NFL

"Er sah aus wie zwölf"

Von David Wünschel
Am Sonntag könnte Peyton Manning seinen zweiten Super-Bowl-Ring gewinnen
© getty

Im Alter von 35 Jahren war Peyton Manning ein Quarterback mit dem Wissen eines Hall-of-Famers und dem Wurf eines Kleinkinds. Eine zentimeterlange Narbe zierte seinen Nacken. Die Ärzte rieten ihm zum Rücktritt, er hörte nicht auf sie. Am Sonntag steht er mit den Denver Broncos im Super Bowl (Mo., 0.30 Uhr im LIVE-TICKER) und könnte sein Comeback krönen. Bill Polian, der Mann, der Manning einst bei den Indianapolis Colts mit dem First Overall Pick draftete, blickt bei SPOX zurück.

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"Trotz einer Wirbel-OP, die die Karriere der meisten professionellen Athleten beendet hätte. Trotz Muskelschwund in seinem rechten Arm, seinem Brustkorb und dem gesamten Oberkörper, der ihn nach der OP wie einen Zwölfjährigen aussehen ließ. Trotz alledem ist er zurückgekommen und hat die meisten Passing-Rekorde in der Geschichte der NFL aufgestellt", sagt Bill Polian im Gespräch mit SPOX.

Bill Polian? Das ist der Mann, der in seiner damaligen Rolle als General Manager der Indianapolis Colts Peyton Manning draftete. 1998. Mit dem First Overall Pick. Wenige kennen Manning so gut wie er. Und er will nichts davon hören, dass sein ehemaliger Schützling unbedingt einen zweiten Super-Bowl-Ring braucht, um zu den ganz Großen gezählt zu werden.

"Allein das, nur das Comeback, zementiert seinen Platz in der Geschichte", erklärt Polian weiter. "Er hat mehr als genug getan, um ein First-Ballot-Hall-of-Famer zu werden. Er ist einer der besten aller Zeiten, unabhängig vom Ausgang dieses Spiels."

Auch beim Pro Bowl am vergangenen Sonntag wurde allerorten über Manning diskutiert. Quarterback-Kollege Alex Smith von den Chiefs resümierte: "Schau dir an, was er durchmachen musste - vom Nacken-Ding bis zu den Colts, die ihn ziehen ließen. Er musste in seinem Alter ein neues Team finden und spielt trotzdem eine so unfassbare Saison. Man muss es ihm einfach gönnen."

Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule

Die Geschichte dieses "Nacken-Dings" begann vermutlich schon vor über sieben Jahren. Die ursprüngliche Verletzung ereignete sich, so erinnert sich Mannings damaliger Head Coach Tony Dungy, am 22. Oktober 2006: "Nach zwei aufeinanderfolgenden Hits durch Andre Carter und Phillip Daniels verrenkte sich sein Nacken und der Helm löste sich vom Kopf."

Manning musste eine Auszeit nehmen und verspürte eine kurze Taubheit im rechten Arm, wurde aber noch im selben Spiel wieder eingesetzt. In den folgenden Jahren hatte der damalige Colts-Quarterback immer wieder Beschwerden im Nackenbereich und im rechten Oberarm. Nichts Außergewöhnliches.

Vier Jahre später verschlechterte sich Mannings Zustand drastisch: Eigenen Aussagen zufolge spielte er die komplette Saison 2010 unter starken Schmerzen. Indy schied im Wild Card Game gegen die New York Jets aus und der damals 34-Jährige entschied sich für eine Operation in der Offseason.

Es stellte sich heraus, dass Manning einen Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule erlitten hatte. Zweimal versuchten die Ärzte, durch nichtinvasive Eingriffe die Bandscheibe vom betroffenen Nerv zu entfernen, zweimal kam die Bandscheibe und damit auch die Schmerzen zurück.

Die Öffentlichkeit rätselte monatelang über Mannings Gesundheitszustand. Beim Eröffnungsspiel 2011 gegen Houston stand er erstmals in seiner Karriere auf der Verletztenliste. Seine Serie von 227 Starts in Folge war gerissen.

