NFL

Die mysteriöse Bestie

Von Adrian Franke
Marshawn Lynch trifft mit den Seahawks im Super Bowl auf New England
© getty
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Teamgeist pur

Sogar auf dem Platz hat Lynch gegenüber seinen Mitspielern ein großes Herz. Wie Justin Forsett, sein Backup im College und für kurze Zeit in Seattle, berichtete, täuschte Lynch in zahlreichen Spielen Erschöpfung vor, so dass er einige Snaps erhielt: "Hätte er das nicht gemacht, hätte ich wohl nie meine Chance erhalten." Bis heute hält Lynch daran fest: Als er in dieser Saison gegen die Giants seinen dritten Touchdown erzielte, gab er den Ball seinem Backup Robert Turbin.

"Er sagte mir: 'Ich will, dass du diesen Ball hast. Der ist für uns, für die Running Backs als Gruppe, um zu repräsentieren, wie wir jeden Tag arbeiten.' Aus irgendeinem Grund hat ihm dieser Touchdown viel bedeutet und er wollte, dass ich den Ball habe", so Turbin, der zudem einige Wochen später eine passende Beschreibung seines Mitspielers parat hatte: "Ich verstehe ihn auch nicht. Aber er ist auch nicht dafür gemacht, verstanden zu werden. Das müssen die Leute über ihn begreifen."

Defensive End Cliff Avril fügte hinzu: "Wenn das Spiel im dritten Viertel entschieden ist, sind ihm seine Stats oder Rekorde egal. Er wechselt sich selbst aus, damit die jüngeren Spieler Einsätze bekommen. Statistiken sind ihm egal, das ist etwas Einzigartiges für einen Offensiv-Spieler."

Immer Ärger mit den Medien

Einzigartig ist auch Lynchs knallharter Downhill-Running-Stil sowie sein unfassbar starker Stiff Arm. Beides ist in der NFL selten geworden. "Ich denke nicht, dass es schwierig ist, sich auf ihn vorzubereiten. Es ist einfach schwer, ihn zu tackeln", bringt es Vikings-Safety Harrison Smith gut auf den Punkt.

Gleichzeitig ist Lynch geduldig genug, um hinter der O-Line auf seine Lücke zu warten. In nunmehr fünf Jahren in Seattle bringt er es in der Regular Season auf 5930 Rushing-Yards sowie 54 Rushing-Touchdowns und ist Dreh- und Angelpunkt der Offense.

Dennoch war es unvermeidlich, dass der 28-Jährige mit seiner Art irgendwann auch in Seattle anecken würde. Nach dem Gewinn des Super Bowls im Vorjahr schwänzte er etwa den obligatorischen Trip ins Weiße Haus, seine Mutter erklärte anschließend: "Er hat einfach gesagt, dass er keine Lust hat. Es gab keinen besonderen Grund." Immer wieder kam er außerdem seinen Interview-Verpflichtungen nicht nach oder antwortete schlicht abwechselnd mit "Ja" und "Nein".

Zum Wochenbeginn beim Super Bowl Media Day beantwortete er jede Frage mit: "Ich bin nur hier, damit ich keine Strafe bekomme." Von der Liga wurde er schon mehrfach abgestraft und Gerüchte, wonach die Seahawks genug haben und ihn nach der Saison abgeben wollen, machten spätestens die Runde, seitdem Lynch im Zuge der Vertragsverhandlungen einige Tage des Trainingslagers schwänzte.

Die Antwort liegt auf dem Platz

"Ich weiß nicht, ob ich nach der Saison weg bin. Die Verantwortlichen reden viel in der Öffentlichkeit. Ich mache das nicht. Ich spiele einfach", erklärte der Running Back, angesprochen auf die Gerüchte, vor einigen Monaten.

Und genau das tat er, legte seit Saisonmitte seine vielleicht beste Spielzeit überhaupt hin und scheint kaum wegzudenken, auch wenn Lynch von der Öffentlichkeitsarbeit und den sozialen Medien nach wie vor herzlich wenig hält.

"Ich habe das Gefühl, dass ich nie dafür vorgesehen war, berühmt zu werden. Also wenn Leute alles, was ich tue, verfolgen wollen, das ist nicht wirklich mein Ding", stellte er im vergangenen September klar: "Ich verstehe, dass die Leute Profis oder Menschen, die in meiner Position sind, nicht häufig privat sehen. Aber letztlich stehen wir auch morgens auf, gehen aufs Klo, duschen und rasieren uns - wie jeder andere auch. Das ist meine Sichtweise darauf."

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Karriereende? Durchaus denkbar!

Insofern dürfte Lynch auch keine Probleme haben, wenn die Scheinwerfer nach Ende seiner aktiven Karriere plötzlich ausgehen und keine 70.000 Fans mehr in seinem Namen Erdbeben verursachen.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass der 28-Jährige, der über die letzten vier Spielzeiten nur eine Partie verpasst hat, seit Jahren mit Rückenproblemen kämpft. Gerade mit Blick auf seine Projekte neben dem Sport scheint es nicht zu weit hergeholt, dass er im Falle der Titelverteidigung am Sonntag seine Karriere beenden könnte.

Denn eines ist klar: Die Medien und die Kritiker würde er sicher nicht vermissen. Allerdings weiß Lynch gleichzeitig auch, welchen Einfluss er noch immer haben kann, wenn es um den Nachwuchs geht. "Als ich auf diesem Feld gespielt habe, hätte ich all das nie vorhersehen können", gab er beim Besuch seiner Alma Mater zu.

Er selbst nämlich habe "nicht groß genug geträumt. Hoffentlich sehen mich diese Youngster und erkennen, dass sie etwas positives erreichen können und nicht durch ihr Umfeld eingeschränkt sind. Natürlich ist es schön für mich, zurückzukommen und ihre Zuneigung zu spüren. Aber das alles geht mit einer großen Verantwortung einher."

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