NFL

Von Rache so gar keine Spur?

Tom Brady ist brandheiß in die neue Saison gestartet - der Offseason-Stress scheint vergessen
© getty

Das Gastspiel der New England Patriots bei den Indianapolis Colts steht im Vorfeld unweigerlich unter dem Scheinwerferlicht des Deflate-Gate-Skandals - die Colts hatten rund um das vergangene AFC-Championship-Game maßgeblichen Anteil daran, dass die Liga die Spielbälle unter die Lupe nahm. Tom Brady und Co. geben sich im Vorfeld zwar ganz entspannt - doch gibt es die Explosion auf dem Platz?

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Manchmal kann es für einen Berichterstatter schwierig sein, im Vorfeld einer Partie eine Story zu finden, die eines oder idealerweise beide Teams mit einschließt. Nicht immer umgibt ein Team gerade viel Brisanz oder verbindet die beiden Kontrahenten etwas. Manchmal ist diese Geschichte allerdings scheinbar auf dem Silbertablett serviert - so wie beim anstehenden Duell zwischen den New England Patriots und den Indianapolis Colts.

Das Prime-Time-Spiel am Sonntagabend lässt, nachdem das Thema in den vergangenen Wochen endlich (vorübergehend) zu den Akten gelegt worden war, die Deflate-Gate-Thematik wieder aufleben. Indianapolis informierte die Liga am Tag vor dem vergangenen AFC-Championship-Game in Foxborough per Mail über die eigenen Sorgen, was den Luftdruck in den Patriots-Spielbällen angeht.

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Was folgte ist weithin bekannt. Die nach Monaten endlich abgeschlossenen Untersuchungen von Anwalt Ted Wells ergaben, es sei "more probable than not" (in anderen Worten: wahrscheinlich) gewesen, dass die Patriots die Spielbälle manipuliert haben. Neben einer Geldstrafe und dem Entzug zweier Draftpicks wurde Quarterback Tom Brady, trotz mangelnder Beweise als Mitschuldiger verurteilt, für vier Spiele gesperrt.

Doch Brady ließ sich das nicht gefallen, zog vor Gericht - und gewann. Statt die ersten vier Spiele gesperrt zu beobachten und am Sonntagabend gegen die Colts sein Comeback zu geben, durfte der 38-Jährige von Anfang an ran. Und er ließ sich bislang nicht zwei Mal bitten: 1.387 Yards, elf Touchdowns, keine Interception stehen auf seinem Konto. Brady scheint in der Form seines Lebens und spielt, immer wieder deutlich sichtbar, mit jeder Menge Feuer und Leidenschaft.

"Bin immer ziemlich motiviert"

Und doch tut Brady, wenig verwunderlich, alles, um die offensichtliche Geschichte rund um das Duell mit den Colts runter zu spielen. "Ich bin immer ziemlich motiviert, egal gegen wen es geht oder an welchem Spieltag wir uns befinden. Alle Spiele sind wichtig, denn du hast in deinem Leben nicht so viele Gelegenheiten darauf. Deshalb sehe ich kein Spiel als selbstverständlich. Für mich ist es toll, da raus zu gehen und etwas zu tun, das ich liebe", stellte Brady unter der Woche klar.

Jeder gebe alles und, so Brady weiter, das Duell mit Indianapolis sei schlicht "eine weitere Gelegenheit für uns, um da raus zu gehen und zu sehen, ob wir ein gutes Football-Team sein können". Ihm diese Aussagen komplett abzunehmen fällt aber nicht ganz leicht: Abgesehen von vielen Gerichts- und Presseterminen in der Offseason darf nicht vergessen werden, dass die ganze Berichterstattung unter die Haut ging. Bradys Ruf stand konstant in der Schusslinie, etwas, das auch an seiner Familie nicht spurlos vorüber gegangen sein kann.

Sein Vater ließ zumindest genau das in einem emotionalen Radiointerview durchblicken. Allerdings ist tatsächlich Bradys Betonung des "Teams" hier ein gutes Stichwort, das den Fokus etwas mehr auf das Feld richtet: Bei all den Spekulationen um Deflate Gate sowie um einen möglichen Rachefeldzug von Brady selbst gilt es, einige Fakten nicht zu vergessen.

In den vergangenen drei Duellen lief New England Indianapolis im wahrsten Sinne des Wortes in Grund und Boden. 657 Rushing-Yards und 5,1 Yards pro Rush sowie insgesamt 43,3 Punkte pro Spiel stehen dabei für die Patriots zu Buche, darunter das 201-Yard-4-TD-Spiel von Jonas Gray sowie das 148-Yard-3-TD-Statement von LeGarrette Blount in den Playoffs.

