NFL

Die klassische Win-win-Situation

Bill Belichick: Könnte er auch mit einer Niederlage am Sonntag ganz gut leben?
© getty

Wenn die Arizona Cardinals zum Abschluss des ersten NFL-Sonntages der neuen Saison auf die New England Patriots treffen (in der Nacht auf Montag live ab 2.30 Uhr auf DAZN), ist die Favoritenrolle vergeben: Die ersatzgeschwächten Pats reisen ohne ihre größten Stars Tom Brady und Rob Gronkowski an. Dennoch dürfte der heimliche Sieger am Ende wieder einmal Bill Belichick heißen. Die ganze spezielle Vorschau von SPOX-Redakteur Stefan Petri.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Cardinals vs. Patriots. Für nicht wenige ist es eine Vorschau auf Super Bowl LI am 5. Februar in Houston. Arizona hat sich im Vergleich zur Vorsaison noch einmal auf mehreren Positionen verstärkt und könnte kurz vor dem Durchbruch in der NFC stehen, und die Patriots stehen nach dem Rücktritt von Peyton Manning plötzlich mehr oder weniger allein im Rampenlicht der AFC. Kein Wunder, dass man bei einem Tipp auf eine der beiden Franchises in Vegas derzeit nicht besonders viele Dollars zurückbekäme.

Gleichzeitig sind sich die Buchmacher aber in einer Sache einig: Die Cardinals sind in der Nacht auf Montag klarer Favorit. Rund sieben Punkte werden die Gastgeber derzeit besser eingestuft, nur die Seahawks haben daheim gegen Miami einen noch größeren Favoritenstatus.

RedZone-Vorschau, Week 1: Alte und neue Heilsbringer

Der Grund dafür ist auch klar: Personell gehen die Patriots am Stock. Quarterback Tom Brady ist ebenso gesperrt wie Pass Rusher Rob Ninkovich. Running Dion Lewis und Lineman Sebastian Vollmer fallen noch lange verletzt aus, dazu kommen Left Tackle Nate Solder und Guard Jonathan Cooper. Sprich: Backup-QB Jimmy Garoppolo wird hinter einer eher zusammengewürfelten O-Line vor den blitzwütigen Cardinals in Deckung gehen.

Und dann folgte am Freitag die nächste Hiobsbotschaft: Tight End Rob Gronkowski, der sich seit fast vier Wochen mit einer Oberschenkelblessur herumschlägt, hat den Flieger in Richtung Arizona erst gar nicht bestiegen. Damit fällt das beste Red-Zone-Ziel der Liga, das wohl größte individuelle Missmatch in der Liga überhaupt, auch noch aus. Nix mit Gronk Spike.

Was wäre ein Sieg wert?

Eine alte NFL-Maxime besagt: Week 1 bloß nicht überbewerten. Nach den ersten 60 Minuten der Saison ist die Versuchung stets groß, den weiteren Saisonverlauf bereits mehr oder minder abzustecken. Hohe Niederlage? "Klar, die Saison ist gelaufen. Wann ist doch gleich der Draft?" Gutes Rookie-Debüt? "Der Mann ist praktisch schon ein Hall of Famer!" Ein "Nur die Ruhe, geben wir dem Team doch erst einmal einen Monat" verkauft sich eben nicht so gut. (Hier bitte einen "Maaaaann, Spohox! Das macht ihr doch genauso!"-Spruch einfügen.)

Andererseits stellt sich die Frage, was man aus diesem Spiel überhaupt lernen kann, sollten die Cards wie erwartet relativ souverän den Sieg davontragen. Während sich Broncos-Fans nach dem Auftakt gegen Carolina wohl mehr oder minder berauscht auf die Schulter klopfen - "Unsere Defense hat's immer noch drauf! Trevor Siemian ist der neue (oder eher der neue alte) Peyton Manning!" - bliebe bei Cardinals-Anhängern wohl doch irgendwo eine leichte Unsicherheit zurück: Wie viel ist dieser Sieg wert?

Hey, sind immer noch die Pats, Evil Empire und so, seit gefühlten Äonen das beste Team in der AFC, und so weiter.

Aber gleichzeitig checkt man nach einem solchen Spiel auch immer das "Wie würde ich mich bei einem Rematch fühlen?"-Kästchen. Wäre ich beim nächsten Aufeinandertreffen - in diesem Fall der Super Bowl, sonst auch die Playoffs oder die Division - siegessicher? Zumindest zuversichtlich? Oder hätte ich ein eher unangenehmes Gefühl in der Magengegend? Derartige Gefühle können sich übrigens vollkommen losgelöst vom letztlichen Endergebnis einstellen.

