NFL

"Er sieht aus wie der Mars"

Von Sven Kittelmann
Coach Andy Reid (M.) brachte den Erfolg zurück nach Kansas City
© getty

Im letzten Jahr verbuchten die Kansas City Chiefs eine 2-14-Bilanz. In diesem Jahr haben sie ihre Siege bereits verdoppelt und stehen nach dem 4. Spieltag der NFL noch mit Weißer Weste da. Coach Andy Reid ist dabei nicht der einzige, aber vielleicht gewichtigste Grund für den neuen Erfolg im Mittleren Westen.

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"Er sieht aus wie der Mars", lästerte Sal Iacono von der Jimmy Kimmel Show im "BS Report" angesichts des im Team-Rot drapierten übergewichtigen Reid und lieferte damit auch eine Art Anerkennung: Kansas City kreist um seinen Coach, wie die Satelliten um einen Planeten. Mit Reids Ankunft war klar, dass er nicht für den schnellen Erfolg geholt worden war, sondern das Team systematisch zurück nach oben bringen sollte.

Die Reidsche Philosophie, die er als Assistent in Green Bay unter Mike Holmgren gelernt und bei den Eagles mit neun Playoff-Teilnahmen in 14 Jahren bereits erfolgreich anwendete, hat Einzug in Kansas City gehalten. Ballkontrolle ist nun oberstes Gebot. Die Offensive geht mit dem Ziel aufs Feld, möglichst lange zu marschieren und dem Gegner somit kaum Zeit zum Gegenschlag auf der Uhr zu lassen. Die Verteidigung muss dazu jederzeit in der Lage sein, den Gegner reagieren und nicht agieren zu lassen.

Coach Reid und die Kansas City Eagles?

Wer in der Offseason noch gedacht hatte, Coach Reid ruhe sich, wie es in den letzten Jahren in Philadelphia den Anschein hatte, nur auf seinen Lorbeeren und seinem alten Ruf aus, sieht sich getäuscht. Zwar nahm er gleich 23 Coaches, Spieler und weiteres Personal von der Ostküste mit, doch es ist eben nicht alles wie damals bei den Eagles. Reid ist nicht mehr der De-Facto-GM, der er noch in Philly war. Das gibt ihm mehr Zeit sich auf das Coaching zu konzentrieren.

"Nach vier oder fünf Jahren in Philly hatte er sich aus Offensivfragen fast ganz zurückgezogen und Brad Childress und Marty Morhinweg (seine Offensiv-Coordinator, Anm. d. Red) die Verantwortung übertragen", erinnert sich sein Assistant Head Coach David Culley, seit 14 Jahren an Reids Seite, gegenüber dem "Bleacher Report". "Hier hat er die Offensive wieder voll übernommen - ich habe ihn noch nie glücklicher gesehen."

Gegen die New York Giants zeigte Reid zudem eine Facette, die er in Philly lange vermissen ließ: Risikofreudigkeit. So nahm er im vierten Viertel beim Stande von 17:7 einen Penalty anstatt des zuvor erfolgten Field Goals an und ließ seine Offensive weiterspielen. Die verzockte durch eine 15-Yard-Penalty zwar fast noch den Einsatz des Coaches, machte am Ende aber doch den Touchdown. "Ich habe einfach meinem Bauchgefühl vertraut", erklärte Reid "ESPN". "Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte keine Bauchschmerzen bei dem Penalty gehabt. Das hat mich etwas gestört, aber wir haben die Situation gemeistert und sind wieder ins Rollen gekommen."

Alex Smith: Tatsächlich auf Montanas Spuren

Auf sein Bauchgefühl dürfte Reid auch bei der Verpflichtung von Alex Smith gehört haben. Und der Quarterback gewann die Fans im Arrowhead mit seinem Stil im Handumdrehen. Bereits nach dem ersten Spiel gegen die Jaguars hatte er die Hälfte der Touchdown-Pässe des letzten Jahres erreicht, bis zu seiner ersten Interception gegen die Giants warf er 160 Passversuche ohne einen Ballverlust - besser ist derzeit einzig Peyton Manning. Zudem hat Smith eine große 49ers-Ikone, die ebenfalls von der Bay in den Mittleren Westen wechselte, in den Chiefs-Rekordbüchern eingeholt: Wie Joe Montana gewann er seine ersten vier Spiele. Nur Mike Livingston war mit neun Siegen in Folge erfolgreicher.

