NFL

Der schwierigste Spieler im Draft

Wenige Spieler sind im Vorfeld des Drafts so schwer einschätzbar wie Jabrill Peppers
© getty

Die einen sehen ihn als möglichen X-Faktor, die anderen halten ihn für schlicht dramatisch überbewertet - und irgendwo dazwischen liegt mutmaßlich die Wahrheit: Jabrill Peppers ist vor dem Draft extrem schwer zu greifen. Seine Aussichten wurden wenige Tage vor dem Draft nochmals nebliger, seine Kritiker erhalten neue Munition. Doch er könnte eine äußerst wichtige Position in der NFL einnehmen.

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Zum "am heftigsten überbewerteten Spieler in diesem Draft" hatte Bleacher-Report-Analyst Chris Simms Peppers jüngst erst erklärt: "Es ist verrückt, ihm eine Erstrunden-Note zu geben. Er ist unzuverlässig in Coverage und spielt nicht so schnell, wie seine Zeit über 40 Yards vermuten lässt. Er kann da mit NFL-Spielern nicht mithalten." Peppers habe, betonte Simms weiter, "keine Position" in einer NFL-Defense.

"Er ist einer der schwierigeren Kandidaten dieser Draft-Klasse, was die Bewertung angeht. Er wurde positionsfremd als Linebacker eingesetzt, daher sieht man die Dinge, die er in der NFL machen wird, nicht wirklich. Und er hat nur eine Interception", versucht sich NFL-Network-Draft-Experte Daniel Jeremiah an einer Analyse und fügte hinzu: "Gleichzeitig ist er ein explosiver Athlet, intelligent, und hat einen tollen Charakter. Ich denke, man beginnt beim Special Team, wo er herausragend sein wird."

Daniel Jeremiah im SPOX-Interview: "Sicher zwei Quarterbacks in Runde 1"

Mike Mayock, der Draft-Guru beim NFL Network, hatte Peppers Mitte März als seinen Top-Safety sowie insgesamt als Top-10-Talent im diesjährigen Draft aufgeführt, während Mayocks Kollege Bucky Brooks von NFL.com betonte, dass man Peppers "auf richtigen Positionen einsetzen muss, wo er Erfolg haben kann."

Lange Rede, kurzer Sinn: Würde man Peppers' Draft-Analyse in einen Facebook-Status packen, es wäre der berüchtigte "es ist kompliziert"-Stempel. Michigans All-Arounder ist mit Blick auf die NFL eine große Unbekannte, und damit völlig unvorhersehbar mit Blick auf den Draft.

"Don wurde erschossen"

Im Gegensatz zu anderen Draft-Prospects betrifft diese Ungewissheit bei Peppers rein sportliche Aspekte - auch wenn es abseits des Platzes genügend Gelegenheiten gegeben hätte, auf die schiefe Bahn zu geraten.

Sein Vater wurde festgenommen, als Peppers sieben Jahre alt war. Im Gefängnis durfte er ihn kein einziges Mal besuchen, seine Eltern wollten nicht, dass er seinen Vater so sieht. "Ich habe mit ihm fast jede Woche etwa 15 Minuten lang telefoniert. Das war wirklich die einzige Beziehung, die ich zu ihm aufbauen konnte, während ich aufgewachsen bin", berichtete Peppers in der Players' Tribune. Erst seit 2014, als sein Vater entlassen wurde, bauen beide eine echte Beziehung zueinander auf.

In der Folge wurde sein älterer Bruder Don zu einer Art Vaterfigur für ihn, beide hegten den gemeinsamen Traum, über Football das alte Viertel und damit auch das alte Leben hinter sich zu lassen. "Aber die Straßen interessieren sich nicht für deine Träume", schreibt Peppers weiter. "Der Weg, den Don eingeschlagen hat, endet fast immer gleich. An einem kalten Januar-Tag 2010 hat er den Preis bezahlt: Don wurde erschossen."

Schon früh fokussiert auf Charles Woodson

Dennoch vermied Peppers selbst die schiefe Bahn - maßgeblich geprägt durch seine Begeisterung für Football. Er hielt an dem Traum fest, durch den Sport einen Neuanfang zu schaffen und hatte dabei ein klares Vorbild.

"Mein erster "Clutch"-Moment war noch im Pop-Warner-Football", blickt Peppers zurück, "als ich einen Run nach rechts bei auslaufender Uhr zum entscheidenden Touchdown in die Endzone getragen habe - obwohl ich dabei einen Schuh verlor. Aber während ich das Feld runter gelaufen bin, hörte ich in meinem Kopf: 'Charles Woodson - an der 15 - an der 10 - an der 5...'"

