NFL

Nicht ganz der Typ Massenmörder

Von Jan-Hendrik Böhmer
Myron Rolle galt in seiner Jugend als bester Safety der USA
© Getty

In seiner Jugend galt Myron Rolle als bester Safety der USA. Er könnte auch Arzt sein. Oder Politiker. Doch er entschied sich für die NFL. Und muss gegen unzählige Kritiker kämpfen. Sein größtes Problem: Er kann mehr, als nur Football spielen.

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Myron Rolle hat ein Problem. Seinen Kopf. Es ist der Kopf eines erfolgreichen Arztes, Politikers oder Wissenschaftlers. Aber nicht der Kopf eines künftigen NFL-Stars. Das sagen jedenfalls seine Kritiker. Sie sagen: Myron Rolle ist zu schlau für die NFL.

Seinen College-Abschluss machte Rolle in Rekordzeit und studierte danach für ein Jahr an einer der besten Universitäten der Welt. Rolle ist ein angehender Gehirn-Chirurg - und vielleicht sogar der zukünftige Präsident der Bahamas, dem Heimatland seiner Eltern.

Rolles Vorbild? Goldmedaillen-Gewinner und Rekord-Langstreckenläufer Roger Bannister. Der lief als erster Mensch die eine Meile unter vier Minuten und wurde anschließend Arzt. Das imponiert Rolle. Sein Plan? Erst NFL-Star, dann ein eigenes Krankenhaus.

Schlechtes Vorbild? "Das ist lächerlich!"

Seinen Kritikern gefällt dieser Plan allerdings überhaupt nicht. Sie sagen: Weil Rolle nicht auf Football angewiesen ist, fehlt ihm der Biss, sich im Profi-Geschäft durchzusetzen. Für Rolle sei Football nur ein Spiel, das er so lange spielt, wie es ihm Spaß macht. Sie unterstellen ihm mangelnden Einsatz, weil er mehr kann, als nur Football spielen.

"Die NFL möchte Spieler, für die Football die klare Nummer eins ist. Und die Nummer zwei - und die Nummer drei", sagte Rolle vor kurzem in einem Interview. "Ich hatte aber schon immer mehr als ein Talent. Und das wird auch so bleiben."

In der NFL gilt er deshalb mittlerweile sogar als schlechtes Vorbild. "Und das ist doch wohl lächerlich! Jedes Kind und jeder Athlet sollte sein wollen wie Myron Rolle", beschwert sich Rolles Personal-Trainer Tom Shaw, der vor dem Safety bereits Football-Stars wie Peyton Manning, Chris Johnson und Deion Sanders auf die Profi-Karriere vorbereitete.

Absurd? Geschäft!

Lächerlich? Vielleicht. Aus Sicht eines Team-Verantwortlichen ist es aber durchaus verständlich. Schließlich investiert eine Franchise enorme Summen in die Ausbildung eines künftigen Stars - und springt dieser dann einfach so ab, waren alle Anstrengungen umsonst. Da liegt es nahe, gleich auf jemanden zu setzen, der keine andere Wahl hat, als im Football erfolgreich zu sein. NFL or bust - Football oder Versager.

"Viele NFL-Coaches wollen am liebsten den Typ Massenmörder", bestätigt Trainer Shaw, "Sie wollen keine Spieler, die neben dem Sport noch andere Interessen haben."

The Future of Black America?

Doch genau die hat Rolle: andere Interessen. "Und ich würde weder mir noch meinem Team einen gefallen tun, wenn ich sie leugnen würde. Ganz im Gegenteil: mein Studium und anderen Aktivitäten helfen mir sogar", sagt er. "Ich bin dadurch viel disziplinierter und kann anderen Spielern helfen, nicht in Schwierigkeiten zu geraten."

Rolle ist ein Vorbild. Ein Schwiegermutter-Traum, wenn man so will. Der 23-Jährige gilt als einer der klügsten Köpfe der USA, Bürgerrechtler bezeichnen den angehenden Arzt als "Future of Black America". Er ist vieles, nur ganz bestimmt nicht der Typ Massenmörder.

Das größte Talent der USA

Und das ist das Problem: Denn warum sollte jemand, der regelmäßig mit Ex-US-Präsident Bill Clinton telefoniert, seine Gesundheit in der NFL riskieren? Warum sollte sich der personifizierte Gegenentwurf zum üblichen NFL-Klischee beim Training quälen, nur um am Ende vielleicht doch nur auf der Bank zu sitzen? Fragen seine Kritiker.

"Weil ich es will", antwortet Rolle. "Und weil ich ohne Football explodiere. Ich will spielen, und zwar so lange es mein Körper zulässt. Wenn ich auf dem Feld stehe, dann denke ich auch nicht darüber nach, ob ich mich verletzen könnte - oder wie erfolgreich ich als Arzt jetzt schon wäre. Ich überlege nur, wie ich meinen Gegner ausknocken kann."

Und das Rezept geht auf. Oder besser: es ging auf. Denn nach der High School galt Rolle als bester Safety der USA, die berühmtesten College-Football-Programme rissen sich um den Top-Athleten mit dem perfekten Noten-Schnitt. Als sich Rolle für die Florida State University entschied, wurde die entsprechende Pressekonferenz live im Fernsehen übertragen. Schon im ersten Jahr war er Stammspieler.