Belichick being Belichick

Auf den ersten Blick gibt es keinen Grund für New England, an diesem Konzept etwas zu ändern. Die Pats haben bislang eine der besseren und konstantesten Run-Blocking-Lines der Liga und Coach Bill Belichick äußerte sich gewohnt fokussiert und wortkarg: "Schaut, es ist doch jede Woche die gleiche Frage: Wir bereiten uns auf eine Partie am Sonntag vor. Wir werden unser Bestes tun, um dafür bereit zu sein und ein gutes Spiel abzuliefern. Das ist es, was wir tun."

Dazu kommt, dass die Offensive Line in der Pass Protection durchaus ihre Probleme hat: Zum ersten Mal seit 2001 ließ New England am Sonntag in Dallas fünf Sacks in der ersten Halbzeit zu und der Bizepsriss von Tackle Nate Solder sorgt hier für die nächste Baustelle. Und trotzdem könnte es am Ende auf Brady ankommen, denn Indianapolis hat seine Run-Defense mit Henry Anderson und David Parry merklich verbessert. Das Resultat: Gegnern gelingen nur noch 3,84 Yards pro Run.

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Dennoch bleibt Tom Terrific betont ruhig: "Wir sind seit vielen Jahren oben mit dabei und das hat mit vielen Dingen zu tun. Da geht es um unser Selbstvertrauen, unsere Disziplin, unsere Ausführung auf dem Platz. Damit gewinnt man Football-Spiele und nicht mit dem, was man vorher sagt oder den Prognosen, den man abgibt. Diese Dinge zählen am Ende nicht wirklich etwas."

Pagano: "Spielt überhaupt keine Rolle"

So bekommt man den Eindruck, dass Deflate Gate zwar über dem Spiel steht, gleichzeitig aber beide Teams bemüht sind, eine neue Geschichte in diesem zuletzt so einseitigen Duell zu schreiben. Indianapolis kann wohl wieder mit Andrew Luck planen und liegt in einer bislang desolaten Division trotz des schwachen Starts schon wieder in der Pole Position. Auch die Colts schauen daher nur nach vorne.

"Das ist doch Geschichte", stellte Coach Chuck Pagano mit Blick auf den Skandal aus dem Frühjahr klar. "Wir fokussieren uns auf das Hier und Jetzt und auf uns. Das spielt überhaupt keine Rolle mehr. Wie ich schon mehrfach gesagt habe: Wir haben das, genau wie jeder andere auch abgehakt. Sie haben uns damals deutlich geschlagen. Das ist alles."

Doch nimmt man alle bisherigen Eindrücke dieser Saison zusammen, fällt es schwer zu sehen, wie Indianapolis gegen die starke Front Seven der Patriots (wenn auch wohl ohne den verletzten LB Dont'a Hightower) seinerseits ein Running Game aufziehen will. Auf der anderen Seite kommt New England mit einer der besten Offenses der Liga nach Indy und auch komplett ohne jegliche Revanche-Gedanken ist es durchaus denkbar, dass New England zumindest im Passing Game über Rob Gronkowski, Dion Lewis und Julian Edelman das Spiel dominieren kann.

Das würde natürlich unweigerlich ein gutes Spiel von Brady bedeuten und ganz egal was aus dem Pats-Lager vor dem Spiel noch zu hören sein wird: Zumindest ein klein bisschen Extramotivation wird dabei sein, wenn die Spieler am Sonntagabend das Feld betreten.

Brady, der Mensch

Brady kam dann trotz allem den versammelten Journalisten bei der offensichtlichen Geschichte doch noch zumindest ein wenig entgegen. Auf die Frage, ob es "keine menschliche Seite" in ihm gebe, die in dieser Woche etwas mehr wolle, grinste er: "Ich bin ein Mensch. Kein Zweifel. Ich bin definitiv menschlich."

Die einfache Schlussfolgerung ist: New England könnte sich gegen einen noch schwächelnden Colts-Pass-Rush im Passing Game schlicht leichter tun, als im Running Game. Ein Spiel, das am Ende wie ein Revanche-Spiel für Brady aussieht, könnte deshalb einfach im Game Plan und dem Patriots-typischen Ausnutzen gegnerischer Schwächen begründet sein. Auf der anderen Seite ist es für Indianapolis aber auch die große Chance, zur Primetime das Ruder auf spektakuläre Art und Weise herum zu reißen.

Da Indianapolis in den vergangenen Jahren nicht einmal ansatzweise mit New England mithalten konnte, wird es auch für Luck, sofern er spielen kann, nach dem schwachen Saisonstart eine wichtige Standortbestimmung. Doch auf irgendwelche Nachlässigkeiten bei den Patriots sollten sich die Colts lieber nicht einstellen. Das, und dafür muss man wahrlich kein Prophet sein, ist definitiv "more probable than not..."

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