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Dr. Jekyll and Mr. Hyde

Von Adrian Franke
Jameis Winston gilt beim Draft als mutmaßlicher Nummer-1-Pick
© getty
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Auch die Rolle der Schule muss dabei kritisch hinterfragt werden. Wie später herauskam, wusste die FSU-Sportabteilung seit Januar 2013 von den Vorwürfen, jegliche Schritte von Seiten der Uni blieben aber aus. Der Vorfall ist damit aber noch nicht komplett abgeschlossen: Anfang April reichte Kinsman Klage gegen Winston ein und verlang eine Schadensersatzzahlung in Höhe von 15.000 Dollar.

Wenige Tage zuvor hatte schon Winstons Anwalt David Cornwell mit einer überraschend ehrlichen Aussage für Aufsehen gesorgt, die den Nagel auf den Kopf trifft: "Er ist soweit, ein NFL-Spieler auf dem Feld zu sein. Aber er ist noch nicht soweit, ein NFL-Spieler abseits des Platzes zu sein. Wir müssen ihm dabei helfen, reifer zu werden und sich als Mensch weiterzuentwickeln. Das wird nicht einfach. Wenn er sich noch einen Fehler leistet, ist er weg."

Cornwell, der Winston angeblich einen Aufpasser für die Zeit vor dem Draft zur Seite gestellt hat, versuchte anschließend, seine Aussagen zu relativieren und klarzustellen, dass kein College-Spieler komplett auf die NFL-Welt vorbereitet ist. Doch wäre Winston nicht der beste Quarterback des Drafts, wäre er mit seiner Vorgeschichte sicher kein Kandidat für den Nummer-1-Pick.

Grünes Licht von Lovie Smith

Dementsprechend offen ging Tampa Bays Head Coach Lovie Smith, dessen Team den ersten Pick im Draft hat, bei der Combine im Februar mit dem Thema um: "Lasst uns nicht um den heißen Brei herumreden. Ihm wurde ein Verbrechen vorgeworfen und der Fall ging durch unser Rechtssystem. Ich vertraue auf dieses System. Er hat grünes Licht bekommen - was sonst sollen wir tun? Wir haben viel recherchiert und werden das auch weiter tun. Aber aktuell sehen wir in seiner Situation kein Problem."

Das wiederum dürfte viel mit Winstons Leistungen und seinem Potential zu tun haben. Mehrere Scouts waren schlichtweg begeistert, nachdem er bei der Combine in den privaten Interviews Spielzüge erklärt und auseinandergenommen hatte. Winston, der schon in der sechsten Klasse Notizblöcke mit Spielzügen füllte und dessen Noten gut genug waren, um auch von Stanford akzeptiert zu werden, verfügt über unglaublich hohes Spielverständnis und bringt das auch auf den Platz.

Er erkennt Coverage-Schemes, Blitzer und kann vor dem Snap gewinnen. Allesamt NFL-Quarterback-Kennzeichen, auch wenn er an seiner Fußarbeit noch arbeiten muss. In den Monaten vor dem Draft arbeitete er ebenfalls fokussiert: zunächst mit QB-Mentor George Whitfield, dann mit Ex-49ers-Coach Jim Harbaugh. Er stellte seine Ernährung mit einem eigens eingestellten Koch um und ordnete alles seinem NFL-Traum unter. Doch die brennende Frage bleibt, wie es damit nach der Vertragsunterschrift aussehen wird.

Die andere Seite der Medaille

Die richtigen Dinge sagte er ohnehin in der Draft-Vorbereitung. "Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe und ich weiß, dass ich eine Vergangenheit habe. Aber im Moment geht es für mich darum, nach vorne zu schauen und das Vertrauen der 32 Teams zu gewinnen", erklärte er jüngst. Aufgrund der Vorfälle in den vergangenen Jahren ist es nicht einfach, dem charismatischen 21-Jährigen zu glauben. Doch es gibt eben auch diese andere Seite von dem Youngster.

Winston, aufgewachsen in der Kleinstadt Bessemer in Alabama, ist auch dieser familiäre, nette, junge Mann, der den Draft-Tag lieber in Bessemer als in Chicago verbringt. "Mein Leben wird sich komplett verändern. Ich will an dem Tag um euch rum sein", erklärte er seine Entscheidung am Essenstisch seiner Familie, begleitet von ESPN-Journalist Kurt Streeter.

In der kleinen Kirche seiner Geburtsstadt hielt er wenig später eine kurze Ansprache, bedankte sich für die Gebete und gab zu, Fehler gemacht zu haben. Darüber hinaus war er nicht nur bei seinen Mitspielern, sondern auch bei Coaches und Betreuern extrem beliebt - gerade letzteres ist längst keine Selbstverständlichkeit für College-Superstars. Immerhin ist er, zumindest im Sport, in keinster Weise egoistisch.

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Winston weiß zudem, dass er mit seinem Namen anderen helfen kann. So unterstützte er schon im College die Stiftung "Kidz1stFund" und machte öffentlich auf die Krankheit von Coach Fishers Sohn Ethan aufmerksam, der an der Erbkrankheit Fanconi-Anämie leidet. Seine erste Aussage bei seiner Pro-Day-PK lautete: "Viele Leute bekommen diese Chance nicht. Das versteht ihr alle nicht. Ich kenne viele tolle Spieler, die diesen Tag nie bekommen. Ich mache das für uns alle."

"Nächstes Jahr den Super Bowl gewinnen"

Und dennoch wird sich Winston, zumal die Liga, um negative Presse zu vermeiden, inzwischen deutlich härter gegen Regelverstöße jeglicher Art vorgeht, beweisen müssen, egal wohin er geht. "Er hat alle Ressourcen, mental wie physisch, aber auch als Leader. Er kann die Jungs um sich herum motivieren. Bei ihm sage ich immer: Je größer der Moment ist, desto besser wird er", schwärmte Fisher.

Geht es nach Winston, ist der größte Moment gerade gut genug. "Mein Job ist es, Spiele und hoffentlich Super Bowls zu gewinnen. Das ist kein Wettkampf zwischen mir und Marcus Mariota. Ich will nächstes Jahr den Super Bowl gewinnen, daher geht es dann um Jameis gegen Peyton Manning und Jameis gegen Tom Brady", erklärte Winston bei der Combine.

Die bittere Pleite im Rose Bowl ausgerechnet gegen seinen Draft-Konkurrenten Mariota dürfte dann tatsächlich jeder vergessen haben. Schließlich, so Winston weiter, und sollte er diese Erkenntnis wirklich fest verinnerlicht haben wäre es eine große Hoffnung für alle Fans seines neuen Teams, "ist das meine Chance. Ich weiß, dass ich sie nutzen muss. Davon habe ich immer geträumt."

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