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Der Mann hinter dem Schild

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© getty
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Goodell als perfekter Sündenbock

In den Chefetagen der NFL-Teams sitzen Zyniker: Zu Hochzeiten sind über 2000 junge Männer mit Geld in der Tasche angestellt, davon sind viele in schlimmsten Verhältnissen aufgewachsen. Ohne Skandale und Verhaftungen, ganz besonders im Social-Media-Zeitalter, wird man nie auskommen, und in den meisten Kriminialstatistiken schneidet die Liga doch verhältnismäßig gut ab. Und wenn das Kind in den Brunnen fällt, hat man mit Goodell den perfekten Sündenbock an der Hand.

Warum also etwas ändern? Wer macht es denn so viel besser? Die von Rassismus-Skandalen befallene NBA? Das IOC? Die FIFA?

Treffen könnte man die NFL nur im Geldbeutel. In der Tat haben, wie in solchen Fällen üblich, schon die ersten Sponsoren zaghaft nach Aufklärung verlangt. Aber sich komplett von der "Cash Cow" NFL loszusagen, das bringt kaum jemand übers Herz, schon gar nicht die Fernsehanstalten. Denn der Zuschauer stimmt mit der Fernbedienung ab, und die Quote beim Spiel der Ravens am vergangenen Donnerstag war doppelt so hoch wie noch vor einem Jahr.

"Unabhängige" Untersuchung

So spielen alle das Spiel mit und ignorieren unangenehme Fragen so lange wie irgend möglich. Um im Fall Rice für vollständige Aufklärung zu sorgen, hat die Liga den ehemaligen FBI-Direktor Robert Mueller beauftragt, eine Untersuchung durchzuführen. Unabhängig ist die nicht einmal auf dem Papier: Mueller arbeitet für eine Kanzlei mit langjährigen Beziehungen zum Besitzer der Baltimore Ravens - und saß beim letzten TV-Deal nebenbei am NFL-Tisch.

Passend dazu: Während sich Teams mittlerweile dem öffentlichen Druck beugen und Spieler unter Anklage zumindest zeitweise aus dem Verkehr ziehen, darf der "NFL Commish" weiter schalten und walten.

Kein Wunder, dass sich Goodell laut eigener Aussage keine Sorgen um seinen Job macht, allen Rücktrittsforderungen zum Trotz.

Der Mann, der den Schild hochhält

"Ich bin die Kritik gewohnt", sagte der NFL-Boss vor einer Woche im sorgfältig ausgewählten Interview bei "CBSNews". "Ich muss mir meine Streifen jeden Tag neu verdienen." Goodell ist ein Mann mit Schwächen, der gleichzeitig mit einer Menge Stärken ausgestattet ist. Durchhaltevermögen ist eine davon: 24 Jahre arbeitete er sich die Karriereleiter hinauf, bis er sein Ziel erreichte. Goodell lebt seinen Traum - und die NFL ist sein Leben. "Er hat sein Leben in die NFL gesteckt, sich selbst völlig aufgegeben", sagt Cowboys-Besitzer Jerry Jones. Rücktritt? Ausgeschlossen.

An der Spitze der Liga steht ein Mann, der die NFL-Klaviatur zu spielen gelernt hat. Nicht gerade virtuos, doch den Dreiklang zwischen den Besitzern, Spielern und Medien beherrscht er. Seine Chefs vertrauen ihm. Gegenüber den Profis hat er sich als harter Hund etabliert, mit ebenso harten Strafen. "Wie in einer Diktatur", erklärte Falcons-Receiver Roddy White. "Sein Wort ist Gesetz." Gleichzeitig kann er auch als Vaterfigur auftreten, wenn man ihm ehrlich und loyal gegenübertritt. Auf diese Art und Weise finden sich immer genug Fürsprecher hier oder ein lobender Zeitungsartikel da.

Auf einer Mission

Goodell ist ein Mann auf einer Mission, der das Beste für die Liga will, und davon überzeugt ist, die beste Lösung für die Liga zu sein. Blinder Eifer in Kombination mit der ihm übertragenen Vollmacht - Gewaltenteilung existiert nicht, gerade wenn es um das Strafmaß für Spieler oder Teams geht - ist eine gefährliche Mischung. Dabei ist er keineswegs realitätsfremd: Er pflegt den Umgang mit den Fans, ist nah dran am öffentlichen Puls. Es ist eine Art ausloten: Was kann ich mir gerade noch leisten?

Gegenüber den Medien ist er sich seiner Macht bewusst, und dementsprechend knallhart. Da werden Interviews gekürzt, unliebsame Dokumentationen gekillt, TV-Partner unter Druck gesetzt. Alles mit nur einem Ziel: Protect the Shield.

Sein Vater verlor das Senatorenamt nach öffentlicher Kritik am Vietnam-Einsatz, wich jedoch nicht von seinen Überzeugungen ab. Dieses Verhalten imponierte dem jungen Roger sehr, er machte sich dessen Maxime zu eigen. Für ihn ist es ein notwendiges Übel, geradezu eine Bestätigung. So bleiben oft nur Scherben zurück.

Reagiert wird nur dann, wenn der Druck irgendwann zu groß wird. Siehe Gehirntraumata: Kürzlich gab die Liga zu, dass bis zu einem Drittel aller Spieler nach ihrer Karriere mit bleibenden Schäden rechnen müsse. Siehe der Fall Rice, als zunächst die Strafen für häusliche Gewalt angehoben und kurze Zeit später Expertinnen zum Thema angestellt wurden. Positive Schlagzeilen - verzweifelt gesucht. "Ich mache nichts aus PR-Gründen", sagte er 2012 dem "Time Magazine", "sondern weil es das Richtige ist und ich den Sport liebe." Dem bleibt nichts hinzuzufügen.

Fazit: Weil es funktioniert

Warum das ständige Abblocken, Dementieren, Reagieren? Warum die Salami-Taktik? Ganz einfach: Weil es funktioniert. Die NFL hat allein in den letzten Jahren Skandale ausgesessen, die auf keine Kuhhaut gehen. Gehirnschäden, Schmerzmittel, Doping, Marihuana, Bullying, die Kopfgeld-Affäre der Saints, die Referees, die Redkins, die Ticketpreise, SpyGate, jetzt Rice. Den Einnahmen hat es nicht geschadet. Die Öffentlichkeit vergisst schnell, ganz besonders dann, wenn es am Sonntag wieder kracht.

Wie sagte doch ein Krisenmanager in Bezug auf die SpyGate-Affäre schon 2007 zur "New York Times": "Roger Goodell hat seine Lektion von Richard Nixon gelernt: Wenn die Bänder zerstört werden, behält man seinen Job." In der Spionage-Affäre der New England Patriots hatte Goodell die Videoaufnahmen auffällig schnell vernichtet - ging dieser Versuch bei Rice schief?

Natürlich alles nur Spekulation. Also warten wir auf die Ergebnisse der unabhängigen Untersuchung. Mit neuen Erkenntnissen oder gar Konsequenzen sollte man allerdings nicht rechnen.

Es sei denn, es gibt Video-Aufnahmen.

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