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Angst und Schrecken!

Dick Butkus verzeichnete in seiner Karriere 27 Fumble-Recoveries und 22 Interceptions
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Eines war jedem in ganz Chicago schnell klar: Butkus würde keine lange Anlaufzeit brauchen. Bears-Linebacker Bill George, 13-jähriger NFL-Veteran und angehender Hall-of-Famer, staunte: "Als ich ihn im Training Camp das erste Mal auf dem Platz gesehen habe, wusste ich: Meine Tage als aktiver Spieler sind vorbei. Keiner hat jemals sofort so gut gespielt. Es gab einfach keine Chance, dass er nicht großartig werden würde."

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Selbst kleinere Kinderkrankheiten verhinderten das nicht: Butkus musste sich zunächst an das extrem komplizierte Scheme der Bears gewöhnen und seine Vorbereitung nochmals deutlich intensivieren, so dass er vor seinem Debüt 1965 gegen San Francisco zugab: "Alles was ich machen kann, ist versuchen herauszufinden, wann ich wo zu stehen habe." Elf alleinige Tackles später war sein beeindruckender NFL-Einstand beendet und der junge Linebacker das große Gesprächsthema in Chicago.

Das sollte sich über seine komplette Karriere nie ändern. Die Stadt saugte Butkus förmlich auf, er wurde das Gesicht der Stadt - und spätestens dann Teil der Popkultur, als Sylvester Stallone seinen Hund in "Rocky" auf den Namen "Butkus" taufte.

Bereits in seiner Rookie-Saison führte er Chicago in Tackles, Interceptions, Forced Fumbles und Fumble Recoveries an. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein Sturm, der über die Liga hereinbrach und vor dem kein Quarterback und kein bemitleidenswerter Blocker, der es mit ihm zu tun bekam, sicher war. "Ich würde nie jemanden bewusst verletzen", grinste Butkus einst, ganz im Stile des von ihm geschaffenen und gepflegten Images. "Es sei denn, es wäre wichtig. Wie ein Liga-Spiel oder so etwas."

"Umgedreht, gewunken und gehofft"

Acht Jahre in Folge war Butkus Chicagos Leading-Tackler (120 Tackles, 58 Assists im Durchschnitt) und Herz und Seele der Bears - und das obwohl er gesundheitlich schon lange nicht mehr bei 100 Prozent war. Eine Knieverletzung verlangte Anfang der 70er Jahre eine Operation, um lose Bänder wieder zu reparieren. Der Eingriff verlief nur teilweise erfolgreich, so dass Butkus zwei Jahre lang unter Schmerzen spielte.

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Seinen Statistiken tat das keinen Abbruch. Butkus biss, wie er es gelernt hatte, auf die Zähne - und wurde dafür belohnt: Bei einem Extra-Punkt nach einem Touchdown, Chicago lag mit 14:15 gegen Washington hinten, ging der Snap schief, die Bears mussten improvisierten. Butkus, trotz einer offen blutenden Wunde über dem Auge als Blocker aufs Feld gekommen, fing den Pass zur ungeplanten 2-Point-Conversion in der Endzone.

"Ich wusste nicht, wie weit in der Endzone ich war. Ich habe mich einfach umgedreht, gewunken und gehofft", lachte Butkus anschließend. Jahre später sollte er diesen Moment als sein persönliches All-Time-Favorite-Play bezeichnen.

Die, neben der Verletzung, vielleicht größte Tragödie in der NFL-Karriere des zweifachen Defensive Player des Jahres waren die schwachen Bears-Teams, mit denen Butkus nahezu durchgehend zu kämpfen hatte. Auf Butkus NFL-Karriere-Zeugnis standen am Ende 48 Siegen 74 Pleiten und vier Unentschieden gegenüber. Nicht selten kam es vor, dass Butkus, nachdem seine Defense den Ball zurückerobert hatte, der Offense auf dem Weg in Richtung Platz zuraunte: "Versucht wenigstens, das Ergebnis zu halten." All-Pro-Running-Back Gale Sayers, der mit Butkus in die NFL kam, war davon selbstredend ausgenommen.

Weiße Flagge ohne Titel

Doch 1973 war Butkus am Ende. Sein Körper machte nicht mehr mit, zum ersten Mal in seiner Karriere nahm er sich selbst aus dem Spiel, weil er die Schmerzen am Knie einfach nicht mehr aushielt. Butkus war davon überzeugt, dass die Bears seine Verletzung einige Jahre zuvor nicht richtig behandelt und ihn stattdessen lediglich mit Schmerzmitteln auf dem Platz gehalten hatten und klagte einige Wochen später gegen sein Team, das er seit Jahren mit derart großer Vehemenz gegen alle Anfechtungen auf und abseits des Platzes verteidigt hatte.

