NFL

Das furchtloseste Tier der Welt

Von Jan-Hendrik Böhmer
Tyrann Mathieu beim 2013 NFL Combine: 2011 unterlag er Robert Griffin III bei der Heisman Trophy
© getty

Er galt als einer der besten Defensive-Backs seit zehn Jahren - doch dann brachten ihn Drogen-Eskapaden aus der Bahn. Jetzt ist Tyrann Mathieu wieder da - im NFL Draft 2013 (Freitag, 2 Uhr im LIVE-TICKER).

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Nothing can stop the Honey Badger when it is hungry. Dieser Satz aus einem Youtube-Video prägte die College-Karriere des Tyrann Mathieu. Sein furchtloses Spiel, sein Auftreten, sein blond-gefärbter Schopf: Mathieu war der Honey Badger, das laut Guinness-Buch der Rekorde furchtloseste Tier der Welt.

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Das war 2011. Damals stand er mit den LSU Tigers im BCS National Championship Game, fuhr als erster Defensive-Player seit 14 Jahren zum Heisman-Finale, wurde zum All-American gewählt und gewann diverse Awards.

Er beeindruckte die Fans mit seiner furchtlosen Spielweise, seiner Power - und Experten mit seinem puren Football-Instikt und seinem taktischen Fachwissen. Kurz: Er war auf dem besten Wege in die NFL, ein sicherer Erstrunden-Pick.

Mehr als 10 positive Drogen-Tests

Doch dann kam der 10. August 2012 - und das plötzliche Ende einer viel versprechenden College Karriere. Louisiana-State-Coach Les Miles sprach damals von "Verstößen gegen Team-Auflagen", doch schnell wurde klar: es geht um Drogen.

Heute gibt Mathieu offen zu, dass er damals nicht zum ersten Mal durch einen Drogentest gefallen war. Bei 10 positiven Tests habe er aufgehört zu zählen, erklärte der heute 20-Jährige kürzlich im Gespräch mit einem NFL-Coach.

Es war für ihn zur Normalität geworden, dass er damit durchkommt. "Was sollen sie denn machen", sagte Mathieu in einem Interview. "Mich etwa rausschmeißen?" Und lange Zeit behielt er damit Recht. Zwar wurde er immer wieder verwarnt und kurzzeitig suspendiert, doch ernsthafte Konsequenzen gab es nie.

"Ist doch nur ein bisschen Gras"

Deshalb meldete sich Mathieu direkt nach dem Rauswurf zwar von der Uni ab, flog nach Texas und ließ sich in einer Entziehungsklinik in Houston von Ex-NBA-Spieler John Lucas therapieren, doch richtig ernst meinte er es damit nicht. Nach etwas mehr als der Hälfte der vorgesehenen Zeit entließ er sich selbst. Mit den Worten: "Ist doch nur ein bisschen Gras". Und: Ihm werde schon nichts passieren.

Warum auch? Bisher war er ja immer davon gekommen, Und auch jetzt sah alles danach aus. Denn bereits kurz nach dem Bekanntwerden seines Rauswurfs standen andere Coaches Schlange. Mindestens 20 Colleges sollen in den Tagen nach Mathieus unrühmlichen Abgang wegen eines möglichen Wechsels angefragt haben.

Dennoch zog es ihn zurück nach Baton Rouge, zurück an die LSU. Er konnte zwar vorerst keinen Football mehr spielen - aber die große Uni, seinen Star-Status am Campus aufgeben? Das konnte er trotzdem nicht. Also entschloss er sich, ein paar Klassen zu belegen und dann abzuwarten, wie es weitergehen würde.

Das war im September. Am 25. Oktober wurde er wegen Drogenbesitzes zusammen mit drei seiner ehemaligen Teamkollegen festgenommen.

Keine Ausreden mehr!

Das war der Tiefpunkt. Zum ersten Mal war der Honey Badger, das furchtloseste Tier der Welt, nicht mehr furchtlos. Mathieu sah sich selbst abrutschen. Abrutschen in das Leben, das er so dringend hinter sich lassen wollte. Den Vater, der wegen Mordes im Gefängnis saß, die Mutter, die ihn als Baby zur Adoption freigegeben hatte, die zahlreichen falschen Freunde aus der High School.

All das sah er nun. Und sich mitten drin.

Deshalb entschloss er sich zu einem radikalen Schnitt. Er meldete sich von der Schule ab, ließ sich diesmal in eine deutlich strengere Entzugsklinik einweisen und schottete sich dort komplett von der Außenwelt ab. Neben Heroin- und Meth-Süchtigen zählte seine "Es ist doch nur Gras"-Ausrede nicht mehr.

Nach der Entlassung zog er sich in eine sterile Einzimmer-Wohnung mitten in einer Rentner-Siedlung in Florida, wechselte mehrfach die Handynummer, suchte sich einen Agenten und professionelle Hilfe. Mit Erfolg: Seit Monaten ist er clean.

