NBA

"Dirk Nowitzki ist wichtiger als Kobe Bryant"

Von Interview: Haruka Gruber
Wayne Winston (r.) und die Mavs-Stars: Brendan Haywood, Dirk Nowitzki, Caron Butler (v.l.)
© spox

Ein Mann mit Hirn und Basketballverstand: Wayne Winston arbeitete nicht nur neun Jahre als Analyst der Dallas Mavericks. Er ist auch Mathematik-Absolvent der Eliteuni MIT, seit 1975 Professor an der Indiana University und Gewinner der TV-Quiz-Show "Jeopardy".

Cookie-Einstellungen

Mit dem von ihm und seinem besten Freund Jeff Sagarin, NBA-Experte bei "USA Today", entwickelten Basketball-Indikator "Angepasste Plus/Minus-Statistik" und seinem viel beachteten Blog gehört Winston zu den Koryphäen der NBA. "Winston versteht soviel von Mathe wie Eric Clapton von Akkorden", schrieb einst die "Washington Post".

2000 wurde er von Mavs-Besitzer Mark Cuban, der Anfang der 80er Jahre einer von Winstons Studenten war, um Hilfe gebeten. Seitdem verfolgt Winston intensiv die Entwicklung des Klubs - und glaubt an eine reale Titelchance der Mavs. Das Interview.

SPOX: Dallas hat nach dem Erfolg über die Bobcats das achte Spiel in Folge gewonnen. Haben Sie erwartet, dass sich die Verpflichtung von Brendan Haywood und Caron Butler so schnell auszahlt?

Wayne Winston: Absolut. Vor allem Haywood ist für Dallas ein Geschenk des Himmels. Das mit Abstand größte Problem der Mavs in dieser Saison ist das furchtbare Defensivverhalten der Guards. Im Grunde können Jason Kidd, Jason Terry und J.J. Barea keinen verteidigen. Deswegen ist Haywood unbezahlbar.

SPOX: Aber Haywood ist doch ein Center.

Winston: Mit seiner Beweglichkeit und seinen Blocks kann er jedoch viele Fehler der Guards ausbügeln und den zum Korb ziehenden Gegenspieler so stören, dass dieser keinen offenen Wurf bekommt. Nicht umsonst ist er laut der angepassten Plus/Minus-Statistik der beste Verteidiger der gesamten NBA. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass die Wizards ihn hergeschenkt haben.

SPOX: Was genau sagt die angepasste Plus/Minus-Statistik aus?

Winston: Die normale Plus/Minus-Statistik ist simpel: Wieviele Punkte erzielt und kassiert eine Mannschaft, wenn Spieler X auf dem Parkett steht. In Charlotte hatte Nowitzki einen Wert von +5. Sprich: Dallas hat 5 Punkte mehr erzielt, wenn Nowitzki gespielt hat. Bei der Statistik gibt es jedoch einen Haken: Wenn Nowitzki beispielsweise gegen die erste Garde der Lakers spielt, hat er sicherlich eine schlechtere Plus/Minus-Statistik, als wenn er von der Bank kommt und gegen die zweite Garde der Lakers ran darf. Das ist der größte Kritikpunkt an der normalen Plus/Minus-Statistik.

SPOX: Jetzt kommt die Sache mit dem angepasst.

Winston: Die Frage lautet: Wie wichtig ist ein Spieler für seine Mannschaft - unabhängig von den Teamkollegen, mit denen er aufläuft? Daher haben wir eine Software entwickelt, in die wir jedes Zeitsegment, die ein NBA-Profi spielt, einpflegen. Wie war das Resultat, als er eingewechselt wurde? Wie war das Resultat, als er ausgewechselt wurde? Und mit wem stand er auf dem Parkett? Das machen wir für jeden Spieler - und aus dieser Masse an Daten errechnen wir einen Durchschnittsspieler. Quasi den Max Mustermann der NBA. Wenn also Nowitzki in dieser Saison eine angepasste Plus/Minus-Statistik von +19 hat, heißt das: Sollte Nowitzki 48 Minuten durch einen Max Mustermann ersetzt werden, wird Dallas 19 Punkte schlechter abschneiden als mit ihm.

