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Carson Wentz und das leichte Kribbeln

Von Mario Krischel
Die Philadelphia Eagles gehen euphorisiert in die anstehende Offseason
© getty

Die Philadelphia Eagles haben sich in der Free Agency vor allem in der Offense namhaft verstärkt. Rund um Quarterback Carson Wentz soll jetzt ein Team Form annehmen, das seine leidenschaftlichen Fans nach vielen Jahren mal wieder belohnt. Vor dem Draft bleiben dennoch zwei klare Baustellen offen.

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Turbulent ging es zu im März 2016 am Novacare Complex in den Büros der Philadelphia Eagles. Head Coach Chip Kelly war nach drei enttäuschenden Jahren im Dezember entlassen worden, seine Spuren sollten - oder mussten - möglichst schnell beseitigt werden. Kelly hatte zuvor sein eigenes Ding gemacht und bei jedem Spieler, jedem Vertrag und jedem Trade das letzte Wort.

Bei den Fans war er nicht zuletzt für den Trade von All-Pro Running Back LeSean McCoy nach Buffalo oder den Quarterback-Tausch von Nick Foles zu Sam Bradford in Ungnade gefallen. Er hatte zumeist nur an einzelnen Stellschrauben gedreht und das Gesamtkonstrukt sukzessive aus den Augen verloren - oder verlieren lassen.

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Howie Roseman, jetziger Vize-Präsident, sah das Dilemma der Kelly-Ära hautnah mit an. Mehr noch, er erlebte es am eigenen Leib: Von Kelly wurde er herabgestuft, bekam ein neues Büro fernab vom Zentrum des Eagles-Komplexes.

Im März letzten Jahres war es dann sein Job, die Schäden zu beseitigen. Und er erfüllte seinen Job, so gut es ging.

Das Monster räumt den Laden auf

Doug Pederson, bis dato Offensive Coordinator der Kansas City Chiefs und als Spieler und Quarterback-Coach bereits in Philly bekannt, übernahm seinen ersten Head-Coach-Posten in der NFL. Dazu wurden DeMarco Murray (Tennessee Titans), Byron Maxwell und Kiko Alonso (beide Miami Dolphins) abgegeben, im Gegenzug konnte der Kader in der Tiefe verstärkt werden. Außerdem katapultierte sich Roseman im Draft via Trade von Position 13 auf zwei.

Jener Draft im April sollte dann den vollständigen Neustart einleiten. Obwohl Starting-Quarterback Bradford gerade erst einen hochdotierten Zweijahresvertrag über 36 Millionen Dollar unterzeichnet hatte, schlugen die Eagles an Position zwei bei Carson Wentz zu.

Der Quarterback der North Dakota State University sollte sich in seiner Debüt-Saison eigentlich langsam herantasten, doch nachdem Roseman Bradford eine Woche vor dem Beginn der Regular Season nach Minnesota abgegeben hatte, wurde Wentz im September ins kalte Wasser geworfen und kurzerhand zum Starter ernannt.

Dass Roseman eine durchwachsene Saison (7-9) später als "Genius", "Beast" oder "Monster" gepriesen wird, ist nicht etwa Ironie. Es ist einfach nur die Dankbarkeit der seit Jahren leidenden Eagles-Fans, die vor der neuen Saison so hoffnungsvoll sind, wie lange nicht mehr. Und das nicht zuletzt dank der Free Agency.

Der Zauberstart und der freie Fall

Dabei war die Hoffnung auch im letzten Oktober groß, als die Eagles - angeführt von Wentz - mit einem perfekten 3-0-Start in die Bye Week gingen. Wentz war bis dahin gänzlich ohne Turnover geblieben und schrieb bereits rekordverdächtige Zahlen. Sein rotes Haar verhalf ihm obendrein gar zum Spitznamen "Ginger Jesus".

In Week 5 sollte sich das Blatt jedoch wenden - in Detroit setzte es die erste Saisonniederlage, Wentz warf kurz vor Schluss seine erste Interception. In den folgenden zehn Partien gingen die Eagles nur noch zweimal als Sieger vom Platz, die Playoffs wurden angesichts der schließlich negativen Bilanz wieder einmal verpasst.