Hall-of-Fame-Quarterback mit Kleinkind-Wurf

Jede Wurfbewegung war für Manning eine Qual, ein Comeback-Gedanke lag zu diesem Zeitpunkt in weiter Ferne. Nach zwei misslungenen Operationen musste Manning zwischen den Risiken eines invasiven Eingriffs und dem Karriereende abwägen. Die Ärzte rieten ihm zum Rücktritt, Manning entschied sich für die OP.

Sein Nacken wurde aufgeschlitzt, die Bandscheibe zwischen zwei Halswirbeln herausgenommen und mit einem Stück Knochen ersetzt. Eine Titanium-Platte und mehrere Schrauben sollten dem Gebilde zu Stabilität verhelfen.

Manning war 35 Jahre alt und hatte eine zentimeterlange Reißverschluss-Narbe im Nacken. Er konnte auf das Wissen eines Hall-Of-Fame-Quarterbacks zurückgreifen, warf aber wie ein Kleinkind. Seine ersten Versuche scheiterten kläglich: "Nach fünf Yards hat der Football einen Sturzflug hingelegt."

"Ich musste alles wiedererlernen"

Doch Manning war nicht am Ende. Sein Kampfgeist und der unbändige Wille, so schnell wie möglich wieder aufs Feld zurückzukehren, spornten ihn an. "Er hat die größte Arbeitsmoral, die ich je gesehen habe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemals einen Spieler gab, der in diesem Bereich besser war als er", beschreibt es Polian bei SPOX. "Er ist unglaublich intelligent und akribisch. Er interessiert sich für jedes noch so kleine Detail. Er verlangt von sich wesentlich mehr als von seinen Mitspielern. Und er hasst es, zu verlieren. Er gibt sich professionell, aber es frisst ihn auf. Er ist ein leidenschaftlicher Wettkämpfer."

Es waren diese Charaktereigenschaften, die Mannings steinigen Weg zurück in die NFL etwas ebneten. Der erste Schritt: Sich vor den Spiegel zu setzen und die Wurfbewegung tausendfach zu wiederholen, um Muskeln neu aufzubauen und Nerven zu regenerieren. "Ich musste alles wiedererlernen, zumindest wusste ich, wo mein Arm war."

Während die Indianapolis-Ikone den Football kaum festhalten konnte, gingen seine Kameraden ohne ihn unter. 2-14 lautete die Bilanz der Colts am Ende der Saison 2011. Das Team, das die Jahre zuvor stets die Playoffs erreicht hatte, war ohne ihren Anführer die schlechteste Mannschaft der NFL. Polian wurde gefeuert.

Ironischerweise bedeutete dieser Umstand das Ende von Manning in Indiana. Die Colts besaßen den ersten Pick im Draft 2012 und hatten die Möglichkeit, Andrew Luck, eines der größten Quarterback-Talente des vergangenen Jahrzehnts, zu ziehen. Manning, dessen Rückkehr zu alter Stärke mehr als fragwürdig erschien, verkündete unter Tränen seinen Abschied. Das Jersey mit der Nummer 18 wurde für immer gesperrt.

Der Lockruf von John Elway

Nach 14 Jahren bei einer Franchise wechselte Manning in ein unbekanntes Umfeld, zu unbekannten Mitspielern. Unter zahlreichen Angeboten wählte Manning schließlich die Denver Broncos als sein neues Team aus.

Er folgte damit dem Lockruf von Vize-Präsident John Elway, der selbst als Quarterback im Alter von 37 und 38 Jahren noch zwei Ringe ergatterte. In Mile High unterschrieb Manning einen stark leistungsbezogenen Kontrakt über fünf Jahre und 96 Millionen Dollar. Den Respekt seiner Teamkollegen erarbeitete er sich durch seine Einstellung: "Er verfügt über die Gabe, Informationen auch unter Druck in großer Geschwindigkeit zu verarbeiten. Er besitzt hervorragende Leader-Qualitäten und gibt stets sein Bestes. Diese Integrität zieht die Leute um ihn herum an", erklärt Polian.

Das lang erwartete Comeback gab der zukünftige Hall-of-Famer beim Saisonstart 2012 gegen die Pittsburgh Steelers. Über 18 Monate nach seiner letzten Partie warf er für 253 Yards und zwei Touchdowns bei einem Passer Rating von 129,2. Der 31:19-Sieg rückte in den Hintergrund: Manning war wieder da und er war bereit für die NFL.

