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Dallas' Herz ist LeBrons Versagen

Von Haruka Gruber
Teamwork gegen den großen Individualisten: Dallas verteidigt gegen LeBron James (l.)
© Getty

Der Triumph der Dallas Mavericks lässt sich mit vielen Faktoren erklären. Oder auch einfach nur mit einem Wort. Miamis LeBron James hingegen stellt einen Negativrekord auf und gesteht sein "persönliches Versagen" ein.

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Die Suche nach den Ursachen ist umfassend: Haben die Dallas Mavericks Spiel 6 der Finals-Serie bei den Miami Heat und damit auch den Titel gewonnen, weil sie sich gegen eines der besten Defensivteams der NBA erneut treffsicher zeigten und 50 Prozent der Würfe sowie 42,3 Prozent der Dreier verwandelten?

Oder weil den Heat teils hanebüchene Turnover unterliefen, allen voran LeBron James (6) und Dwyane Wade (6)? Weil das offenbar psychisch strapazierte Miami gleich 13 seiner 33 Freiwürfe herschenkte?

Weil den entschlossenen Mavs in den letzten 6:13 Minuten vier eminent wichtige Offensiv-Rebounds gelangen? Oder weil die Heat-Fans sich erneut als treuloses Event-Publikum offenbarten und von den angereisten Dallas-Fans fast übertönt wurden: "Let's go Mavs!"?

All dies erklärt lediglich einzelne Facetten, denn glaubt man den Mavs, sind derlei Analysen hinfällig. Der Erfolg gründe nur auf einem Wort: Heart. Herz.

"City of Dallas, wir kommen nach Hause! Mein Team hat ein Herz so groß wir Texas", sagte Jason Terry. Und Klub-Besitzer Mark Cuban ergänzte: "Jeder auf der Welt hatte uns abgeschrieben. Aber die Mannschaft hatte eine Entschlossenheit in den Augen und ein unglaublich großes Herz."

Mavs-Kader ein obskures Sammelsurium

Es muss das Herz sein, anders ist der grandiose Erfolg nicht zu erklären. Bei aller Klasse eines Dirk Nowitzki, bei allem strategischen Geschick von Coach Rick Carlisle, bei aller Uneigennützigkeit der Rollenspieler: Nüchtern betrachtet, sind die Mavericks ihre individuelle Qualität betreffend eines der am schlechtesten besetzten Championship-Teams aller Zeiten.

Nowitzki ragt heraus, ansonsten aber ist der Kader eine Ansammlung überalterter Ex-Stars und von der Konkurrenz verschmähter Reservisten.

Jason Kidd ist 38 Jahre alt, Peja Stojakovic 34, Jason Terry und Shawn Marion 33. Für Tyson Chandler sind die Mavs der dritte Klub im dritten Jahr, Stevenson gilt als basketballerisch limitierter Angeber, Brendan Haywood als überbezahlt und J.J. Barea wurde sogar die NBA-Tauglichkeit abgesprochen.

Caron Butler und Roddy Beaubois verfügen zwar über All-Star-Potenzial und waren als zweite und dritte Option neben Nowitzki angedacht, doch sie fehlten wegen schweren Verletzungen den Großteil der Saison.

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Cardinal wächst über sich hinaus

Bei keinem Top-Team der NBA klafft ein derart großer Unterschied zwischen dem Franchise Player (Nowitzki) und dem Rest der Mannschaft.

Und doch gelang es, die Heat und deren Trio Dwyane Wade/LeBron James/Chris Bosh zu bezwingen. Auch weil selbst Spieler, die ansonsten nur zur Kaderauffüllung dienen, ihren Teil zum Triumph beitrugen.

Brian Cardinal etwa ist ein allseits beliebter Handtuchwedler, den jedoch vom Dreier und seiner Größe abgesehen nur wenig für die NBA befähigt.

In Spiel 6 jedoch stellte er sich jedem Drive eines Wade oder James in den Weg, um sie im schlechtesten Fall beim Korbleger zu behindern und im besten Fall ein für sich zwar schmerzhaftes, für das Team aber ungemein wertvolles Offensivfoul gegen Miami zu ziehen.

Mahinmi wie Nowitzki

Ian Mahinmi wiederum wird zwar Talent bescheinigt, doch ist er in seiner Entwicklung noch nicht weit genug, um in einer Finals-Partie von Wert zu sein. So die Annahme.

In Spiel 6 in Miami jedoch musste er schnellstmöglich seiner basketballerischen Adoleszenz entwachsen, weil Chandler zu früh zu viele Fouls bekam und die schmerzende Hüfte Haywood vom Einsatz abhielt.

Mahinmis Verständnis des Spiels ist zwar noch immer rudimentär, aber sein Buzzer-Beater am Ende des dritten Viertels zum 81:72, ein butterweicher Sprungwurf im Stile von Nowitzki, war einer der wichtigsten Körbe des Spiels.

"Als Ian gefragt war, stand er auf und erledigte seinen Job. Es zeigt, dass es nicht um Einzelne geht, sondern um das Kollektiv. Dirk, Kidd, Terry, sie sind unsere Katalysatoren. Aber sie können sich auch auf die anderen verlassen", sagt Chandler. "Vor der Saison hatten wir keinen einzigen Champion im Team. Jetzt gehen wir in den Sommer - mit einem Team voller Champions."

"Wie oft müssen wir noch LeBrons Show hören?"

Coach Carlisle, sonst eher spröde und nicht besonders auskunftsfreudig, ging sogar soweit zu behaupten, dass die Mavericks eine der "einzigartigsten Mannschaften" der NBA-Historie seien - und verband dies mit einem Seitenhieb in Richtung Miami: "Bei uns geht es nicht um hochtrabende Star-Power. Kommt schon, wie oft müssen wir noch die LeBron-James-Reality-Show anhören, was er gerade tut und was nicht?"

