NBA

Das Kryptonit für den König?

Dwyane Wade geht in sich - und träumt von einer weiteren Finals-Teilnahme?
© getty

Gibt es im Osten ein Team, das LeBron James und seine Cleveland Cavaliers tatsächlich vom Thron stoßen kann? Die beste Chance hat womöglich sein Ex-Team vom South Beach. Die Miami Heat haben einen nahezu optimalen Mix beisammen, lediglich die Konstanz fehlt. Im Fokus steht Hassan Whiteside, der den Verlauf der Playoffs entscheidend beeinflussen könnte.

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Die Raptors? Naja. Sie haben jetzt zwar endlich mal eine Serie gewonnen, besonders souverän sah das allerdings nicht aus. Die Hawks? Naja. Wir haben letztes Jahr gesehen, wie das ausgeht. Warum sollte es in dieser Saison anders laufen?

Sind wir ehrlich: Natürlich ist der Osten näher zusammengerückt. Natürlich wird man auch den Teams aus Atlanta und Toronto nicht wirklich gerecht, indem man sie so abschmettert.

Aber wenn man in sich geht und sich Szenarien vorzustellen versucht, in denen LeBron James nicht zum sechsten Mal in Folge (!) die Eastern Conference gewinnt, landet man doch irgendwie immer wieder bei seinem Ex-Team. Man landet am South Beach. Und das trotz einer ebenfalls nicht gerade souveränen Erstrundenserie gegen Charlotte - und diverser anderer Umstände.

Trades, Kritik, Ausfälle

Man kann nämlich nicht behaupten, dass die Heat völlig ereignislos durch die Saison gekommen wären. Im Gegenteil. Erik Spoelstra musste immer wieder auf Ausfälle reagieren, allen voran auf den von Chris Bosh, der seit Anfang Februar kein Spiel mehr absolviert hat. Bis dahin war der Big Man, der eine Rückkehr während der Playoffs immer noch nicht ausschließt, nicht weniger als der wichtigste Spieler in Miami.

Auch sonst lief nicht alles harmonisch ab. Gerade Hassan Whiteside stand zu Beginn der Saison regelmäßig in der Kritik, nicht zuletzt durch seine eigenen Teammates - der werdende Free Agent, der auch bei den Mavericks gehandelt wird, spiele zu sehr für die eigenen Statistiken und nicht für das Team, hieß es. Zudem galt er als nicht kritikfähig und unprofessionell. Ob Goran Dragic und Dwyane Wade im Backcourt würden koexistieren können, wurde ebenfalls angezweifelt.

Spoelstra musste auch damit umgehen und nicht zuletzt während der Saison mehrfach neue Gesichter integrieren beziehungsweise alte verabschieden. Macht's gut, Mario Chalmers und Chris Andersen. Fühl' dich ganz wie zuhause, Joe Johnson!

Verstärkung aus der zweiten Runde

Die Saison hatte zweifellos ihre Aufs und Abs, doch pünktlich zu den Playoffs haben die Heat ihr Mojo, ihren Rhythmus scheinbar gefunden. Dank einiger alter Bekannter wie Spoelstra und Wade, der wieder eine größere Last schultert als in den letzten Jahren an LeBrons Seite, dank einiger gestandener Veteranen wie Johnson, Amar'e Stoudemire oder Luol Deng, aber auch dank einiger Youngster.

Spoelstra hat im Saisonverlauf eine Truppe zusammengezimmert, die völlig anders auftritt und aussieht, als man es vor der Saison hätte erwarten können. Dass Justise Winslow schon als Rookie viele Minuten spielen würde, war zwar absehbar, aber wer hätte den Aufstieg des Josh Richardson voraussehen können?

Im vergangenen Draft an 40 gepickt, musste der Swingman noch im Winter mehrfach in die D-League, doch seitdem hat sich seine Rolle beständig gesteigert. Im März und April stand Richardson auf einmal 30 Minuten pro Spiel auf dem Court und sahnte sogar eine "Rookie des Monats"-Auszeichnung ab. Er ist eine Verstärkung für Miami, die nahezu aus dem Nichts kam; Zweitrundenpicks kommen bekanntlich komplett ohne Garantien in die Liga.

Whiteside: Geläutert durch die Bankrolle?

Und dann ist da natürlich noch Whiteside. Der 26-Jährige, der vergangenes Jahr ähnlich aus dem Nichts kam wie Richardson, scheint sich die Kritik an ihm zu Herzen genommen zu haben. Nachdem er Ende Januar verletzt sechs Spiele aussetzen musste, kam er ohne zu murren auf einmal von der Bank und mauserte sich schlagartig zum produktivsten sechsten Mann der Liga.

