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Video-Game Dame

Damian Lillard ist in Portland zum Franchise Player aufgestiegen
© getty

Portland ist der eigenen Entwicklungskurve kilometerweit voraus - der Hauptgrund dafür heißt Damian Lillard. Der Point Guard hat nicht nur als Leader, sondern auch spielerisch einen großen Schritt nach vorne gemacht und erinnert nicht wenige an Stephen Curry. Ist der Vergleich berechtigt? Beyond the Boxscore klärt auf.

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Es kommt nur relativ selten vor, dass in NBA-Kreisen Konsens herrscht. Sei es das Potenzial eines Spielers, die Playoff-Chancen eines Teams - fast nie stimmen die Experten wirklich überein, fast immer sieht es doch noch irgendjemand anders. Nicht so im vergangenen Juli: Als sich LaMarcus Aldridge offiziell für die Spurs entschied, traute den Blazers, seinem alten Team, niemand mehr irgendwas zu.

Mit Aldridge, Wesley Matthews, Nicolas Batum und Robin Lopez hatten nun vier von fünf Startern der Vorsaison das Team verlassen. Da Portland gelinde gesagt nicht als Traumziel für Free Agents gilt, schien der Weg in die Lottery vorbestimmt. Gerade in einer Western Conference, die in den vorigen Jahren so unheimlich stark und vor allem tief besetzt war.

Nur einer dachte damals schon anders: Damian Lillard. "Ich habe schon zu Beginn des Training Camps gesagt, dass wir die Erwartungen der Leute übertreffen werden", sagt der Point Guard. "Ich hatte schon immer die Überzeugung, dass ich selbst mehr leisten, mehr Verantwortung übernehmen kann."

"Ich habe gesagt, dass wir die Playoffs erreichen können, und die Leute haben mich angesehen, als würde ich spinnen", sagt Lillard. Das denkt heute keiner mehr: Die Blazers sind vielleicht die größte positive Überraschung der Saison, belegen im Westen Platz 6 und dürften ihren Playoff-Platz in der Tat so gut wie sicher haben. Dank einem tollen Team-Gefüge - und einem Star, der den Schritt zum Franchise Player nahezu im Vorbeigehen gemeistert hat.

Nicht alles ist messbar

Coach Terry Stotts, General Manager Neil Olshey, Mitspieler wie MIP-Kandidat C.J. McCollum - sie alle sprechen über Lillards Leadership, als führe er eine Sekte. Er inspiriere seine jungen Kollegen, sei jederzeit mit Unterstützung, aber auch Kritik zur Stelle und gebe einen Ton vor, nach dem sich jeder richten kann. All dies ist von "außen" kaum zu beurteilen - doch Dames Wert für sein Team lässt sich auch in Zahlen problemlos ausdrücken.

8,3 Win Shares (geschätzte Anzahl von Siegen, die ein Spieler seinem Team "hinzufügt") werden ihm in dieser Saison bisher zugeschrieben, das reicht für Platz 14 ligaweit. Beim Offensive Box Plus/Minus, also seiner geschätzten offensiven Performance im Vergleich mit dem Ligadurchschnitt, belegt er mit 6,7 sogar den sechsten Platz. Die Statistik "Value Added" sieht ihn auf Platz 10 in der Liga, er ist also demnach im Vergleich zu einem "Durchschnittsspieler" auf seiner Position der zehntwertvollste Spieler für sein Team.

Dabei trägt fast niemand in der Liga so viel Verantwortung wie Lillard. Der 25-Jährige nutzt 31,4 Prozent der Blazers-Ballbesitze, wenn er auf dem Court steht - höhere Usage-Rates weisen nur DeMarcus Cousins, James Harden, Steph Curry und Dwyane Wade auf. Bei Lillard ist der Prozentsatz im Vergleich zur Vorsaison um fast 5 Prozent gestiegen, die Effizienz hat darunter jedoch beeindruckenderweise überhaupt nicht gelitten.