Was Carlisle damit sagen will: Der Erfolg der Mavs ist auch ein Erfolg des Team-Basketballs über Individual-Basketball.

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Carlisle und das optimale Micro-Management

Nach zwei Jahren erfolgloser Suche fand Carlisle in seiner dritten Mavs-Saison die perfekte Mixtur. In der Preseason wurde die Basis gelegt, indem er der Mannschaft die Feinheiten der Zonendefense und die Besonderheiten beim Variieren mit der Manndeckung beibrachte.

Während der Saison entwickelte er zunehmend ein besseres Gespür dafür, welche Rotation, welche Einwechslungen zu welchem Zeitpunkt, den Spielern am besten liegt. Das sogenannte "Micro-Management" war früher eine der großen Schwächen des Trainers.

In den Playoffs wurde es zu einer entscheidenden Waffe. Ohne die kluge und weitsichtige Handhabung der Rotation wäre es nicht denkbar gewesen, dass Dallas die Ausfälle von Butler, Beaubois und später Haywood derart zu kompensieren versteht.

Cardinal, Barea...? Alles richtig gemacht!

So war es auch möglich, dass Dallas die Führung ausbaute, obwohl Nowitzki von Wurfschwäche und Foulproblemen geplagt für Cardinal raus musste. Cardinal wies gemeinsam mit Marion die beste Plus-Minus-Bilanz aller Spieler auf: +18. Sprich: Dallas machte in den 12-Cardinal-Minuten insgesamt 18 Punkte gegenüber Miami gut. Eigentlich unvorstellbar.

Weitere Carlisle-Entscheidungen, die zwar wenig beachtet aber umso effektiver waren: Bareas Beförderung in die Starting Five (15 Punkte in Spiel 6) und die Verbannung des zwar vorbildlich kämpfenden, aber in den letzten Wochen immer ungefährlicher werdenden Scharfschützen Stojakovic.

Der Lohn: Carlisle ist erst der elfte Coach, der auch schon als Spieler die Meisterschaft geholt hat. "Er hat genau die richtigen Knöpfe gedrückt, auch wenn es eine Zeit gebraucht hat, um das Gleichgewicht zu finden", sagte Nowitzki.

Und Terry betonte: "Für alles, was wir in Dallas aufgebaut haben, gebührt dem Coach der Dank. Barea in die erste Fünf? Cardinal? Mahinmi? 'Soll das ein Witz sein?', fragten viele. Aber der Coach bewies Mut und zeigte, dass er jedem von uns vertraut."

Coach Spoelstra verschont seinen Superstar

Entsprechend eindeutig entschied Carlisle das Trainer-Duell gegen Miamis Erik Spoelstra für sich. Spoelstra versteckte sich nicht hinter seinem Superstar-Trio und lag beispielsweise richtig mit der Entscheidung, den formschwachen Mike Bibby auszusortieren und stattdessen Mario Chalmers (18 Punkte in Spiel 6) beginnen zu lassen.

Gegen die Beständigkeit und die Nervenstärke der Mavs wollte aber auch ihm kein rechtes Mittel einfallen. Während Bosh und Wade freimütig einräumten, dass Dallas das bessere Team gewesen sei, beließ es Spoelstra bei einem: "Kein Team hatte den Titel mehr verdient als das andere Team. Aber die Mavs spielten besser."

Eine Variante verblieb Spoelstra in Spiel 6, doch darauf verzichtete er. Entweder, weil er noch an einen Turnaround seines vermeintlich besten Spielers glaubte. Oder weil er schlichtweg Respekt vor den Konsequenzen hatte, sollte er LeBron James im letzten Viertel auf der Bank belassen. Angebracht wäre es gewesen.

Mavs neutralisieren James' Stärken

James spielte erneut miserabel und ließ alles vermissen, was ihn zum zweimaligen MVP machte.

Statt kraft seiner Dynamik und Athletik den Korb zu attackieren und auch als Leader vorweg zu gehen, versteckte er sich weitestgehend oder verließ sich auf seinen wackeligen Dreier. In den 40 Minuten mit James auf dem Parkett büßte Miami 24 Punkte ein!

Ein weiterer Beleg: Sein Punkteschnitt in den gesamten NBA Finals sank im Vergleich zur Regular Season um 8,9 Punkte: Von 26,7 auf 17,8. Eine solche negative Differenz gab es noch nie in der NBA.

"Die Mavs haben einen großartigen Job gegen mich erledigt. Jedes Mal, wenn ich zum Korb ziehen wollte, kam ein zusätzlicher Verteidiger. Sie nahmen mir die Dinge, dich ich sonst beherrsche", gab James zu.

"Mein persönliches Versagen"

Genauso, als er darauf angesprochen wurde, ob die Niederlage ein "persönliches Versagen" sei: "Wenn man die Spitze des Berges sieht und dennoch abstürzt, ist es immer ein persönliches Versagen. Das war 2007 schon so, als ich mit Cleveland gegen San Antonio verloren habe. Es ist mein Versagen, dass wir gegen die Mavs verloren haben. Absolut."

Ähnlich wie nach "The Decision" im letzten Jahr stehen James erneut Wochen der Häme und Kritik bevor.

Den Anfang machte Lakers-Legende Magic Johnson: "LeBron wird sich immer daran erinnern, schlecht gespielt zu haben. So ging es mir 1984 nach meinen Leistungen gegen Boston. Den ganzen Sommer hörte ich etwas von Tragic Magic. Dabei hatte ich schon eine Championship gewonnen. Die Frage ist: Wird es LeBron irgendwann mal lernen, gut zu spielen, auch wenn er den Ball nicht in der Hand hat?"

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