, sahen sie das Feuer in seinen Augen. Dieser Junge wird sich sein eigenes Denkmal bauen, war sich Colbert sicher. "Ich glaube, dass er einer dieser Typen ist, die nicht viel reden. Er wird sein Spiel für ihn sprechen lassen."

Raus aus dem Schatten

Ohnehin war im Pass-Rush der Steelers-Defense noch Bedarf vorhanden. Neben Bud Dupree geht James Harrison in seine 16. NFL-Saison. "Mit seiner Vielseitigkeit kann T.J. uns an der Line of Scrimmage, in der Mitte und auch in der Coverage helfen. Er hat die Hände dafür."

Da auch Wisconsin im 3-4-Set agierte, erwarten sie in Pittsburgh keine Anpassungsschwierigkeiten für Watt, der beim Combine - der selbst zitierten "Unterwäschen-Olympiade" - mit 11,2 Sekunden im 60-Yard Shuttle die beste Zeit aller Front-Seven-Defense-Spieler hinlegte.

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"Ich weiß nicht, was man an ihm nicht mögen kann", lobte NFL-Network-Analyst Charley Casserly. Vergleiche mit Clay Matthews, Khalil Mack oder Paul Kruger kamen nicht zum ersten Mal auf. Zumal Watt ein vielseitiger Edge-Spieler ist, ob gegen den Run, oder den Pass. "Er ist schnell, intelligent, stark und explosiv. Er hat alle athletischen Voraussetzungen."

Immerhin ist T.J. ja auch ein Watt. Und T.J. ist bereit, der Liga zu zeigen, dass dieser Name nicht nur ein schwerer Ballast auf seinem Trikot ist.

"Ich bin nicht sicher, ob die Leute mich überhaupt kennen, weil ich in so einem großen Schatten stehe. Aber ich bin es satt, auf meine Chance zu warten. Jetzt kommt mein Jahr. Es ist Zeit, mein eigenes Statement abzugeben."

Trent Jordan Watt im Steckbrief