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Lehrgeld bei der Reifeprüfung?

Für Ben Roethlisberger und die Pittsburgh Steelers beginnt eine lange Offseason - doch die Zukunft wirkt rosig
© getty

Für die Pittsburgh Steelers endet die Saison mit einer deutlichen Niederlage bei den New England Patriots. Ein Spiel, das im Vorfeld eigentlich als Duell auf Augenhöhe eingeschätzt wurde, war letztlich eine klare Angelegenheit. Bei den Steelers regiert anschließend eine entwaffnende Ehrlichkeit - die junge Defense steht im Fokus. Doch es müssen sich auch die Coaches hinterfragen. Trotz allem wirkt die Aussicht rosig.

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Die Pressekonferenz nach einem Spiel ist selten der Ort, um wirkliche Einblicke oder Insider-Informationen zu bekommen. Floskeln sind vielmehr Trumpf, der Blick ist stur nach vorne gerichtet, die Konzentration gilt dem berühmten nächsten Spiel. Bestenfalls bekommt man noch ein nettes Fazit, wie es die Packers nach ihrem Playoff-Aus in Atlanta ablieferten.

Doch das prägende Element der Playoffs ist ihre Finalität, eine Niederlage und die Saison ist vorbei. Dann heißt es am nächsten Tag: Spind ausräumen, nach Hause fahren. Für manche Spieler ist es das letzte Spiel überhaupt, oder aber zumindest die letzte Partie für dieses Team.

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Zu diesen Spielern gehört Ben Roethlisberger selbstredend nicht, und doch packte ihn der Moment nach dem Spiel ein wenig - und veranlasste einen Moment der Ehrlichkeit. "Teilweise wirkte es fast so", erklärte Big Ben, "als wäre das Spiel zu groß für einige der jungen Spieler".

Es wirkte nicht wie eine aus dem puren Frust heraus getätigte Aussage. Vielmehr schien es, als hätte Roethlisberger diesen Gedanken bereits vor dem Duell in Foxboro gefürchtet und sich auf dem Platz schließlich in seiner Sorge bestätigt gefühlt. Und doch: Die letztlich deutliche Niederlage gegen die Patriots nur an der Unerfahrenheit insbesondere in der eigenen Defense festzumachen, würde der Sache nicht gerecht.

Verhängnisvolle Passivität

Die Texans hatten, so schien es, während ihrer Pleite in New England in der Divisional-Runde eine nette Vorlage geliefert. Zwar stand dort am Ende ebenfalls ein souveräner Sieg der Pats, doch lag das vor allem an den dramatischen Limitierungen der Texans-Offense.

Defensiv dagegen war es eine über weite Strecken beeindruckende Vorstellung: Houston gelang es, per Stunts, Inside-Blitzen und indem die Edge-Rusher plötzlich zentral platziert wurden, die Mitte der Patriots-O-Line zu attackieren - und damit Brady etwas aus dem Rhythmus zu bringen.

Die Steelers, als eines der besseren Linebacker-Blitzing-Teams der Liga, hätten daran schematisch anknüpfen können. Doch sie entschieden sich für das Gegenteil: Pittsburgh spielte seine bekannte Zone-Defense, und das sehr passiv. Immer wieder sahen New Englands Receiver stark zurückgezogene Cornerbacks in extremer Off-Coverage, die Steelers spielten kaum einmal Press-Coverage.

In der Folge hatten Julian Edelman, Chris Hogan und Co. wieder und wieder einen freien Release von der Line of Scrimmage weg, und konnten so nahezu ungehindert in ihre Route kommen. Dazu kam dann die von Roethlisberger angesprochene Jugend: Brady drehte das Tempo hoch, spielte eine rasante No-Huddle-Offense und forcierte so letztlich Kommunikationsfehler in der Secondary. Dadurch ergaben sich fast durch das komplette Spiel weg große Löcher in der Zone-Coverage, die Patriots-Receiver problemlos attackieren konnten.

Lerneffekt bei der Reifeprüfung?

Das war, wie alles, was New England auf dem Platz macht, kein Zufall. "Wir haben auf dem Tape gesehen, dass das gegen sie funktioniert", verriet Pats-Tackle Nate Solder anschließend und Roethlisberger fuhr passend dazu fort: "Ich hoffe, dass das einen Lerneffekt hat und die Jungs verstehen, dass nichts garantiert ist. Nur die Playoffs zu erreichen ist nicht genug. Viele sind schon sehr lange in dieser Liga und waren noch nie im Championship-Spiel. Ich hoffe, jeder versteht die Bedeutung und ergreift die Gelegenheit, falls wir sie nochmals bekommen."

Signifikant dabei war allerdings auch, dass sich die Steelers an New Englands Offensivplan defensiv nicht anpassten und so immer weiter in Rückstand gerieten - während die eigene Offense nicht schritthalten konnte. Auch hier waren die maßgeblichen Faktoren offensichtlich: Durch die Leistenverletzung von Le'Veon Bell schon im ersten Viertel fehlte Pittsburgh ein zu großes Stück der eigene Identität, die Steelers hatten sich seit Wochen über die starke Kombination aus Bell und der Offensive Line ausgezeichnet.

