NBA

Die Suche nach dem heiligen Gral

Von Simon Haux
LeBron James ist der König des Real Plus-Minus
© getty
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Plus/Minus und RAPM: Sind Boxscore-Stats überflüssig?

Das zentrale Problem bei dieser Suche: Wie misst man diejenigen Leistungen, die nicht im Boxscore auftauchen? Screens, die dem Mitspieler seinen Gegner vom Hals halten; die Angst der Defense vor einem starken Schützen, selbst wenn dieser letztlich keinen Wurf nimmt; das Ausboxen unter dem Korb, um einem Teamkollegen das Einsammeln des Rebounds zu ermöglichen. Kein Basketball-Fan würde behaupten, diese Dinge hätten keinen Einfluss auf den Erfolg eines Teams.

Der Gedanke liegt also Nahe, eben diesen Erfolg zu messen - und welche Spieler daran einen Anteil hatten. Einfache Plus/Minus-Werte (die inzwischen sogar in die Boxscores auf nba.com aufgenommen wurden) tun zunächst genau das. Sie zählen, wie viele Punkte Vorsprung beziehungsweise Rückstand eine Mannschaft herausspielt, während ein bestimmter Spieler auf dem Platz steht. Wird beispielsweise Stephen Curry nach wenigen Minuten beim Stand von 10:5 erstmals ausgewechselt, so verlässt er den Platz mit einem Plus/Minus von +5.

Allerdings ist völlig unklar, welchen Anteil daran Curry selbst hatte und wie groß der Einfluss seiner vier Mit- und fünf Gegenspieler war. Diesen Einfluss versuchen aufwändigere Plus/Minus-Modelle zu schätzen, indem sie alle der mehr als 60.000 unterschiedlichen Lineup-Konstellationen in die Berechnung einbeziehen, in denen die über 400 NBA-Spieler in jährlich 1230 Spielen mit- und gegeneinander antreten. Die Variation der Mit- und Gegenspieler ermöglicht es, den individuellen Wert eines Spielers von denen seiner Teamkollegen zu trennen.

Trotz dieser enormen Datenmenge bleiben die beiden größten Probleme dieses sogenannten Adjusted Plus-Minus (APM) jedoch bestehen. Zunächst hängt die Verlässlichkeit der Ergebnisse von der Stichprobengröße, also der Anzahl der gespielten Minuten beziehungsweise Ballbesitze (Possessions) und unterschiedlichen Lineups ab. Als Faustregel gilt, dass die Ergebnisse erst für Spieler einigermaßen verlässlich werden, die im Laufe der Saison mindestens 1.000 Minuten auf dem Feld standen.

Golden State Warriors: Das "Death Lineup" hält zusammen

Ein extremes Beispiel: Würde Curry nach seiner Auswechslung beim Stand von 10:5 (nach zehn gespielten Possessions) keine weitere Minute mehr spielen, müsste man davon ausgehen, dass die Starter der Warriors mit Curry das gegnerische Team in einem Spiel mit 100 Possessions mit 100:50 besiegen würden. Da dieses Ergebnis in Currys Abwesenheit wohl niemals zustande käme, wäre der Point Guard - statistisch gesehen - für einen Großteil der hypothetischen 50-Punkte-Führung alleine verantwortlich.

Solche Verzerrungen aufgrund geringer Spielzeit versucht das sogenannte Regularized Adjusted Plus-Minus (RAPM) zu bekämpfen, in dem es die Werte von wenig eingesetzten Spielern an den Ligadurchschnitt angleicht. Dies verhindert zwar absurde Ausreißer, kann das Ergebnis in manchen Fällen aber auch verfälschen. So war Rookie Joel Embiid von den Philadelphia 76ers in seiner begrenzten Spielzeit wohl einer der besten Verteidiger der NBA.

