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Ein Hauch von Normalität

Isaiah Thomas drehte in Spiel 4 gegen die Bulls groß auf
© getty

Isaiah Thomas schüttelte genau zum richtigen Zeitpunkt die Last von seinen Schultern und führte sein schwankendes Team beim 104:95-Auswärtssieg zum Ausgleich in der Serie. Doch nicht nur für ihn ist es wichtig, bestimmte Dinge zeitweise hinter sich zu lassen, auch die Chicago Bulls sollten das versuchen. Sonst könnte der Traum vom Upset schnell ausgeträumt sein.

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Gerade einmal acht Tage ist es her, dass Chyna J. Thomas bei einem Autounfall ums Leben kam. Wer ihren Bruder Isaiah Thomas unmittelbar nach dem tragischen Ereignis in der Öffentlichkeit erlebte, der musste unweigerlich tiefes Mitleid empfinden, blickte er doch in Augen voller Trauer und Tränen.

Die Tage nach dem Unfall waren die härtesten seines Lebens, stellte Thomas fest. Zeit zur Trauerarbeit hatte der Point Guard bis heute nicht, stand doch schon einen Tag nach dem Unfall das erste Spiel der Playoffserie gegen die Bulls an.

Thomas trat trotz der schlimmen Gegebenheiten im ersten Spiel an und zeigte einen sehr emotionalen Auftritt. Trotz seiner 33 Punkte schien der Gedanke an seine tote Schwester jederzeit zugegen. Wer konnte es ihm verdenken.

In den beiden darauffolgenden Spielen agierte Thomas mit angezogener Handbremse. Als könne er die tragischen Ereignisse auf dem Feld doch nicht hundertprozentig ausblenden. Verständlicherweise.

Thomas legt Ballast kurzzeitig ab

In Game 4 schien es für Thomas aber an der Zeit, die fürchterlichen letzten Tage zu vergessen. Angestachelt von einer kleinen Privatfehde mit Michael Carter-Williams, vier Fouls auf seinem Konto und einem Bulls-Team, das angepeitscht vom eigenen Publikum gerade einen 18-Punkte-Rückstand egalisiert hatte, legte Thomas einen Schalter um.

Plötzlich nutzte er die Tatsache, dass die Bulls ohne Rondo keinen adäquaten Verteidiger mehr für ihn besaßen, dass sie seinen schnellen Drehungen, seinen Tempowechseln ausgeliefert waren. Plötzlich zog er so aggressiv und gleichzeitig filigran zum Korb, wie man es aus der Regular Season gewohnt war. Plötzlich offenbarte sich die ganze Klasse eines der besten Offensivspieler der Association.

"Es ist toll, ihn wieder so zurück im Rhythmus zu sehen. Er war einfach großartig. Wie er den Korb attackiert und uns angeführt hat. Er hat einfach alles gemacht", fasste Al Horford die von Thomas beinahe schon gewohnte Leistung zusammen.

"Bei ihnen zu sein, macht mich gesund"

"Er ist ein unglaublicher Kämpfer und hatte ein unfassbares Spiel heute Abend", musste Bulls-Coach Fred Hoiberg zugeben, nachdem Thomas die Bulls mit 33 Zählern beinahe im Alleingang erlegt hatte. Mit Thomas auf dem Feld schlugen die Celtics Chicago mit 17 Punkten Unterschied, ohne ihn erzielten die Bulls 8 Punkte mehr.

"Wenn es so läuft, kann mich kein Spieler alleine stoppen. Mein Coach und meine Teamkollegen haben es mir heute erlaubt, der beste Spieler zu sein, der ich sein kann", stellte Thomas im Anschluss an das Spiel vor den Pressevertretern fest.

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Schon da wurde offensichtlich, dass ihn die Realität wieder eingeholt hatte. "Mental und emotional bin ich eigentlich gar nicht hier. Die Jungs alleine helfen mir, so selbstbewusst zu bleiben. Ich nehme nur das, womit sie mich füttern. Hier zu sein, lässt das Leben wieder normal erscheinen", offenbarte der Point Guard mit gesenkter Stimme angesichts seiner schwierigen Situation.

Aus einer sportlich schwierigen Situation hat Thomas sein Team zunächst einmal befreit. Hätten die Bulls ihr Momentum im dritten Viertel von Spiel 4 ausgenutzt und das 3-1 in der Serie geholt, wäre es für Boston verdammt schwer gewesen, wieder zurückzukommen.

Alles ist möglich! Oder nicht?

Nach den zwei Auswärtssiegen in Chicago hat Boston allerdings wieder alles auf Anfang gesetzt. Beim Stand von 2-2 sind die vier vorherigen Schlachten, die beiden Überraschungssiege der Bulls in Boston ebenso wie das dringend benötigte Comeback der Celtics in Chicago, vergessen. Alles scheint möglich im fünften Spiel.

Doch der Schein trügt etwas. Für die Bulls ist es weitaus schwerer, die Tatsache außer Acht zu lassen, dass mit Rondo der Strippenzieher in der Offensive den Rest der Serie fehlt. Seine Stellvertreter Jerami Grant und Michael Carter-Williams erwiesen sich in Game 4 zum zweiten Mal in Folge als nicht playofftauglich. Lediglich die dritte Option, Isiah Canaan, zeigte sich als Lichtblick, wenn auch ohne große Stärken im Spielaufbau.

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Für die Bulls geht es eher darum, den Rondo-Ausfall nun auch psychologisch abzuhaken. Chicago war in der Regular Season auch ohne Rondo erfolgreich und zeigte im vierten Spiel der Serie zumindest ansatzweise, dass ein Sieg auch ohne den Spielmacher möglich ist, wenn alles zusammenpasst.

Ein wütender Hoiberg zog es allerdings vor, nachzukarten. Auf der Pressekonferenz nach dem Spiel beschwerte er sich öffentlich über das seiner Meinung nach illegale Dribbeln von Thomas, das überhaupt nicht von den Referees geahndet wurde. "Wenn er so dribbelt, ist er unmöglich zu verteidigen", stellte er säuerlich fest.

Hoiberg greift Referees an

Vielleicht war das aber auch Hoibergs Art, sich vor seine Spieler zu stellen und zu kaschieren, dass er weiterhin an einer erfolgreichen Rotation ohne Rondo tüftelt, während sein Team einen 2-0-Vorsprung in der Serie verspielt hat und momentan nicht so wirkt, als könne es überhaupt noch ein weiteres Spiel gewinnen.

Game 4 war aus Sicht der Bullen jedenfalls lange Zeit eine Kopie vom vorherigen Spiel. Wieder ging Boston früh ganz deutlich in Führung, wieder stockte die Offensive, wieder konnte man nicht an die Dominanz, die man im Reboundkampf der ersten beiden Spiele gezeigt hatte, anknüpften.

Doch das Playoff-System hat seinen Reiz eben auch darin, dass alle Resultate des einen Spiels im darauffolgenden Match nicht mehr zählen. Ohne Auswärtstorregel und ähnliche Hindernisse ist es für die Bulls mehr noch als für die Celtics an der Zeit, die bitteren Erkenntnisse aus den letzten beiden Spielen zu vergessen.

Gelingt das nicht, könnte Normalität einkehren in diese bislang so verrückte Serie. Aus Bulls-Sicht wäre das nicht wünschenswert.

Das Playoff-Bracket im Überblick

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