Es kam zur außergerichtlichen Lösung, Butkus' Spielerkarriere war allerdings vorbei. Ausgerechnet der Mann, der auf dem Cover der Sports Illustrated einst mit dem Untertitel "Der am meisten gefürchtetste Mann auf dem Platz" zu sehen war, musste das Handtuch werfen. Ohne, dass er seinem geliebten Chicago den Titel hatte bringen können.

"Die Leute reden darüber", weiß Butkus, "aber ich habe das Spiel so sehr geliebt und es ging mir nur darum, für meine eigene Stadt Football zu spielen. Ich war glücklich darüber, hier zu sein, um euch die Wahrheit zu sagen. Ja, ich dachte in jedem Training Camp, dass wir es dieses Jahr packen würden. Aber es ist uns leider einfach nicht gelungen."

Hollywood und der ESPN-Flop

Umso rasanter war Butkus' Sprung ins Show-Business. Ob "The Longest Yard" oder "An jedem verdammten Sonntag" - Butkus, der seine High-School-Liebe heiratete und drei Kinder hat, war ab Mitte der 70er Jahre in zahlreichen Filmen und Serien zu sehen, bis vor wenigen Jahren hatte er noch vereinzelte kurze Gastauftritte.

Keiner davon ist allerdings wohl denkwürdiger, als das Debakel mit einer ESPN-Realty-Show: Butkus wurde als Coach zu einem schwächelnden High-School-Team gebracht und sollte den Turnaround schaffen. Doch war er mit dieser Rolle komplett überfordert, schrie die Schüler immer wieder an und kurz nach dem Saisonstart mit einem Sieg und sechs Pleiten endete die Serie. Ohne Erklärung, warum Butkus geht und ohne Bericht über den weiteren Saisonverlauf.

Später kam raus, dass Butkus, entgegen den Behauptungen von ESPN, tatsächlich überhaupt nicht der Coach war. Sein Job war es lediglich, mit motivierenden Ansprachen dem Team neues Leben einzuhauchen - eine Idee, das komplett in die Hose ging.

Butkus? "Lieber gegen einen Grizzly"

Doch ein Gutes hatte es: Butkus kämpft seit jener Show gegen Steroid-Missbrauch bei jungen Sportlern, wie er in der News-Gazette ausführte: "Bei den Aufnahmen zu einer Reality-Show habe ich mitbekommen, dass Steroide in die High Schools kommen. Dann hat mir mein Kardiologe seine Studien über Bodybuilder, die Steroide genommen haben, gezeigt - deren Herzen waren 30 Jahre älter, als sie hätten sein sollen. Entscheidend war es, mit den Eltern zu sprechen, die Kinder wegen Steroid-Missbrauchs verloren hatten. Ich entschied mich, dass es Zeit war, etwas zu ändern."

Erst eine erneute Knie-OP im November 1997 befreite Butkus von seinen anhaltenden Problemen, inzwischen musste er sich auch einer Bypass-OP unterziehen, so dass das einstige Bild von diesem großen, brutalen Tackler bröckelte - vor allem für Butkus selbst. "Jeder denkt, dass er unbesiegbar ist. Ich jedenfalls habe das gedacht. Aber mir wurde das Gegenteil bewiesen, und das im großen Stil", gab er gegenüber Yahoo zu. Auch diese Erfahrung nutzte er anschließend zum Guten: Heute ermöglicht er ehemaligen NFL-Spielern kostenlose Herz-Scans.

Als er noch auf dem Platz stand, war Butkus für seine Gegenspieler die Fleisch gewordene Angst. "Wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber in ein Eins-gegen-Eins mit einem Grizzly gehen. Ich habe nach jedem Butkus-Hit gebetet, dass ich wieder aufstehen kann", beteuerte Packers-Running-Back MacArthur Lane und Paul Hornung, ebenfalls ein Packers-RB, fügte hinzu: "Er war der fieseste Drecksack, den ich jemals auf einem Profi-Football-Platz gesehen habe. Er ist auf dich los, als würde er dich schon jahrelang hassen."

Und Butkus selbst? Der inzwischen 73-Jährige, seit 1979 Mitglied der Hall of Fame, hat seinen Frieden mit seiner NFL-Zeit gemacht: "Wenige Leute verdienen ihr Geld mit etwas, das ihnen wirklich Spaß macht, und jeder Job bringt Gefahren mit. Ich war für Football gemacht. Ich habe dem Spiel alles gegeben, so lange ich konnte." Nur eine kleine Ergänzung fällt ihm dann doch noch ein: "Die eine Sache, die ich bereue, ist die Tatsache, dass meine Karriere zu kurz war."

Butkus' beeindruckende Statistiken im Überblick

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