Regularized Adjusted Plus-Minus (Saison 2016/17)

Spieler

Team

Offense

Defense

Total

Stephen Curry

GSW

6.56

1.01

7.57

LeBron James

CLE

5.66

1.83

7.49

Draymond Green

GSW

1.28

4.04

5.33

Kawhi Leonard

SAS

5.01

0.3

5.32

Chris Paul

LAC

2.5

2.5

5

Kyle Lowry

TOR

2.37

2.26

4.63

Nikola Jokic

DEN

3.33

1.2

4.53

Jae Crowder

BOS

2.57

1.77

4.34

Rudy Gobert

UTA

0.37

3.89

4.27

Interpretation: Ein komplett durchschnittlicher Spieler erhält den Wert 0. Er macht ein Team weder besser noch schlechter. Wird er jedoch durch Stephen Curry ersetzt, so verbessert sich die Punktedifferenz des Teams gegen einen durchschnittlichen Gegner um 7,57 Punkte pro 100 Ballbesitze.

Kein Anderer blockte so viele Würfe wie der junge Big Man, kein Spieler hatte den gleichen Einfluss auf die Trefferquote seiner Gegner am Ring. Zudem war die Defense der Sixers mit Embiid eine der besten der gesamten Liga und ließ ganze 9 Punkte pro 100 Ballbesitzen weniger zu als ohne ihn. Aufgrund seiner geringen Spielzeit "vertraut" RAPM diesen Zahlen allerdings nicht vollständig und korrigiert das Ergebnis, sodass Embiid letztlich nicht einmal die Top 30 der der besten Defensivwerte 2016/17 knackte.

Das zweite große Problem entsteht durch Spieler, die den Großteil ihrer Minuten gemeinsam auf dem Platz stehen und deren Einfluss auf das Team dadurch kaum zu unterscheiden ist. Die Auswirkungen verdeutlicht das berühmt-berüchtigte "Death Lineup" des amtierenden Champions aus Golden State.

Curry (Platz 1), Green (3), Kevin Durant (11) und Klay Thompson (14) finden sich allesamt unter den laut RAPM "besten" 15 Spielern der vergangenen Saison, Andre Iguodala folgt immerhin auf Rang 27. Natürlich sind alle fünf großartige Spieler, funktionieren aber gerade gemeinsam besonders gut und profitieren teils auch von ihren Mitspielern.

BPM: Back to the Box?

So endet der Versuch, "alle" Leistungen eines Spielers völlig unabhängig von seinen Boxscore-Statistiken zu messen, in einem neuen Problem, dessen Lösung aus Mangel an Alternativen zurück in den Boxscore führen muss. Das sogenannte Box Plus-Minus (BPM) nutzt weitestgehend die gleichen Statistiken wie das PER, berechnet die Gewichtung der einzelnen Elemente - Punkte, Rebounds, Steals etc. - jedoch mithilfe historischer RAPM-Werte.

Haben Spieler, die viele Steals holen, einen besonders positiven Einfluss auf die Anzahl der Punkte, die ihr Team zulässt? Besteht ein starker oder geringer Zusammenhang zwischen eingesammelten Rebounds und dem defensiven Plus/Minus? Anhand solcher Fragen versuchten die Schöpfer des BPM, den unterschiedlichen "Wert" dieser Aktionen möglichst objektiv zu bewerten.

Das Ergebnis ist eine Metrik, die - ebenso wie RAPM - den Beitrag eines Spielers zum Teamerfolg auf 100 Ballbesitze normiert angibt. Grob gesagt entspricht der Wert 0 einem durchschnittlichen Spieler. Solche Durschnittsspieler waren 2016/17 beispielsweise Andre Roberson von den Oklahoma City Thunder und Julius Randle von den Los Angeles Lakers.

Wenig überraschend legte Russell Westbrook im Zuge seiner unglaublichen Triple-Double-Saison das mit Abstand höchste Box Plus-Minus aller Zeiten auf - schließlich basiert die Statistik letztlich doch vollständig auf dem Boxscore, den der MVP wie kaum ein Spieler zuvor füllte.

Eine detaillierte Beschreibung des BPM liefert erneut basketball-reference.com.