NBA

"Den Mavericks fehlt die Identität"

Von Interview: Haruka Gruber
Ex-Bundestrainer Dirk Baueramnn bei der EM 2011 mit Nowitzki und Kaman
© Getty
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SPOX: Sie trafen mit Deutschland bei den Großturnieren häufig auf Parker und die Franzosen. Wie oft sind Sie an ihm verzweifelt?

Bauermann: Ziemlich regelmäßig. Was mich an Parker fasziniert: Der Großteil der Basketballer kennt nur eine Art zu spielen, er hingegen passt sich beliebig an. Man könnte meinen, dass es ihm in Europa schwerer fällt. Durch das Fehlen der defensiven 3-Sekunden-Regel kann der Gegner die Mitte einfach zumachen. Und das Ziehen wird ohnehin behindert, weil das Handchecking eines Verteidigers anders als in der NBA nicht kategorisch verboten ist. Und durch das kürzere und schmalere Spielfeld ist von vornherein weniger Platz zum Attackieren. Was macht also Parker? Er verwandelt sich einfach zu einem anderen Spieler: Er zieht weniger und agiert mehr von außen - und kontrolliert dennoch die Offensive. Diese Anpassungsfähigkeit ist unglaublich.

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SPOX: Wie unterscheidet sich Parkers Spiel in der NBA?

Bauermann: Durch die Regel-Unterschiede kommen seine Stärken noch besser zur Geltung. Zum Beispiel muss er anders als in Europa aus Pick'n'Roll-Situationen nicht sofort den freien Mann suchen, weil der Platz so eng ist. Stattdessen geht er ein paar Schritte vor- und rückwärts und wartet ab, ob er es selbst versuchen oder lieber passen soll. Im Grunde ist jemand, der so gut mit dem Ball umgeht und einen so tiefen Körperschwerpunkt besitzt, in der NBA nicht zu stoppen. Zumal er in dieser Saison damit anfängt, über 40 Prozent der Dreier zu treffen.

SPOX: Stimmt der Eindruck, dass die Mavericks im Frontcourt mit Chris Kaman, Nowitzki und Shawn Marion sowie auf der Shooting-Guard-Position mit Topscorer O.J. Mayo nicht viel schlechter aufgestellt sind als San Antonio? Dass der Qualitätsunterschied bei den Spielmachern allerdings gravierend ist?

Bauermann: Absolut, die Point Guards sind die Achillesferse der Mavericks. Eine starke Frontline ist wichtig, jedoch ist sie immer angewiesen auf die Pässe der Aufbauspieler. In dem Bereich hat Dallas große Defizite. Darren Collison ist trotz seiner guten Leistung in Oklahoma City nicht die Lösung, genauso wenig Dominique Jones. Da fehlt in fast allen Bereichen etwas zu den Spitzen-Spielmachern der Liga wie Parker. Und Roddy Beaubois stagniert wegen der vielen Verletzungen und hat immer noch Schwächen im Entscheidungsverhalten. Wenn er einen Angriff vorträgt, ist es sehr hibbelig und unpräzise.

SPOX: Umso ärgerlicher für Dallas, dass Jason Kidd lieber nach New York ging. Nach einer schwachen Vorsaison zeigt er sich in der neuen Heimat wie ausgewechselt.

Bauermann: In der Form hätte Kidd ein wichtiger Mann in Dallas sein können, besonders nach Dirks Rückkehr. Für die jetzigen Point Guards der Mavs wird es nicht einfach, das Gefühl zu entwickeln, wann, wohin und wie man Dirk den Ball passen muss. Kidd wusste immer, wo Dirk sich befindet. Und er hatte immer das richtige Timing. Das Zeitfenster, indem Dirk sich freiläuft, im Rhythmus den Ball fängt und sofort werfen kann oder die Finte ansetzt, ist extrem klein, vielleicht eine halbe Sekunde. Und genau in dieser halben Sekunde muss der Ball zu ihm fliegen. Eine anspruchsvolle Aufgabe.

SPOX: Bereits vor Nowitzkis Comeback zeigten sich die Point Guards der Mavs häufig überfordert. Zum Beispiel dürfte Kaman nicht zufrieden sein, wie selten er in die Offensive eingebunden wird.

Bauermann: Den Mavs fehlt eine Identität, vor allem im Halbfeldspiel. Mal geht der Pass sofort zu Chris ans Brett, dann wird er acht Ballbesitze hintereinander nicht angespielt und er rennt nur zwischen den Freiwurflinien hin und her. Bei solchen Szenen frage ich mich, warum ein dominanter Center mit einer solch vorzüglichen Fußarbeit überhaupt auf dem Feld steht, wenn man ihn nicht nutzt.