SPOX: Und nach dieser Statistik ist Haywood also wirklich so viel besser als ein gesunder Erick Dampier?

Winston: Dampier legt diese Saison ordentliche Zahlen auf, für das Team ist er dennoch nicht so hilfreich, wie es die Zahlen andeuten. Gegen traditionelle Big Men wie Shaquille O'Neal und Tim Duncan ist er nützlich, dafür hat er im Gegensatz zu Haywood Probleme mit schnellen, athletischen Centern. Haywood hingegen löst fast alle Probleme. Daher hätte ich an der Stelle der Mavs von Dirk Nowitzki abgesehen jeden Spieler angeboten, um ihn zu bekommen. Haywood ist der Schlüssel für einen Angriff auf die Meisterschaft.

SPOX: Der Blockbuster-Trade lässt sich aus Dallas-Sicht so zusammenfassen: Haywood und Butler kamen, Josh Howard und Drew Gooden gingen. Ist der jetzige Kader tatsächlich so viel besser?

Winston: Ja. Butler spielte in Washington zwar keine gute Saison und hatte ähnlich durchwachsene Statistiken wie Howard, nichtsdestrotrotz ist er definitiv besser als Howard. Und Gooden war schädlich für die Mavs, wie die angepasste Plus/Minus-Statistik beweist (siehe Kasten links, Anm. d. Red.). Kurzum: Den Mavs gelang ein fantastischer Trade. Nach Howards Kreuzbandriss haben sie praktisch nichts hergegeben, um zwei klasse Spieler zu bekommen.

SPOX: Der Kader ist demnach perfekt?

Winston: Es gibt einen großen Makel: die dünne Bank. Terry und Dampier sind wertvoll, aber was dahinter kommt, ist grausig. DeShawn Stevenson war nie ein guter Spieler, auch wenn er seine Pflicht erledigt hat, als Butler verletzt ausfiel. Barea und Eduardo Najera erfüllen nicht den Anspruch der Mavs und dürften eigentlich nicht so viele Minuten bekommen.

SPOX: Das heißt?

Winston: Wenn Tim Thomas seine Pause aus familiären Gründen vielleicht doch beendet, sollte Dallas variabler sein, weil er mit seiner Scoring-Power der perfekte Ersatz für Nowitzki ist. Zusätzlich müsste Dallas einen weiteren Guard verpflichten.

SPOX: Was halten Sie vom arbeitslosen Von Wafer, der in Dallas einen Zehn-Tages-Vertrag bekam?

Winston: Sie sollten mit ihm verlängern. Defensiv wird er nie überzeugen, letztes Jahr lief es für ihn in Houston offensiv hingegen sehr gut. Ich weiß nur nicht, wie fit er ist. Ein anderer interessanter Name für Dallas ist Larry Hughes.

SPOX: Meinen Sie das ernst?

Winston: Selbstverständlich hat er in seiner Karriere nie die Erwartungen erfüllt. Aber er ist im positiven Sinn ein durchschnittlicher Spieler - und so einer wäre für Dallas im Vergleich zu Barea schon ein deutliches Upgrade.

SPOX: Reicht der jetzige Kader mit einem einsatzfähigen Dampier und Thomas plus ein neuer Guard vom Kaliber eines Larry Hughes, um tatsächlich den Titel zu gewinnen?

Winston: Die Mavs haben gute Chancen. Ich stelle mir folgendes Szenario vor: In der ersten Runde geht es gegen ein Team wie Oklahoma City. Schwer, dennoch machbar. Im Conference-Halbfinale warten wohl die Denver Nuggets, von denen ich nicht gänzlich überzeugt bin. Carmelo Anthony wird trotz seiner Statistiken überschätzt, genauso wie J.R. Smith. Nene etwa ist ähnlich gut, bekommt jedoch zu wenige Würfe. Dazu kommt die Krebserkrankung von Coach George Karl, deren Auswirkung keiner abschätzen kann.

SPOX: Bleiben im Westen die Los Angeles Lakers.