Der Mann mit dem Kapuzenpullover

Wie gesagt: Wenn die Cardinals gewinnen. Aber spätestens nach dem Ausfall von Gronk ist da ein ganz leises Flüstern zu hören. Mehr eine Art Windhauch im NFL-Flurfunk. Und zwar die Frage: Sind wir sicher, dass die Pats dieses Duell wirklich um jeden Preis gewinnen wollen?

Die Aussagen Gronkowskis am Donnerstag klingen zumindest verdächtig. "Wir schauen von Woche zu Woche, von Tag zu Tag, aber ich fühle mich gut." Und auf die Frage, ob er spielen kann, nannte er als erstes Kriterium die "Coaching Decision". Oder anders gesagt: Wenn der verkniffene alte Mann mit dem Kapuzenpullover mich spielen sehen will, dann spiele ich auch.

Und der wollte vielleicht einfach nicht. Hm ...

Das komplette DAZN-NFL-Programm

Reine Westentaschenpsychologie, selbstverständlich. Bei nur 16 Spielen in der regulären Saison kann man sich keine weggeschenkten leisten, das kann sich ein paar Monate später schließlich bitter rächen, wenn es um den Heimvorteil oder gar das Erreichen der Playoffs geht. Wer weiß schon, wie es genau um Gronks Oberschenkel geht. So kolossal er aussieht, so fragil scheint er physisch schließlich zu sein. Vielleicht sogar emotional. Okay, emotional wahrscheinlich nicht.

Nein, kostenlos gibt es in der National Football League nichts.

Der Gewinner steht schon fest

Aber. Aaaaaaaber! Wenn man einem Coach in dieser National Football League diese Mischung aus Berechnung und Hybris zutrauen würde, dann wäre es wohl William Stephen Hoodie Spygate Belichick. Oder?

Was uns endlich zur Hauptaussage dieses Artikels bringt. Der Gewinner in der Nacht auf Montag steht nämlich schon fest. Und es sind nicht die Cardinals. Sondern Bill Belichick.

Ist doch völlig klar: Holt Jimmy G. die Kohlen mit dieser Rumpftruppe irgendwie aus dem Feuer und trägt sogar einen Sieg davon, bricht bei der Konkurrenz der kalte Schweiß aus. Toll, die Pats wieder, immer noch die AFC-Creme de la Creme, sogar ohne Brady läuft es rund, spätestens ab Week 5 brauchen wir eigentlich gar nicht mehr antreten. Alles doof.

(Außerdem könnte man nach den ersten vier Wochen jenen talentierten Jimmy G. dann meistbietend verscherbeln. Für einen starken Outside Receiver vielleicht, oder ein paar hohe Draft Picks. Aus denen man dann ganz viele niedrige Picks machen kann. Nichts liebt Belichick so sehr wie ganz viele niedrige Draft Picks.)

Kalter Schweiß - so oder so

Geht das Sunday Night Game dagegen verloren, hat die Konkurrenz überhaupt nichts gelernt. Stattdessen würde es den Backlash vom Backlash geben, die Experten würden sich überschlagen mit "Schreibt die Pats bloß nicht ab!"-Kolumnen. Garoppolo hätte sein schwierigstes Spiel bereits hinter sich, Gronk wäre eine Woche später topfit - und Trom Brady würde daheim auf der Couch fast unmerklich die Augenbrauen zusammenziehen, während in der Ferne ein Donnerschlag zu hören ist. Und der Konkurrenz würde auch hier der kalte Schweiß ausbrechen.

Man darf nicht vergessen: Belichick tüftelt gern. Belichick arbeitet sich gern in die Grauzonen des Regelwerks vor. Und Belichick liebt die Herausforderungen, die ihn als Coach mit überlegenem Intellekt präsentieren. 11-5 mit Matt Cassel? Ohne Vorbereitung? Da ist die jetzige Situation doch ein Kinderspiel.

Also macht euch nichts vor, liebe Cardinals. Ihr mögt vielleicht die bessere Mannschaft sein, mit dem neuen Pass Rusher Chandler Jones, mit dem fitten Tyrann Mathieu in der Secondary, mit Evan Mathis neu in der O-Line. Ihr mögt vielleicht auch den Sieg davontragen.

Aber am Ende wird es nur einen Gewinner geben. Und der heißt Bill Belichick.

Der NFL-Spielplan im Überblick

Artikel und Videos zum Thema