Komplettpaket in der Offensive

Seine Wurfquote von 42,9 Prozent sieht auf den ersten Blick eher durchwachsen aus, doch der große Anteil an Dreiern und Freiwürfen sorgt dafür, dass sich die True Shooting Percentage mit 56,7 Prozent dennoch fast auf Career-High-Niveau bewegt. Dame geht öfter an die Linie als je zuvor, spielt die meisten Assists seiner Karriere (6,9) und kann jederzeit für sich und andere Würfe kreieren.

Lillard hat in dieser Saison die drittmeisten Punkte aus Isolation Plays erzielt, ist dabei mit 1,06 Punkten pro Ballbesitz aber wesentlich effektiver als beispielsweise LeBron James (0,83) oder James Harden (0,93). Er gehört zu den besten Pick'n'Roll-Ballhandlern (0,95 Punkte pro Possession) und erzielt pro Spiel die fünftmeisten Punkte als Pull-Up-Shooter (8,4). Nach DeMar DeRozan erzielt er die meisten Punkte per Drive (7,8 pro Spiel).

Lillard gehört mittlerweile zu den komplettesten Offensiv-Spielern der Liga. Seine vielleicht beste, mit Sicherheit aber unterhaltsamste Qualität dabei: Er kann heiß laufen. Mehr als fast jeder Spieler jenseits der Bay Area kann Dame ein Spiel an sich reißen, wenn er "in the zone" ist - das mussten in dieser Saison schon etliche Teams erfahren, bereits 21 30-Punkte-Spiele hat er hingelegt (Franchise-Rekord). Unter seinen Opfern waren auch die Warriors.

"Curry light"?

"Er sah heute aus, als hieße er Stephen Curry", sagte Steve Kerr am 19. Februar über Lillard. Kein Wunder - seine nahezu unschlagbaren Dubs hatten gerade mit sage und schreibe 32 Punkten Unterschied gegen Portland verloren, ihre höchste Pleite der Saison. Hauptverantwortlich? "Video Game Dame" mit 51 Punkten (18/26 FG), darunter mit diversen Würfen von ganz weit draußen - eben wie Curry.

Was von Kerr als Kompliment gemeint war - Lillard befand sich gerade in einem 5-Spiele-Stretch mit 30+ Punkten, was zuvor noch nie einem Blazers-Spieler gelungen war -, kam beim Angesprochenen nicht so richtig gut an. "Ich versuche nicht, irgendwen zu imitieren. Ich will ich selbst sein und meinen Job so gut machen wie möglich, ohne dass jemand behauptet, ich würde jemanden nachmachen", sagte Lillard Wochen später.

Dennoch hat sich bei Experten wie Zach Lowe (ESPN) oder Adrian Wojnarowski (The Vertical) insbesondere seit dem All-Star Break eine Art Konsens durchgesetzt, dass Lillard eine Art "Light-Version" vom MVP darstellt beziehungsweise der Spieler ist, der Curry am nächsten kommt. Nachdem er fürs Spiel der Besten nicht berücksichtigt wurde (Kerr: "Ich habe ihn übrigens gewählt!"), hat Dame noch einmal richtig aufgedreht.

Seit der Pause legt er im Schnitt 30,4 Punkte bei stark verbesserten Quoten auf (True Shooting: 62,7 Prozent im Vergleich zu 54,7 Prozent davor), vor dem aktuellen Zwischentief gewann Portland 14 von 16 Spielen. Dennoch ist es übertrieben beziehungsweise verfrüht, ihn mit Curry zu vergleichen.

Defizite in der Defense

Und das liegt nicht an einem bestimmten, sondern an diversen Bereichen. Curry ist beispielsweise im Gegensatz zu Lillard mittlerweile in der Lage, defensiv nicht negativ aufzufallen. Er wird nie ein Lockdown-Defender sein, im Teamverbund weiß er jedoch stets, wo er zu stehen hat und begeht nur wenig Fehler. Zugegeben: Er spielt regelmäßig mit zwei oder drei All-Defensive-Team-Kandidaten neben sich, die Dubs weisen trotzdem ein deutlich besseres Defensiv-Rating auf, wenn er spielt (97,1 mit ihm, 108,6 ohne ihn). Portland ist dagegen ohne Lillard um knapp 6 Punkte besser in der Defense, seit dem All-Star Break beträgt die Differenz gar fast 15 Punkte.