Die Packers nach dem Playoff-Aus: Ein leiser Schrei nach Hilfe

Als Ausrede nutzte das niemand, "Verletzungen sind Teil des Spiels", betonte Steelers-Coach Mike Tomlin. Man habe es vielmehr nicht geschafft, "schnell genug die nötigen Anpassungen vorzunehmen".

Gleichzeitig verteidigten die Patriots den Run stark, indem sie geduldig die Box kontrollierten, ohne dabei über-aggressiv zu blitzen - während Antonio Brown bei einer Kombination aus Cornerback Malcolm Butler und einem Safety meist gut aufgehoben war. "Heute lief nicht viel für uns, das gilt nicht nur für das Endergebnis", fasste Tomlin weiter zusammen. "Sie haben ihr normales Spiel gespielt, wir allerdings nicht unseres. Das wäre eine Voraussetzung für einen Sieg gewesen, aber das haben wir nicht geschafft."

"Weitere verpasste Gelegenheiten"

Die gute Nachricht für Pittsburgh dabei ist klar - die Fehler aus dem Patriots-Spiel sind korrigierbar, das Potential für die kommenden Jahre glänzend. Die Secondary, die über die vergangenen Wochen deutlich verbessert war, wird aus diesem Spiel lernen und auch die Coaches sollten ihre Schlüsse aus der Art und Weise, wie sie vom alljährlichen AFC-Contender ausgehebelt wurden, ziehen.

Die Front Seven um langfristige Säulen wie Ryan Shazier, Bud Dupree oder Javon Hargrave sollte in den kommenden Jahren ebenfalls noch besser werden, während die Offensive Line über die letzten zwei Monate die vielleicht beste in der gesamten NFL war.

Dann gilt es vor allem, an der Red-Zone-Effizienz zu arbeiten: Sowohl in Kansas City in der Vorwoche als auch gegen die Pats war Pittsburgh innerhalb der Red Zone nahezu komplett harmlos. "Da müssen wir sieben Punkte holen", kritisierte Big Ben, der sich nach einigen wackligen Auftritten insgesamt besser präsentierte, die Quote von einem Touchdown aus drei Red-Zone-Trips. "Und wir hatten noch weitere verpasste Gelegenheiten."

Shazier schlug in die gleiche Kerbe: "Das habe ich nicht kommen sehen. Ich dachte im Vorfeld, dass wir das Spiel kontrollieren könnten und als Einheit besser spielen würden. Ich weiß, dass Tom einer der besten Quarterbacks aller Zeiten ist, vielleicht sogar der beste. Aber am Ende des Tages ist er ein Mensch, und Menschen machen Fehler. Das haben wir gegen die Texans gesehen. Ich dachte, wir könnten ihn erwischen. Aber er hat stattdessen uns erwischt."

Die vier Fragezeichen

Unter dem Strich jedoch überwiegen, lässt man den ersten Frust über die Niederlage hinter sich, perspektivisch die positiven Aspekte. Mit vier personellen Einschränkungen: Der Vertrag von Bell läuft aus, der Running Back hat bereits erklärt, dass er bleiben will - notfalls könnte das auch über den Franchise Tag passieren.

Darüber hinaus kann Pittsburgh nicht damit rechnen, dass James Harrison seine herausragende 2016er Saison nochmals wiederholt. Harrison wird 39 Jahre alt sein, wenn die kommende Saison beginnt, und sollte eher als Rotationsspieler für den Pass-Rush eingeplant werden.

Bleiben zwei Fragezeichen im Passing Game: Was passiert mit dem für die komplette Saison gesperrten Martavis Bryant in der kommenden Spielzeit? "Ich war jung und habe Fehler gemacht", erklärte der Wide Receiver vor einigen Tagen der Sports Illustrated. "Das war ein schwarzer Moment in meinem Leben. Es hat meiner Mutter und meiner Großmutter weh getan und ich habe ihnen gesagt, dass ich mich bessern würde. Dieses Jahr hat mir dabei geholfen, zu wachsen. Ich habe viele Dinge geändert, ich habe mich selbst geändert. Das werde ich allen zeigen."

"Es war sehr frustrierend"

Der Vierte im Bunde ist Ladarius Green. Der Tight End wurde im Sommer als kongenialer Partner für Antonio Brown verpflichtet, verpasste dann aber fast die komplette Saison nach einer Knöchelverletzung sowie einer weiteren Gehirnerschütterung. "Es war sehr frustrierend", gab er auf der Steelers-Homepage am Montag offen zu. "Etwa zur Saisonmitte war ich voller Energie und habe mich gefreut, spielen zu können. Diese Dinge kann man nicht planen. Ich hatte einen Rückschlag, es war eine frustrierende Saison. Ich hoffe, es bleibt meine einzige."

Es war dieser Tenor, der auch in Roethlisbergers Fazit letztlich durchsickerte. "Es ist etwas frustrierend. Wir sprechen manchmal davon, dass es nur ein Play hier und ein Play da ist, das den Unterschied ausmacht - und heute haben wir diese Plays nicht gemacht."

Ob das Spiel zu groß war? "Ich weiß es nicht. Aber wir müssen in so einem Spiel gegen einen solchen Gegner jede Gelegenheit nutzen." Festzuhalten bleibt jedoch, dass der Kern dieses Teams steht und über die kommenden Jahre noch besser werden sollte. Und dann könnte das abrupte Ende dieser Saison tatsächlich als Lerneffekt fungieren.

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