NBA

The Mysterious One

Von Robert Arndt
Thon Maker wurde von den Milwaukee Bucks an zehnter Stelle gedraftet
© getty

Die Reise von Thon Maker in die NBA war lang, sein Weg führte über drei Kontinente. Als erster Spieler seit über zehn Jahren kommt er aus der High School direkt in die Association. Um den zehnten Picks des Drafts, der in Zukunft das Jersey der Milwaukee Bucks tragen wird, gibt es trotz seiner einzigartigen Anlagen einige Fragezeichen.

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"With the 10th Pick in the 2016 NBA Draft, the Milwaukee Bucks select Thon Maker from South Sudan and Perth/Australia." Die Worte von Adam Silver lassen das Publikum im Barclays Center am Draftabend in großen Jubel ausbrechen, es ist eine Mischung aus Freude und Erstaunen.

Gelassen steht der soeben Gedraftete auf, es folgen innige Umarmungen mit seinen Begleitern. Eine große Erleichterung ist zu spüren, auf der Bühne angekommen wirkt Maker aber doch ein wenig eingeschüchtert. Die Wahl der Bucks ist die große Überraschung des Abends.

Das nächste Einhorn?

Maker ließ nach dem Draft tief in seine Gefühlswelt blicken: "Es war eine lange Zeit. Ich habe so viel an mir gearbeitet und endlich hat es sich ausgezahlt. Ich habe keine Worte dafür."

In den Mock Drafts hatten die Experten Maker eher am Ende der ersten Runde über den Ladentisch gehen sehen, doch der 19-Jährige begeisterte die Bucks so sehr, dass sie schon früh zuschlugen. "Er hatte ein beeindruckendes Workout in New York", so Chefscout Billy McKinney: "Was uns überraschte, war, dass es anschließend keine Gerüchte über ihn gab. Andere Teams dachten wohl, dass einige Positionen weiter nach unten fällt."

Die Qualitäten Makers sind selten, gar einzigartig und könnten in der modernen NBA hervorragend zur Geltung kommen. 2,15 Meter groß, eine nicht enden wollende Spannweite und ein weicher Touch. Da werden Erinnerungen an Kristaps Porzingis wach, den Kevin Durant angesichts dieser seltenen Kombination als Einhorn bezeichnete.

Maker hat allerdings bessere Skills am Ball und ist noch deutlich athletischer als Porzingis. Die Höhe, die er mit seinen Sprüngen aus dem Stand und der Bewegung beim Draft Combine erreichte, ist die höchste, die jemals bei einem Spieler über 2,10 Meter gemessen wurde.

Aus dem Sudan in die weite Welt

Makers Reise begann 1997 im Sudan - heutzutage gehört das Dorf, in dem er geboren wurde, zum Süd-Sudan. Was sich nicht geändert hat, ist der Bürgerkrieg. Noch immer tobt er und fordert in einem der ärmsten Länder der Erde täglich Menschenleben. Der Onkel arrangierte die Flucht der Familie ins benachbarte Uganda. Der kleine Thon war da grade einmal sechs Jahre alt.

Ein Jahr später wurden die Makers in Australien als Flüchtlinge aufgenommen. In Perth angekommen, sprach der Junge kein Wort Englisch. Die Kultur war ihm völlig fremd. Dennoch akklimatisierte sich Thon, der Gleichaltrige deutlich überragte, rasch in der für ihn neuen Welt. Ein Cousin brachte ihn erstmals in Berührung mit einem Basketball - und später auch mit einem Mann namens Edward Smith. Er war Makers Ticket nach Amerika.

Einmal durchs Land bis nach Kanada

Inwieweit Smith Maker ausnutzen oder nur das Beste für ihn wollte, lässt sich nicht wirklich sagen. Auch Recherchen von ESPN laufen ins Leere und hinterlassen mehr Fragen als Antworten: "Ich konnte Smith nie durchschauen. Er ist ein Mysterium. Ich weiß nicht, ob er Gut oder Böse ist.", so die Meinung eines College-Coaches.

Als Teenager wechselte Maker beinahe jährlich die Schule. Erster Stopp war Houston, wo auch Makers Premieren-Highlight-Tape entstand und für den ersten kleinen Hype sorgte. Wie er seine Gegenspieler auf dem Parkett dominierte, war beeindruckend, ebenso die Fußarbeit und das Ballhandling. Auch weitere Mixtapes ließen nur Gutes erahnen, allerdings immer vor dem Hintergrund, dass allein von der Physis Makers niemand in seinem Alter mit ihm mithalten konnte.

Die Reise für Maker ging weiter nach Louisiana. Für die ansässige High School durfte er nicht spielen, erst nach einem Jahr waren die notwendigen Papiere da. Umso seltsamer dann die Wendung: Maker bestritt drei Spiele, danach verließ er auf Anraten von Smith das Team.

In den folgenden zwei Jahren entwickelt sich Maker in Virginia zum Top-Prospect des Landes, Mentor Smith bekam einen Job als Team Assistent. Das Tandem blieb zwei Jahre, doch als Maker sein Junior Year begann, transferierte ihn Ed Smith nach Kanada.