Karrierebremse Elite-Uni

Und das blieb er auch bis Ende 2008. Denn nachdem Rolle seinen Abschluss in zweieinhalb statt vier Jahren schaffte, bekam er ein Rhodes Scholarship angeboten - eine der größten akademischen Auszeichnungen der USA. Für ein Jahr durfte er damit nach Oxford, England. An eine der besten Universitäten der Welt. Normalerweise erhalten diesen Award angehende Politiker, Nobelpreis-Gewinner und Bürgerrechtler.

Und ganz bestimmt keine Football-Spieler.

Eine große Ehre. Doch ein Jahr in England hieß auch, ein Jahr ohne Football. Und es bedeutete, den NFL-Draft um ein Jahr zu verschieben. Und das, obwohl ihn viele Experten in der ersten Runde gesehen hatten. Er verzichtete auf die Millionen-Gagen - für ein Studium in Medizinischer Anthropologie. Eine fatale Entscheidung.

Jedenfalls im Bezug auf seine NFL-Karriere. Denn als er 2010 zum Draft in die USA zurückkehrte, prangte auf ihm ein unsichtbarer Stempel. Der hieß: gute Story, schlechter Spieler. Von den Tampa Bay Buccaneers wurde er in einem Draft-Gespräch etwa gefragt, wie es sich denn angefühlt hätte, sein Team für Privatangelegenheiten zu verlassen.

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Mit dem Privatjet zum Spiel

Für Rolle war das ein Schock. "Der Vorwurf hat mich echt mitgenommen", sagt Rolle. "Denn jeder, der mich kennt, weiß, wie eng ich mit meinen Teamkollegen aus Florida verbunden bin - und wie sehr wir uns füreinander einsetzen."

Als Rolle etwa zum entscheidenden Gespräch für das Rhodes Scholarship flog, halfen ihm seine Teamkollegen bei der Vorbereitung auf den Termin und schickten ihm anspornende SMS. Als Rolle später sein Diplom überreicht bekam, jubelte ihm sein Team geschlossen aus der ersten Reihe zu. Niemand habe jemals ein böses Wort verloren, sagt Rolle.

Und er zahlte es zurück. In dem er nie ein Spiel verpasste. Nur einmal stand er in 36 Partien nicht von Beginn an auf dem Platz - an dem Tag, als er das Rhodes Scholarship erhielt. Sein Team spielte damals in Maryland, das entscheidende Gespräch für seinen England-Aufenthalt war in Birmingham, Alabama. Direkt nach dem Gespräch setzte sich Rolle in einen Privat-Jet und flog nach Maryland. Pünktlich zum zweiten Viertel lief er ins Stadion ein, stand beim Rest des 37:3-Sieges seines Teams schon wieder auf dem Feld. Dennoch sagen seine Kritiker: Rolle hat einmal ein Spiel aus privaten Gründen sausen lassen - er könnte es wieder tun.

Wie gut ist Rolle wirklich?

Doch neben der Charakter-Debatte hat Rolle noch ein anderes Problem. Gerieten NFL-Scouts bei seinem Namen früher stets in Schwärmen, kamen nach einem Jahr ohne Spiel Zweifel an den Fähigkeiten des ehemals besten Safetys des Landes auf. Wie gut kann ein Spieler nach einem Jahr Football-Abstinenz und lediglich Privat-Workouts in einem heruntergekommenen Rugby-Kraftraum überhaupt noch sein?

"Es gibt eine ausgedehnte Debatte darüber, wie gut Rolle tatsächlich noch ist", schrieb "Yahoo! Sports"-Experte Jason Cole vor dem Draft. Einige NFL-Analysten sahen Rolle noch immer in der zweiten Runde. Andere sagten: man hätte ihn nicht draften müssen. Die Tennessee Titans taten es dennoch. In der sechsten Runde - als Nummer drei Safety.

Ein Jahr lang das Opfer

Und er schien es den Titans mit Leistung zurückzahlen zu können. Ordentliche zehn Tackles verbuchte er in der Preseason für sich. Nur drei Teamkollegen waren besser. Doch trotz der vermeintlich guten Spiele flog er beim letzten Roster-Cut vor dem Saisonstart aus dem Team - nur um einen Tag später beim Practice Squad zu unterschreiben.

Keine Spiele, keine große Show - nur hartes Training. Ein Jahr lang wird Rolle das Trainings-Opfer der Titans-Stars sein.

Prime Time in der Endzone

Dennoch zog er genau dieses harte Footballer-Leben der Karriere als Arzt vor. Er will sich durchbeißen. Und vielleicht ist es genau das, was die Kritiker von seiner Loyalität dem Sport gegenüber überzeugt. "Myron wird sich durchsetzen", sagt Trainer Shaw. "Er wird härter arbeiten als alle anderen. Das macht er in solchen Situationen immer."

Denn Rolle hat einen Traum. Und der hat nichts mit seiner Karriere als Arzt zu tun. Er will tanzen. Den Deion-Sanders-Tanz in der Endzone. Nach seinem ersten Interception-Return-Touchdown in der NFL. Prime Time. Denn wenn Rolle ehrlich ist, dann ist Sanders irgendwie auch ein Vorbild - neben all den Ärzten und Politikern. Einfach so.

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