Das soll nicht heißen, dass er sich nicht reinhängen würde: Lillard investiert heuer deutlich mehr Energie als in den vergangenen Saisons, in denen er von Matthews und Batum noch eher beschützt werden konnte. Er hat auch fraglos Fortschritte gemacht. Dennoch bringt ihn beispielsweise die Spekulation auf Steals immer mal wieder um eine gute Position und erlaubt seinen Gegenspielern dadurch beispielsweise eine Dreierquote von 38,1 Prozent, knapp 2 Prozentpunkte über ihrem Durchschnitt.

Lillard hat als Verteidiger noch einen weiten Weg zu gehen, auch als Rebounder ist Curry derzeit noch klar besser. Nun sind die Vergleiche natürlich in erster Linie aufgrund der Offensiv-Künste beider Point Guards entstanden - aber auch hier ist der Unterschied mehr als deutlich.

Unfairer Vergleich

Vorweg: Klar, auch Lillard ist unheimlich explosiv und hat in dieser Saison schon diverse Feuerwerke abgebrannt. Doch Steph ist konstant explosiv - in der Tat finden sich derzeit kaum mal Spiele, in denen er nicht mindestens zwei oder drei Mal für kollektives Runterklappen aller Kinnladen sorgt. In Sachen Effizienz ist es kein Vergleich: Curry kratzt mit 68 Prozent True Shooting am ewigen Rekord von Tyson Chandler (70,8), Lillard befindet sich mit 56,7 unter den Guards im Mittelfeld.

Ein paar Beispiele: Steph trifft 44 Prozent seiner Pull-Up-Dreier, Dame trifft 33,8. Aus der Distanz zwischen 7,62 und 8,84 Metern trifft Curry bei 7,2 Versuchen pro Spiel 45,6 Prozent, bei Lillard sind es 4,8 Versuche und 39,3 Prozent. Auch überragend - aber eben nicht auf dem außerirdischen Niveau des baldigen Back-to-Back-MVPs. In der Zone? 61,3 Prozent bei Steph, 49,4 für Dame...

Nein, wenn man sich die Shotcharts beider Spieler ansieht, sind sie nicht wirklich miteinander vergleichbar. Steph ist ein Spieler, mit dem sich Lillard natürlich messen muss, der aber andererseits auch derzeit einfach in anderen Sphären wandelt. Im Team-Verbund, aber eben auch individuell.

Respekt vom Überteam

Das muss aber nicht heißen, dass es ewig so bleiben muss. Sollte Lillard in Zukunft in der Lage sein, die seit dem All-Star Break gezeigten Leistungen zu konservieren und insbesondere an den Schwachstellen in der Defense zu arbeiten, könnte er die Lücke merklich verkleinern, selbst wenn er dabei nie die aktuellen Werte Currys erreicht (das hat schließlich vorher auch noch niemand in der Geschichte der Liga). Lillard ist 25 Jahre alt, dürfte seine Entwicklung also noch nicht abgeschlossen haben.

In jedem Fall sollte es wohl nicht mehr allzu oft vorkommen, dass über seinen Platz im All-Star Game ernsthaft diskutiert werden muss beziehungsweise dass er überhaupt keinen erhält. Wenn die derzeitigen Leistungen irgendeinen Prognose-Wert für die Zukunft haben, wird über "Dame D.O.L.L.A." eher in anderem Kontext diskutiert werden.

Den Respekt eines gewissen Teams aus seiner Heimatstadt Oakland hat er zumindest sicher. Curry bezeichnet Lillard als "unglaubliches Talent", Draymond Green sieht es ähnlich: "Die NBA lebt von individuellen Matchups. Ich denke, das Duell zwischen Steph und Damian gehört zu den besten - und kann sogar noch besser werden."

Die Statistiken in diesem Artikel stammen von nba.com/stats, ESPN und basketball-reference.com und sind auf dem Stand vom 15. März.

Damian Lillard im Steckbrief