Aus heutiger Sicht wirkt es fast wie eine Art Prophezeiung. Denn Peppers folgte Woodsons Fußstapfen nicht nur bis nach Michigan: Spätestens nachdem er in der Offense und der Defense eingesetzt wurde sowie in die engere Auswahl zur Heisman Trophy kam, folgten unweigerlich die Vergleiche zu Woodson.

"Ich weiß, dass es die Vergleiche gibt. Aber er ist ein eigener Typ und hat seinen eigenen Stil", wiegelte Woodson während der 2015er Saison in der Chicago Tribune ab, legte im Vorjahr aber nach: "Es macht womöglich gar nicht so viel aus, dass er nicht diese eine Position hat, die er wirklich gut beherrscht. Je mehr du für ein Team leisten kannst, desto mehr Gelegenheiten hast du, deinen Platz in jedem Team zu finden. Ob als Corner, Safety oder in der Offense - er wird irgendwo eine Chance bekommen, all das zu zeigen."

Ein Vergleich? Wie wäre Jim Thorpe?!

Wenn man dann noch Peppers' College-Coach fragt, gelten die eingangs erwähnten, stark variierenden Einschätzungen selbstredend ohnehin nicht. "Es gibt nichts, was er nicht kann. In meinen Augen sehen wir da einen Heisman-Trophy-Gewinner", gab Wolverines- sowie Ex-49ers-Coach Jim Harbaugh während der vergangenen Saison zu Protokoll und schob einen hohen Vergleich nach: "Vielleicht Jim Thorpe, das könnte ein guter Vergleich sein."

Jim Thorpe war seines Zeichens einer der größten All-Around-Athleten und Football-Spieler im frühen 20. Jahrhundert mit einer äußerst bewegten Geschichte, Harbaugh legte trotzdem nochmals nach: "Wenn es aktuell einen besseren College-Spieler gibt, weiß ich nicht, wer das sein soll. Es gibt nichts, das er nicht tun kann."

In gewisser Weise mag Harbaugh mit dieser letzten Aussage sogar Recht haben: Peppers wurde im College als Safety, Linebacker, Running Back, Returner und Option-Quarterback eingesetzt. Neben 66 Tackles (13 Tackles for Loss, 3 Sacks) legte Peppers in der vergangenen Saison 27 Rushing-Versuche für 167 Yards und zwei Touchdowns sowie 21 Punt-Returns (310 YDS, TD) und zehn Kickoff-Returns (260 YDS) auf. Die große Frage allerdings wird mit Blick auf die NFL und zunächst den Draft sein, ob ihm das hilft - oder ihm doch eher schadet.

Peppers war bei der Combine schneller als Antonio Brown auf 40 Yards, schneller als DeSean Jackson beim 10-Yard-Split und ist höher gesprungen als A.J. Green. Gleichzeitig aber hatte ESPN Verantwortliche von zwölf Teams am Rande der Combine zu Peppers befragt, zurück kamen vor allem Gegenfragen. Ist er ein Safety, ein Box-Spieler, ein Linebacker? Setzt man ihn in der Offense oder der Defense ein? Warum hatte er im College nur eine Interception?

Eine Umstellung als Herausforderung

"Faire Fragen", wie Peppers offen zugibt, "und nein, ich hatte nie wirklich die Chance, meine Fähigkeiten im tiefen Drittel des Feldes zu zeigen. Aber ich nehme es so, wie es ist. Von mir wurde verlangt, an oder hinter der Line of Scrimmage Plays zu machen, und das habe ich gemacht."

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Was der 21-Jährige hier zum Ausdruck bringt, beschreibt eine taktische Veränderung in Michigans Defense, die maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass sich Peppers' Bewertung so schwierig gestaltet. Um der Defense mehr Geschwindigkeit im Bereich der Front Seven zu geben, wurde Peppers verstärkt in die Box, also näher an die Line of Scrimmage, verschoben.

Seine primäre Aufgabe war es dabei häufig, mit seiner Explosivität zu verhindern, dass gegnerische Runs nach außen durchbrechen - also eine Art Contain-Rolle, nicht selten auch damit bedacht, einen Run zurück in die Mitte zu drängen. Brett Kollmann hat das in einer ausführlichen Film-Analyse sehenswert aufgezeigt. In dieser Rolle war es häufiger nicht Peppers, der letztlich das Tackle macht. Hier war Disziplin verlangt, um die Defense als Ganzes zu stabilisieren und so letztlich auch zu stärken.

Positionstechnisch war er dabei häufig eine Mischung aus Linebacker, Safety und Nickel-Cornerback und Michigans Scheme ließ Peppers in Coverage häufig schlecht aussehen. Nicht selten ohne eigenes Mitverschulden, sondern eher, weil etwa ein Mitspieler eine gemeinsame Bracket-Coverage nicht richtig spielte. Was nicht heißt, dass Peppers in Coverage fehlerlos war.