Zum Großteil hat Smith diese Erfolge natürlich Reid zu verdanken, der mit ihm wiederum seine Wunsch-Quarterback geholt hat. Smith passt optimal zur West-Coast Offense mit ihren kurzen Passrouten, die Reid verinnerlicht hat. Zudem hat sich der Coach die Hilfe von Pistol-Offense-Erfinder Chris Ault gesichert. Die Ironie dabei: Ault installierte die Pistol Offense als Coach der University of Nevada, deren Quarterback ab 2007 auf den Namen Colin Kaepernick hörte. Ausgerechnet jener Kaepernick, der Smith den Job in San Francisco kostete und ihn so in Reids Arme trieb.

Der Gedanke hinter der Ault-Verpflichtung ist einfach: Smith kennt dessen Kompromiss aus Shotgun-Formation mit weit hinten stehendem Quarterback und Single-Back Formation mit dem Quarterback direkt hinter den Offensive-Linemen ebenfalls aus dem College. Aus der Pistol ist der mobile Smith eine Laufgefahr für die Defensive und kann zudem die Read Option einsetzen. Und: Viele junge Spieler sind mit dieser Angriffsformation ebenfalls vertraut.

Ein Erfolgsgeheimnis von Reid: Vertrauen auf andere

Smith dient somit als Vorbild für die übrigen Chiefs. Der Coach holte sich entweder die passenden Spieler oder ließ das System auf die vorhandenen Akteure anpassen. Running Back Jamaal Charles wird von Reid mustergültig eingesetzt - und das nicht nur als Läufer, sondern auch als Anspielstation aus dem Back Field.

In der Defensive sah er die Chance zur Umstellung auf die 3-4-Verteidigung mit drei Linemen und vier Linebackern. Das wiederum kam Linebacker Justin Houston, aber auch Tamba Hali und Nose Tackle Dontari Poe zugute.

Mit Bob Sutton holte sich der eher offensiv orientierte Reid - bei den Packers war er als Quarterbacks-Coach für Brett Favre zuständig - auch für die Defensiv-Formation Hilfe. Sutton war bis 1999 17 Jahre in West Point für die Army Black Knights verantwortlich und arbeitete im Anschluss für die New York Jets.

Unter den Experten herrscht jedenfalls Einigkeit: Der 62-Jährige hat aus einer Schar von Spielern, die zuvor unter ihren Möglichkeiten blieben, eine schlagkräftige Truppe geformt. "Er war genau der Richtige für das Team", freute sich Reid bei "ESPN". "Er kann mit den anderen Teams Schach spielen. Manchmal mag er daneben liegen, aber meist liegt er eben richtig", ergänzt Hali. Die nackten Zahlen stützen derartige Aussagen. In den meisten Defensiv-Statistiken wie gegnerische Yards, Punkte oder Turnover liegen die Chiefs mindestens in den Top Ten.

Die Aussichten für die Chiefs: Eher heiter als wolkig

So scheint die Sonne über Kansas City und noch ist kein Regen in Sicht. Dank der schlechten Platzierung im letzten Jahr warten mit den Cleveland Browns und Buffalo Bills in den nächsten Wochen zwei Gegner, die die Chiefs schon fast schlagen müssen - dazu kommt Divisionsrivale Oakland Raiders.

Von den nächsten Kontrahenten stehen lediglich die Tennessee Titans und Houston Texans mit positiver Bilanz da. Von den fünf Partien bis zur Bye Week im November finden drei in Kansas City statt. Dass das durchaus von Vorteil sein kann, bewiesen die Chiefs-Fans gegen die Giants. Spätestens bei Dexter McClusters Punt Return zum Touchdown bebte das Arrowhead Stadium wie zu besten Playoff-Zeiten.

Doch selbst in der Fremde erwarten die Chiefs vorerst machbare Aufgaben. Das Gastspiel am nächsten Sonntag gegen die Titans dürfte durch den Ausfall von deren Quarterback Jake Locker zu einer einfacheren Aufgabe geworden sein. Und die Bills zeigten zwar gegen die Ravens, dass sie auch gegen gute Teams gewinnen können, hätten aber fast ein klar dominiertes Spiel abgegeben.

So gibt es in den nächsten Wochen für die Chiefs zwar keine Spaziergänge. Allerdings könnten sie bis zur spielfreien Wochen zehn durchaus ungeschlagen bleib. Erst am 17. November muss Kansas City zu den Denver Broncos und könnte dann in ein Divisionsduell zweier ungeschlagener Teams gehen.

Der Spielplan der NFL