Sicher ist sicher....

Was sich einfach anhört, ist für Mathieu eine Mammut-Aufgabe. "Wenn Du einmal drogensüchtig warst, bist Du niemals komplett geheilt", sagt er. Immer wieder könne man rückfällig werden. Ein Fehltritt würde genügen.

Es ist eine Anspielung auf die Nachtklubs im nahe gelegenen South Beach, deren Lichter man am Nachthimmel sehen kann. Um gar nicht in Versuchung zu geraten, schließt sich Mathieu nachts in seinem Appartement ein.

Den Schlüssel für sein fast krankhaft gepflegtes Auto überlässt er jeden Abend der Assistentin seines Agenten, die den Wagen dann vor ihm versteckt. Sicher ist sicher.

Die Wurzel allen Übels

Klingt extrem, ist für Mathieu aber der einzige Weg, bei ihm muss alles 100 prozentig stimmen. "Ich weiß einfach gerne, warum etwas passiert", sagte er vor kurzem in einem ESPN-Interview. "Ich kenne gerne die Wurzel."

An sich ja keine verkehrte Einstellung. Wenn sich die Selbst-Analyse denn im Rahmen hält. Und das ist bei Mathieu nicht der Fall.

Am College regte er sich tagelang über verpatzte Coverages auf, analysierte jeden Schritt im Training und rieb sich an kleinsten Details auf. Er wurde depressiv und kam irgendwann gar nicht mehr aus seinem Appartement heraus. Mit Drogen betäubte er die Selbstzweifel - und zog es vor, in Videospielen zu glänzen.

Partys und Nacktfotos im Internet

Er begann ein Doppelleben. Während er auf dem Feld zum gefeierten Helden aufstieg, der die LSU-Tigers ins BCS Championship-Game führte, verkümmerte er wenige Stunden später im Hotelzimmer zu einem Häufchen Elend. Nach jedem Spiel traf er sich heimlich mit einem Psychologen. Seine damalige Betreuerin beschreibt das Geschehen als "sich anbahnendes Zugunglück".

Denn mit steigender Popularität kamen nur noch mehr Probleme. Plötzlich war sein Appartement jede Nacht mit "alten Freunden" gefüllt, die Party machen wollten. Plötzlich hatte er jede Woche 25.000 neue Follower auf Twitter und eine Ex-Freundin, die Nacktfotos von ihm ins Internet stellte.

"Du hast ein von Gott gegebenes Talent", sagte seine neue Freundin. "Aber im Moment schlägst Du es Gott mitten ins Gesicht."

Fit für die NFL?

Die Zeiten sind nun vorbei. Die alten Freunde sind fort, die Freundin ist geblieben. Und mittlerweile spielt Mathieu auch wieder Football.

Zusammen mit einigen anderen ausgemusterten Ex-College-Spielern macht er sich in Florida für den NFL Draft fit. Laufen, Gewichte, wieder laufen. Sein Trainer: Patrick Peterson. Der Cornerback der Arizona Cardinals ging wie Mathieu auf die LSU und hat sich bereit erklärt, seinen Ex-Kollegen für den Draft fit zu machen.

Erster Licktblick beim Combine

Und das funktioniert. Im Februar bestand Mathieu nicht nur den Drogen-Test beim Combine, sondern beeindruckte auch mit seiner Performance auf dem Feld.

Sein Talent stand eigentlich ohnehin nie in Frage, erklärt Jarrett Bell von der USA-Today: "Während viele Experten sagen, dass Mathieu früh in der dritten Runde geht, sehe ich ihn vielleicht schon in der zweiten Runde." Er sei ein typischer "high risk, high reward" Spieler. Einer, der Gold wert sein kann - oder aber ein Problem.

Rund ein dutzend Teams sollen sich vor dem Draft mit Mathieu getroffen zu haben, um sich davon zu überzeugen, dass er erwachsen geworden ist. Dass er jetzt mit dem Druck klar kommt, der als potenzieller NFL-Spieler auf ihm lastet. Denn genau das, so erklärt Mathieu selbst, war bisher sein Problem. Er konnte nicht mit Stress umgehen. Daher die Drogen. Daher die Ausflüchte.

Strandspaziergänge und Kautabak

Das Problem: Stress gibt es in der NFL mehr als genug. Dazu ein stattliches Gehalt als Entschädigung. Und mit dem kommen häufig falsche Freunde und alte Probleme.

Was also antwortet ein Tyrann Mathieu auf die Stress-Frage? Vermutlich erklärt er, dass er mittlerweile andere Wege gefunden hat, seine Emotionen zu bewältigen. Spaziergänge am Strand, zum Beispiel. Und Kautabak.

Er wird den Teams versichern, dass es den Honey Badger jetzt nur noch auf dem Platz gibt. Dort dafür umso hungriger und furchtloser.

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