Winston: Keine unmögliche Aufgabe. Dank Butler und vor allem Haywood verfügen die Mavs über flexible Lineups. Zum Beispiel könnten ja auch Haywood und Dampier gleichzeitig eingesetzt werden, um Andrew Bynum und Pau Gasol auszuschalten. Oder Shawn Marion, Butler und Stevenson wechseln sich bei der Verteidigung von Kobe Bryant ab. Die drei sind zusammen in der Lage, ihn zu stoppen. Zumal die Lakers einige Verletzungsprobleme haben. Bryant, Gasol oder Artest sind oder waren angeschlagen, und einer von ihnen wird in den Playoffs garantiert Probleme bekommen.

SPOX: Entscheidet dennoch nicht am Ende die individuelle Klasse eines MVP wie Bryant?

Winston: Nach dieser Logik müssten sich die Mavs gegen die Lakers durchsetzen. Denn die angepasste Plus/Minus-Statikstik zeigt eindeutig, dass es Bryant wesentlich weniger verdient hätte als Nowitzki, den MVP-Titel zu gewinnen. Nowitzki gehört mit LeBron James und Oklahoma Citys Kevin Durant zweifelsfrei zu den drei besten Spielern dieser Saison. Nur Miamis Dwyane Wade kann einigermaßen mit dem Trio mithalten.

SPOX: Damit provozieren Sie einige Basketball-Fans.

Winston: Kobe ist großartig - hat aber auch großartige Mitspieler. Lamar Odom, Gasol, Artest. Das gesamte Team ist stärker als die Mavs oder die Cavaliers. Dennoch haben diese Teams eine nur wenig schlechtere oder wie Cleveland sogar eine bessere Bilanz als L.A. - was beweist: Nowitzki und James sind für ihre Mannschaften wesentlich wichtiger.

SPOX: Bryant macht aber immerhin 27,5 Punkte und liefert rund 5 Rebounds und Assists...

Winston: In der NBA gibt es zwei Wege. Der erste: So wie Sie andeuten die Leistung eines Spielers anhand von Boxscores ermitteln. "ESPN"-Mann John Hollinger macht mit seinem beliebten Player Efficiency Rating nicht viel anders, als Punkte, Rebounds, Assists oder Blocks verschieden zu gewichten und daraus ein Spieler-Ranking abzuleiten. Hier gibt es jedoch ein Kernproblem: In Boxscores werden wesentlich mehr Statistiken zur Offensive als zur Defensive erhoben. Es wird nicht gezählt, wie oft jemand den Ball vor dem Aus rettet, ein schmerzhaftes Offensivfoul annimmt oder den besten gegnerischen Scorer ausschaltet.

SPOX: Daher auch ihre angepasste Plus/Minus-Statistik.

Winston: Statistiken wie Punkte und Rebounds sind schlichtweg zu oberflächlich, vielmehr geht es darum, ob die Leistung eines Spielers schlussendlich seinem Team hilft. Was bringen den Philadelphia 76ers 30 Punkte von Allen Iverson, wenn der Klub andauernd verliert? Aus dieser Grundüberlegung heraus haben wir die angepasste Plus/Minus-Statistik entwickelt.

SPOX: Klingt plausibel - wobei sich die Frage stellt: Wie konnte es dann passieren, dass unter Ihrer Ägide ein Spieler wie Dampier einen 70-Millionen-Dollar-Vertrag von Dallas bekommt?

Winston: Ich habe Mark Cuban gewarnt. Vor seinem Wechsel zu Dallas hatte Dampier für Golden State gute Boxscores geliefert - laut der angepassten Plus/Minus-Statistik war er dennoch nie so wertvoll, wie es die Punkte und Rebounds vermuten ließen. Aber natürlich hörte Cuban nicht nur auf unsere Analysen, sondern auch auf sein Bauchgefühl und seine Intuition. Und so soll es auch sein. Auch wenn es mit Dampier nicht geklappt hat: Statistiken und nackte Zahlen sind nicht alles im Basketball.

Der Totenstille zum Trotz: Dallas setzt Siegeszug fort