Wo ist Peppers' Platz in der NFL?

So erklären sich dennoch auch weitere Aussagen seiner Coaches. "Er hat eine herausragende Spielintelligenz. Er kann alles. Im Prinzip habe ich meinen schlausten Spieler genommen, ihn zahlreiche Dinge tun lassen, und er hat sie alle auf großartige Weise erledigt", schwärmte Michigans Defensive Coordinator Don Brown bei ESPN. "Er kann Konzepte verinnerlichen. Wir sind beispielsweise im Meeting, er stellt zwei Fragen und zack - er bringt es auf den Platz."

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Diese Spielintelligenz zeigt sich zumindest vereinzelt auch auf Peppers' Tape. Immer wieder liest er Spielzüge geduldig, und hat er das Play erkannt, explodiert er wie ein Geschoss durch die Line of Scrimmage. Dafür braucht Peppers ein gewisses Maß an Platz, gleichzeitig aber kann er mit seiner Athletik in Man Coverage viel mehr als nur standhalten. Eine Rolle, die ihm in der vergangenen Saison merklich seltener zukam, was seinen Draft-Status für viele Experten ganz offensichtlich beeinträchtigt.

Klar ist auf der anderen Seite aber auch, dass er als Hybrid-Safety-Linebacker wie etwa Arizonas Deone Bucannon oder Mark Barron bei den Rams Probleme bekommen wird, wenn er es gegen den Run mit Offensive Linemen aufnehmen muss.

Und doch bleibt so die Frage: Welche Rolle wird Peppers in der NFL - neben dem Returner-Job, den er bei nahezu jedem Team sofort übernehmen könnte - auf Top-Level ausfüllen?

"Ich liebe es, andere umzuhauen"

"Ich liebe es, andere Leute umzuhauen", sagt Peppers selbst, wenn man ihn auf seine Lieblingsaktivität auf dem Platz anspricht. Immerhin kam er als hoch gehandelter Cornerback und Running Back nach Michigan, bat aber darum, primär in der Defense eingesetzt zu werden, um Hits austeilen zu können.

Die Antwort könnte eine Rolle sein, die in der NFL zunehmend an Wert gewinnt: Ein Nickel-Cornerback mit Man-Coverage und Blitzing-Aufgaben sowie Qualitäten als eine Art flexibler "freier Spieler" gegen den Run. Teams spielen mittlerweile im Schnitt über 65 Prozent ihrer Snaps in Nickel (also fünf statt vier Defensive Backs) oder mit noch mehr DBs, die Base-Formation gerät zunehmend ins Abseits. Dieser fünfte Defensive Back könnte, neben den Return-Aufgaben, die ideale Heimat für Peppers sein.

Combine-Dopingprobe als Stolperstein?

Ein zusätzliches Fragezeichen kam allerdings am Montag auf: Peppers ist bei der Combine-Dopingprobe aufgefallen. Nicht mit einem positiven Test, aber mit einer verdünnten Probe, was aus Sicht der NFL als "durchgefallen" zählt. In einem Statement erklärte er, dass er mit einer Erkältung zur Combine gekommen war und dementsprechend mehrere Liter Wasser getrunken habe, bevor er ins Bett ging. Angesichts seiner zuvor blütenweißen Weste mag man versucht sein, Peppers zu glauben. NFL-Teams werden jetzt dennoch abermals weitere Fragen rund um die Allzweckwaffe haben.

"Ich kontrolliere die Dinge, die ich kontrollieren kann", hatte Peppers bereits einige Wochen vorher in der Detroit Free Press angekündigt, und daran hat sich nichts geändert: "Ich werde effektiv sein, wo auch immer ich eingesetzt werde. Ich habe vielleicht nicht viel Safety-Tape, aber ich bin ein verdammt guter Safety."

Peppers ist, das wird klar, wenn man sich mit seinem College-Tape beschäftigt, definitiv kein fertiger Spieler und dürfte anfangs in einer NFL-Defense noch Probleme haben. Noch stärker als bei anderen Draft-Prospects wird es bei ihm darauf ankommen, dass er gemäß seiner Qualitäten als Man-Cover-Spieler, Blitzer und einer Art X-Faktor in der Nähe der Line of Scrimmage eingesetzt wird.

Dass es ihm am Selbstvertrauen nicht mangelt, merkt dabei jeder, der sich nur fünf Minuten mit Peppers beschäftigt. Und so bekam auch der eingangs erwähnte Chris Simms für seine heftige Kritik eine klare Antwort: "Ich habe positionsfremd gespielt und wurde trotzdem ein All-American. Wie viele Spieler können das und machen das für ihr Team?"

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