Die fehlende Armstärke konnte er dennoch nicht übertünchen. Manche Würfe klappten nicht mehr so wie vor der Verletzung, manche klappten gar nicht mehr, viele wackelten in der Luft hin und her. Mannings Intelligenz und Hingabe für den Sport halfen ihm aber, seinen Spielstil an die Einschränkungen seines Körpers anzupassen.

"Du machst bestimmte Würfe einfach nicht mehr. Oder du wirfst etwas früher, achtest vielleicht etwas mehr aufs Timing", kommentierte er die Veränderungen. "Ich habe gelernt, in diesem Zustand zu werfen und ich versuche einfach, das Beste zu geben, das mir möglich ist."

Problem: Wetter

Das Beste reichte in der vergangenen Spielzeit zu den Divisional Playoffs - damals war nach einer ganz bitteren Pleite gegen den späteren Champion aus Baltimore Schluss. Dieses Jahr war das Beste noch besser und es trug die Broncos-Offense zu zahlreichen NFL-Rekorden. Am Sonntag kulminiert die Saison im MetLife Stadium. Für Manning ist der Super Bowl die ultimative Gelegenheit, sein Comeback zu krönen.

Wären da nicht Wind und Wetter. Für das Wochenende sind in New York Temperaturen um den Nullpunkt vorhergesagt, Schneeschauer sind im Bereich des Möglichen. Auf die Frage eines Journalisten, wie er die Verhältnisse zu seinem Vorteil nutzen könne, reagierte Manning ungewöhnlich sprachlos. "Ich bin nicht wirklich sicher, darauf kenne ich keine Antwort", stammelte er. Polian ist besorgt: "Natürlich könnten die Bedingungen das Geschehen beeinflussen, viele wissen das. Es wird sicher ein großartiger Super Bowl in New York, aber es wäre einfach schade, wenn das Wetter am Ende eine entscheidende Rolle spielt."

Während Kälte allein Denvers ausgeprägtes Passing Game nicht beeinflussen sollte, wären Wind und Nässe wohl fatale Nachteile gegen die vom Running Game geprägten Seahawks. Bei ähnlichen Bedingungen konnte Manning noch nie ein Postseason-Spiel gewinnen.

Da kommt die Hilfe des kleinen Bruders gerade recht. Eli Manning, der als Giants-Quarterback seine Heimspiele im MetLife austrägt, erklärte unter der Woche: "Es gibt da sicherlich einige Dinge, die ich ihm mit auf den Weg geben kann. Vor allem, wenn es ein windiger Tag wird. Aber das bleibt geheim, ich will das ja nicht auch an Russell Wilson weitergeben."

Die Früchte der harten Arbeit

Am Sonntag ist es soweit. Das Ziel ist in Sichtweite. Die Statistiken, die Rekorde, die Errungenschaften: Sie alle verblassen im Angesicht des Super Bowls. Peyton Manning will die Früchte seiner jahrelangen, harten Arbeit ernten.

Es könnte seine letzte Chance sein. "Ich hatte vor zwei Jahren eine große Veränderung in meiner Karriere, mit der Verletzung, mit dem Teamwechsel. Ich muss von Jahr zu Jahr schauen, ob es für mich noch reicht", erklärte Manning auf einer Pressekonferenz in New York. "Ich musste neue Umstände und neue Situationen erleben mit meinem ungewohnten körperlichen Zustand. Ich denke, dass ich in den letzten zwei Jahren viel gesehen habe, also fühle ich mich bereit."

Bereit für das Finale, bereit für den nächsten Schritt. Am späten Sonntagabend betreten 53 in weißen Jerseys gekleidete Seahawks und 53 orangefarbene Broncos in New Jersey den grünen Rasen des MetLife Stadium. 105 hungrige Kämpfer auf der Jagd nach ihrem ersten Ring. Sie alle wollen die silberne Vince-Lombardy-Trophy zum ersten Mal in ihrem Leben dem schwarzen Nachthimmel entgegenrecken und goldenes Konfetti auf sich herabregnen lassen. Nur einer von einhundertsechs, der könnte es zum zweiten Mal packen. Und damit sein Vermächtnis krönen. Es ist Peyton Manning.

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