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Doch anders als sonst blieben sowohl Verantwortliche als auch Fans sachlich. Jeder hatte erkannt, dass da rund um Wentz etwas entstehen kann. Innerhalb einer einzigen Offseason jedoch ist das in der NFL nicht möglich, insbesondere angesichts des von Kelly hinterlassenen Scherbenhaufens. Der Absturz ins Mittelmaß in der Vorsaison hatte aber zusätzliche, rein sportliche Gründe.

Durchschaubarer Gameplan

Die Probleme des Teams von Coach Pederson waren so offensichtlich wie bei nur wenigen Mannschaften. Zu Beginn der Saison tankte Wentz mit einem relativ simplen Gameplan Selbstvertrauen, bewegte sich gut in der Pocket und holte durch schnelle Releases viele einfache First Downs. Doch darauf stellten sich die Gegner ein und setzten Wentz dementsprechend früh unter Druck.

Das hatte zur Folge, dass der Rookie ungenau wurde und auch leichte Pässe schnell mal überwarf. Darüber hinaus übersah er oft durch vor dem Snap festgelegte Würfe offene Receiver, oder ließ eine Seite des Feldes komplett ungenutzt. Das Hauptproblem war aber nicht Wentz selbst, der die Saison mit 3782 Yards, 16 Touchdowns und 14 Interceptions beendete. Ihm fehlten schlichtweg die Anspieloptionen.

Die Receiver um Nelson Agholor (365 Total Yards, zwei Receiving Touchdowns), Dorial Green-Beckham (392, zwei) und Jordan Matthews (804, drei) stellten die gegnerische Secondary nur selten vor ernsthaftere Herausforderungen. Dass mit Zach Ertz ein Tight End die meisten empfangenen Yards und Touchdowns (816, vier) machte, passt ziemlich gut ins Bild. Das größte Dilemma entstand allerdings durch die fatalen Drop-Probleme.

"Wir mussten reagieren und haben sehr gute Lösungen gefunden", erklärte Roseman Anfang März, nachdem er mit Alshon Jeffery (Chicago Bears) und Torrey Smith (San Francisco 49ers) zwei Free-Agent-Receiver nach Philly lotsen konnte. Zuzüglich der Verstärkung der O-Line mit Ex-First-Round-Pick Chance Warmack (Tennessee Titans) und der Verlängerung von Guard Stefen Wisniewski hat Roseman es geschafft, um den Quarterback ein mehr als konkurrenzfähiges Gerüst zu errichten.

"Diese Stadt verdient eine Meisterschaft"

"Als wir mit Alshon und Torrey gesprochen haben", sagte Roseman weiter, "waren sie begeistert von unserer Offensive Line. Das ist wohl das größte Kompliment für das Team und die Coaches."

Jeffery verriet zudem, dass bei ihm Wentz der ausschlaggebende Grund für einen Wechsel nach Philadelphia gewesen sei: "Ich habe viel mit ihm geschrieben und ihm gesagt, dass ich ihn zum MVP mache. Er sagte, das sei ihm egal. Er wolle nur die Meisterschaft gewinnen. Genau das ist die Mentalität, auf die ich mich so freue. Diese Stadt verdient eine Meisterschaft."

Die O-Line bilden somit Lane Johnson und Jason Peters als Left und Right Tackle, Jason Kelce als Center sowie Brandon Brooks als Right Guard. Auf der linken Seite konkurrieren wohl Wisniewski, Warmack und Allen Barbe um den Starting Job. So oder so ist das eine Formation, die Wentz im kommenden Jahr mehr Zeit in der Pocket gewährt. "Bei dieser Gruppe fängt es bei mir ein bisschen an zu kribbeln", witzelte Offensive Line Coach Jeff Stoutland bereits. "Das wird Spaß machen."