Prep-to-Pro

Im hohen Norden wurden Aufmerksamkeit und Hype kleiner. Keiner wusste so recht: Wie gut ist der Junge überhaupt? Beim Treffen der größten Talente, dem Nike Hoop Summit, erschien Maker wieder auf der Bühne. Aber: Seine Performance gegen Kentuckys Skal Labissiere, der bei den Wildcats in der folgenden Saison enttäuschen sollte und erst an Position 28 gedraftet wurde, war mit 2 Punkten und 10 Rebounds eher ernüchternd.

Schlagzeilen machte Maker erst wieder, als er sich für den Draft 2016 anmeldete und damit für eine Kontroverse sorgte. Die NBA-Regularien erlauben es seit dem CBA 2006 nicht mehr, dass ein Spieler direkt aus der High School in die Liga gedraftet wird.

Da Maker die Schule aber bereits im Juni 2015 abgeschlossen hatte und lediglich zu akademischen Zwecken weiter auf der Orangeville Prep in Ontario blieb, ließ die NBA seine Anmeldung zum Draft nach langer Prüfung zu. Anscheinend hatte er es geschafft, alle erforderlichen Kurse für seinen Abschluss noch 2015 zu belegen.

Mit seinem ungewöhnlichen Weg könnte Maker damit zu einem Vorbild werden, das System zu umgehen und einige Nachahmer finden, die nicht aufs College oder den beschwerlichen Weg nach China (Emmanuel Mudiay) oder Europa (Brandon Jennings) gehen wollen. Einen Haken hatte die Sache allerdings: Kaum jemand hatte Maker wirklich beobachten können. Ein Scout sagte gegenüber ESPN: "Wir wissen nicht wie gut er ist. Er ist der Junge, den niemand spielen gesehen hat, aber sein Ruf ist gut."

Der nächste Freak

Die Bucks haben mit dieser Problematik schon Erfahrungen gemacht. Auch Giannis Antetokounmpo flog bei vielen Scouts unter dem Radar oder war den meisten Teams mit zu vielen Fragezeichen behaftet, bevor er direkt aus der zweiten griechischen Liga in die Association geholt wurde. Seine Entwicklung ist bekannt. Vielleicht auch deshalb ließ sich die Franchise aus dem hohen Norden nicht beirren und wählte Maker an zehnter Stelle aus.

Der kleine Markt im beschaulichen Wisconsin kann dabei von Vorteil sein. Dort sind die Lichter nicht so grell wie in den Metropolen New York, Chicago oder Los Angeles. In der Bierstadt kann sich Maker in Ruhe entwickeln und wird die Zeit bekommen, die er braucht, um sich seine Sporen im Haifischbecken NBA zu verdienen.

Für die Bucks ein kalkulierbares Risiko. Sie haben mit dem Greek Freak, Jabari Parker und Khris Middleton bereits mehrere solide Bausteine für die Zukunft. Entwickelt sich Maker wie erhofft, besitzen die als graue Mäuse abgestempelten Bucks einen starken und ambitionierten Kern.

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19 oder 24?

Dennoch schwebt ein großes Fragezeichen über Maker. Wie bereits bei einigen anderen Spielern mit afrikanischen Wurzeln bleibt Makers Alter ein Rätsel. Ist er wirklich erst 19 Jahre alt? Zuletzt tauchten Bilder im Netz auf, die zeigen, dass Maker bereits 2010 die High School in Perth abgeschlossen haben soll. Im extremsten Fall ist der angebliche Teenager also bereits 23 oder 24 Jahre alt.

Ein endgültiger Beweis ist das jedoch nicht, mit Photoshop lässt sich schließlich allerhand anstellen. Andere Beobachter sind überzeugt, dass Maker wirklich 19 Jahre ist. Angesprochen auf die Vorwürfe erklärter er: "Ich höre diese Gerüchte, aber sie belasten mich nicht. Aber es ist es nicht wahr, deswegen ist es ok für mich." Und wie sagte Fußball-Trainer Otto Pfister einst zu dieser Problematik? "Da hilft nur eins: Bein aufsägen, Jahresringe zählen."

Die Bucks werden wohl keine Säge auftreiben, nach ihrer Wahl ist es ohnehin nicht mehr entscheidend, wie alt Maker nun wirklich ist. Stattdessen ist der Plan, ihn in direkt zu integrieren und ihm Verantwortung zu übertragen, wie General Manager John Hammonds nach dem Draft bereits ankündigte: "Im schlechtesten Fall wird er als Rotationsspieler seine Karriere bei uns starten." Im schlechtesten Fall.

Eine äußerst spannende Entwicklung für einen Jungen, der einen der ungewöhnlichsten Wege der letzten Jahre genommen, eine halbe Weltreise zurückgelegt hat und den die meisten Scouts und Experten nicht haben spielen sehen. So oder so: Maker ist in der NBA angekommen und die Bucks sind das Team, dass es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Mysterium Maker zu entschlüsseln.

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