Mit 3,7 Blocks pro Spiel führte Whiteside die Liga deutlich an, 11,8 Rebounds pro Spiel reichten für Platz 3 und 60,6 Prozent aus dem Feld für Platz 4 in der Liga - doch die nackten Zahlen waren ja ohnehin nie das Problem. Seit Whitesides Zwangspause ist er aber auch für den Teamerfolg ein integraler Bestandteil.

Mit einem Defensiv-Rating von 95 legte er den besten Wert der letzten fünf Jahre auf - seit dem All-Star Break war Miami pro 100 Ballbesitze um 6 Punkte besser, wenn der Center auf dem Court stand. Die Unkenrufe, die Heat seien ohne ihn eigentlich besser dran, hat er damit ad acta gelegt. Spoelstra lobte kürzlich: "Hassan versteht jetzt, dass gewinnbringende Plays in der Defensive nicht zwangsläufig im Boxscore auftauchen müssen."

Spiel 7 der Serie gegen Charlotte war ein gutes Beispiel für den neuen Impact Whitesides. Er verzeichnete 5 Blocks und dominierte Gegenüber Al Jefferson, der ihm zuvor regelmäßig große Probleme bereitet hatte, nach Strich und Faden. Sein Plus/Minus-Rating von +22 in 29 Minuten Spielzeit sprach Bände, zumal er auch einen großen Anteil daran hatte, dass der zuvor so starke Kemba Walker überhaupt nicht ins Spiel finden wollte. Wenn Whiteside sich nicht durch Fakes aus dem Gleichgewicht bringen lässt oder Fouls anhäuft, gibt es wohl keine furchterregendere Präsenz rund um den Korb.

"Werde nie einen Award gewinnen"

Dass er bei der Wahl zum Defensive Player of the Year "nur" Dritter wurde - eigentlich überraschend hoch -, stachelte Whiteside noch zusätzlich an: "Ich kenne das ja schon, dass ich immer übersehen werde. Das geht mein ganzes Leben schon so. Ich werde in der NBA wahrscheinlich nie einen Award gewinnen, dabei lege ich Zahlen auf, die ihr alle noch nie gesehen habt."

Die Aussagen zeugen nicht unbedingt von einem Vollprofi, der den Teamerfolg über individuelle Auszeichnungen stellt, aber Wade sah das nicht so eng: "Es ist gut, dass ihn diese Wahl enttäuscht. Genau so will man das sehen." Stoudemire hatte folgende Ansicht parat: "Das sollte ihn umso mehr motivieren, den Haupt-Award am Ende der Saison zu gewinnen."

Bis dahin ist es freilich noch ein weiter Weg, im Endeffekt steht Miami bisher auch bloß in den Conference Semifinals - gegen einen höheren Seed. So beeindruckend der Blowout in Spiel 7 auch war, so brenzlig war die Situation in den Spielen zuvor. Was sich über Whiteside sagen lässt, kann man problemlos auf sein Team übertragen: An einem guten Tag sieht Miami wie ein Contender, Whiteside wie ein Max-Player aus. An schlechten Tagen hat man dagegen auch mit deutlich weniger talentierten Teams wie Charlotte Probleme.

"Niemand will gegen uns antreten"

Bei aller gebührenden Vorsicht gibt es dennoch ausreichend Gründe für Optimismus am South Beach. Mit ihrer Mischung aus Abgezocktheit, Talent, Erfahrung und jugendlicher Energie sind die Heat zur richtigen Zeit in einer Form, die dem Rest der Eastern Conference Sorgen bereiten sollte.

"Wir gehen selbstbewusst in die Playoffs", hatte Dragic, der in Spiel 7 seine vielleicht beste Leistung im Heat-Trikot zeigte, schon vor den Playoffs gesagt. "Wir werden ein gefährliches Team sein, auch für Cleveland oder Toronto. Mit unserem A-Game können wir jeden Gegner schlagen. Niemand will gegen uns antreten."

Lerneffekt durch Game 7?

Wade, der sein Team in Spiel 6 noch selbst mit einer Vintage-Leistung retten musste, hofft zudem auf einen Lerneffekt bei seinen jüngeren Teammates. "Ich bin kein Prophet oder so etwas, aber ich wusste, dass wir dieses Spiel gewinnen würde", sagte The Flash nach Spiel 7.

"So ein siebtes Spiel zeigt, wer du bist. Wenn du eine Chance bekommst, musst du sie nutzen und darfst nicht aufgeben. Das haben wir die ganze Saison über gemacht. Immer wenn es danach aussah, als würde die Tür sich schließen, sind wir irgendwie trotzdem noch durchgekommen."

Fun Fact: Seitdem LeBron James zurück in Cleveland ist, haben die Cavs kein einziges Spiel in Miami gewinnen können. Ohne "ein Prophet oder so etwas" zu sein: Es wäre gut möglich, dass er das ziemlich bald erneut versuchen kann.

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