Die Termine in der Offseason

Nicht umsonst gilt Wentz als einer der größten Gewinner der Free Agency. Mit Jeffery als Catch-Point Receiver und Smith als Speedster kann Jordan Matthews nun den Slot übernehmen, dazu kommen mit Ertz ein fangsicherer Tight End sowie Allzweckwaffe Darren Sproles. Außerdem kann sich Agholor ein wenig zurückziehen und bekommt die Zeit, sich in der Reservistenrolle weiter zu entwickeln.

Problemzone I: Wer soll laufen?

"Wir haben absolut das Potenzial, hier etwas Besonderes entstehen zu lassen", erklärte Neuzugang Jeffery. "Jetzt ist es unsere Aufgabe, die Fans glücklich zu machen."

Bei all der Lobhudelei hat es aber natürlich seine Gründe, dass die Eagles auch in der kommenden Saison noch kein Super-Bowl-Contender sind. Und bevor dabei die Defense angesprochen werden kann, wäre da noch die Vakanz im Laufspiel. Ryan Mathews (661 Rushing-Yards, acht Rushing-Touchdowns), Darren Sproles (438, zwei) und Wendell Smallwood (312, einer) sind alle nicht die 1-A-Lösung. Zumal sich Mathews mit 29 und Sproles mit 33 Jahren schon im fortgeschrittenen Football-Alter befinden. Auch hier könnte Roseman im Laufe der Offseason noch reagieren.

Die Großbaustelle bleibt jedoch zweifelsohne die Defense, ganz besonders das Backfield. Auch wenn die Zahlen es nicht so stark wiedergeben, agierte Philadelphia dort in der vergangenen Saison teilweise wild in der Coverage. Insgesamt kassierten die Eagles 25 Passing-Touchdowns.

Nach dem Abgang von Nolan Carroll zu den Dallas Cowboys und der Entlassung von Leodis McKelvin bleibt mit Jalen Mills, im vergangenen Draft an Position 233 gepickt, trotzdem aktuell lediglich ein einziger wettbewerbsfähiger Cornerback. Immerhin bilden Veteran Malcolm Jenkins und Rodney McLeod das womöglich stärkste Safety-Duo, das die Eagles in den letzten Jahren hatten.

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In der Defensive Line stehen mit Fletcher Cox und Brandon Graham weiterhin zwei Pro-Bowler bereit, Vinny Curry hingegen hat in der letzten Saison nach seiner lukrativen Vertragsverlängerung einen kleinen Rückschritt gemacht.

Tackle Bennie Logan hat bei den Chiefs einen Einjahresvertrag unterschrieben, Fan-Liebling Connor Barwin (inzwischen Los Angeles Rams) wurde während der Free Agency entlassen, womit auch im Pass-Rush eine Lücke klafft. Mit dem jüngst verpflichteten Chris Long kommt zumindest ein starker Rotationsspieler, dort müssen allerdings auch Mychal Kendricks und Jordan Hicks auf den Linebacker-Positionen noch einen Sprung machen.

Mit Ausblick auf den Draft, der ab dem 27. April in Philadelphia stattfindet, ist die Marschrichtung für Roseman auch in dieser Hinsicht eigentlich eindeutig: Der Fokus muss auf der Defense liegen, auch wenn manche Experten einen Running Back in der ersten Runde (Philly hat den 14. Pick) vermuten. Da die Klasse der Cornerbacks in diesem Jahr außergewöhnlich stark ist, wäre ein geeigneter Pass-Rusher als First-Round-Pick aktuell am wahrscheinlichsten. In der zweiten Runde (Pick Nr. 43) könnte dann schon ein Running Back geholt werden.

In vielerlei Hinsicht hat Roseman die Fehler der vergangen Jahre schon jetzt nahezu komplett ausgebügelt und den Grundstein gelegt, ein konkurrenzfähiges Team um Carson Wentz zu bauen. Nun ist der 24-Jährige an der Reihe, gemeinsam mit der neu formierten Offense das Playbook einzustudieren, um in der kommenden Saison den nächsten Schritt zu machen.

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