SPOX: Dallas-Coach Rick Carlisle ließ in Nowitzkis Abwesenheit einen etwas seltsam anmutenden Basketball spielen: Die Mavs drückten extrem auf das Gaspedal und waren eines der schnellsten Teams der NBA, dafür kassieren sie aktuell die zweitmeisten Punkte des Gegners und begehen die drittmeisten Turnover. Außerdem greifen sich die Gegner im Schnitt 4,7 Rebounds mehr als Dallas - der ligaweit schlechteste Wert. Was könnte hinter Carlisles Strategie stecken?

Bauermann: Warum diese systemische Entscheidung getroffen wurde, weiß ich nicht. Vor allem für Chris macht das wenig Sinn. Vermutlich hängt die Ausrichtung damit zusammen, dass die Aufbauspieler genauso wie Mayo und Marion, wenn er als Power Forward eingesetzt wird, ihre Stärken eher im schnellen Spiel haben.

SPOX: Aber was ist mit den statistischen Auffälligkeiten? Hängen sie zusammen?

Bauermann: Das glaube ich ebenfalls. Dallas versucht, die Anzahl der Ballbesitze zu maximieren. Das Problem: Entsprechend steigt auch die Anzahl der Ballbesitze des Gegners. Wenn die eigene Verteidigung nicht sicher steht, muss man automatisch viele Punkte hinnehmen. Hinzu kommt die Ausrechenbarkeit. Ich konnte Ende November an der Spielvorbereitung der Chicago Bulls vor dem Dallas-Match teilnehmen. Der Schwerpunkt bei der Besprechung lag auf zwei Dingen: Die eigene Shot Selection und Transition Defense, um Schnellangriffe der Mavs zu vermeiden. Das setzten die Bulls gut um: Dallas wurde zunehmend unruhiger, verlor Bälle und nahm viele schlechte Würfe, als im Halbfeldspiel die nötige Geduld aufzubringen.

SPOX: Sie haben kürzlich fast zwei Wochen in Chicago verbracht. Wie kam es dazu, dass Sie Einblick bei den Bulls bekamen?

Bauermann: Es war eine Weiterbildungsmaßnahme, im März oder April werde ich erneut bei den Bulls reinschauen. Der Kontakt kam über Chicagos Assistenzcoach Ron Adams zustande. Ich arbeitete früher als Assistenzcoach unter ihm an der Fresno State, als er dort der Headcoach war. Seitdem sind wir Freunde. Dank der privaten Verbindungen konnte ich an allen Spielen und an allen Trainingseinheiten und Besprechungen teilnehmen und in die offensiven und defensiven Playbooks reinschauen.

SPOX: Hängt Ihr Aufenthalt bei den Bulls damit zusammen, dass Sie sich womöglich eine Arbeit in den USA vorstellen können? Vielleicht in der D-League als Zwischenschritt zur NBA? Mit Ihren exzellenten Englischkenntnissen und der College-Erfahrung wäre das eine denkbare Option.

Bauermann: Vor zwei Jahren war ich in Dallas, um Dirk zu besuchen, und traf mich dabei mit Mavs-Präsident Donnie Nelson. Ich erzählte ihm, dass der Bundestrainer-Job großen Spaß macht, aber mich nicht ganz auslastet, weil die tägliche Arbeit fehlt. Da sagte Donnie zu mir: "Wir kennen uns schon lange und ich weiß um deine Qualitäten. Warum trainierst du nicht die Texas Legends?"

SPOX: Die Legends sind das Farmteam der Mavs.

Bauermann: Ich freute mich über das Angebot, weil es Wertschätzung ausdrückt. Dennoch sagte ich ab. Der übliche Deal für einen Trainer lautet: Setz Dich drei Jahre auf die Bank eines Farmteams und Du bekommst eine Stelle als Assistenzcoach beim NBA-Team. So lief es zuletzt bei Chris Finch in Houston. So sehe ich mich jedoch nicht. Der Basketball in der D-League würde mir nicht so viel Spaß machen. Darauf habe ich genauso wenig Lust wie drei Jahre später das Gefühl zu bekommen, auf der NBA-Trainer-Bank das fünfte Rad am Wagen zu sein. Daher möchte ich lieber in Europa bleiben. Ich will Verantwortung übernehmen und in der ersten Reihe stehen.

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