NBA

Wer nicht mit der Zeit geht…

Von Ole Frerks
Valanciunas, DeRozan, Lowry - bilden sie noch lange den Kern in Toronto?
© getty

Die Toronto Raptors haben nach enttäuschenden Playoffs reichlich umgebaut und mehrere Leistungsträger ziehen lassen, um sich dem gängigen Trend in der NBA anzupassen. Die getätigten Verpflichtungen waren unter dem Strich alle sinnvoll - fertig ist General Manager Masai Ujiri aber wohl noch nicht.

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Als "inakzeptabel" hatte Masai Ujiri das Ausscheiden der Raptors in der ersten Runde bezeichnet. Nicht unbedingt die Tatsache, dass nach der ersten Runde Endstation war - vielmehr ging es um die Art und Weise, wie sich sein Team von den Wizards hatte dominieren lassen.

Insbesondere das vierte und letzte Spiel des Sweeps verkam mit einer 31-Punkte-Klatsche zur absoluten Farce für das ambitionierte Team aus Kanada. Wer Ujiris Karriere verfolgt hatte, zog daraus umgehend den folgenden Schluss: Niemand ist sicher. Das Team wird womöglich komplett umgekrempelt. "Jeder einzelne wird zur Rechenschaft gezogen und evaluiert werden", kündigte der auch umgehend selbst an.

Es galt sogar als recht unwahrscheinlich, dass Head Coach Dwane Casey seinen Job behalten würde. Heuer, gut drei Monate später, ist die große Ungewissheit verschwunden. Casey hat seinen Job zwar behalten, reichlich Moves gab es aber trotzdem. Ujiri hat versucht, seinem Team ein neues Gesicht zu verpassen.

Kein Angebot für Williams

Greivis Vasquez war in einem Draft-Day-Trade der erste Rotationsspieler der letzten Saison, der weggeschickt wurde - er war aber nicht der einzige. Die auslaufenden Verträge der Leistungsträger Lou Williams und Amir Johnson wurden ebenso wenig verlängert wie die von Tyler Hansbrough und Chuck Hayes.

Insbesondere Williams gab sich angesichts dieser Entscheidung durchaus irritiert. "Ich wollte sehr gerne in Toronto bleiben", verriet der amtierende Sixth Man of the Year wenig später. "Wir hatten Toronto sogar noch angerufen, als ich das Angebot von den Lakers bekam, um ihnen die Möglichkeit zu geben, noch zu kontern. Da haben sie nur gesagt, dass ich den ruhig annehmen soll."

Einige Raptors-Fans kritisierten den zuvor extrem beliebten Shooting Guard über die sozialen Medien harsch und stempelten ihn als Söldner ab. Seine Reaktion darauf bei Instagram: "Ich sehe schon, dass ich heute sehr viel Hass aus Kanada erhalte. Aber ihr seid wütend auf mich, weil ich einen Vertrag nicht unterschrieben habe, der mir NIE angeboten wurde."

Scorer wurden "entbehrlich"

Nicht jeder wollte es wahrhaben, gerade bei den Personalien Johnson und Williams. Aber Ujiri hatte sich nach reiflicher Überlegung für einen anderen Kurs entschieden. Er hatte das Gefühl, dass der bisherige Kern sein Maximum erreicht hatte, und schlug einen neuen Weg ein.

Aus der Schießbude des Vorjahrs (Defensiv-Rating von 107,7, das schlechteste aller Playoff-Teams) soll nun ein Team werden, das verteidigen kann und den Ansprüchen der heutigen NBA gerecht wird. Das machte gerade schwache Verteidiger wie Williams und Vasquez "entbehrlich", wie "Sweet Lou" es selbst ausdrückte.

Die im Sommer getätigten Verpflichtungen entsprechen diesem neuen Weg beinahe durch die Bank, angefangen durch den "großen Preis", den aus Atlanta geholten Junkyard Dog namens DeMarre Carroll. Er war von Anfang an die Top-Priorität der Raptors. Und das, obwohl ihn Ujiri als Nuggets-GM im Jahr 2012 noch entlassen hatte.

Großes Bemühen um Carroll

Damals war sein Standing jedoch ein anderes. Carroll ist enorm gereift und gehörte in der vergangenen Saison zu den besten Two-Way-Playern der NBA. Er verfügt über nahezu endlose Energie und kann bis zu vier Positionen effektiv verteidigen - eine ganz wichtige Eigenschaft in der heutigen NBA. Eine Eigenschaft, die ihm in den kommenden vier Jahren 58 Millionen Dollar einbringen wird - in seinen bisherigen sechs Saisons waren es laut Spotrac knapp 9.

Dem Forward, der mit den Hawks zuletzt ja immerhin die Conference Finals erreicht hatte, imponierte vor allem die Herangehensweise der Raptors, die direkt als erstes Team mit ihm Kontakt aufnahmen: "Sie kamen zu meinem Haus und haben sich nicht nur mir, sondern auch meiner Familie vorgestellt. Das war wichtig für mich, weil die Familie über allem steht."

Carroll ist der dem Namen nach größte, aber nicht einzige Neuzugang geblieben. Aus San Antonio kam der Kanadier Cory Joseph für stolze 30 Millionen, wesentlich günstiger waren Bismack Biyombo (2 Jahre, 5,75 Mio.) und No.20-Pick Delon Wright. Sie alle gelten als in erster Linie defensivorientiert.

Insbesondere Big Man Biyombo hat es Ujiri angetan, obwohl er über das offensive Arsenal eines Kleiderschranks verfügt - bei einem Conference Call verriet Biyombo, dass ihn Ujiri bereits anrief, als die Free Agency gerade drei Minuten alt war. Er sieht ihn offenbar als Schlüsselstück zur Transformation seines Teams.

Was wird aus Valanciunas?

Biyombo ist als Spieler gleichzeitig mehr oder weniger das genaue Gegenteil vom designierten Starting Center Jonas Valanciunas, dessen Skill-Paket vor allem in der Offensive greift und der schon vor dem Sommer kein allzu gutes Standing bei Casey hatte - regelmäßig wurde er in engen Spielen am Ende auf die Bank beordert, er spielte insgesamt sogar weniger als in seiner zweiten Saison.

Caseys Bewertung der Sommer-Transfers spricht ebenfalls nicht unbedingt für "JV": "Am Ende des Spiels geht der Trend dahin. Dreier werden zu Vierern, Vierer zu Fünfern. DeMarre gibt uns diese Flexibilität, weil er auf der Vier spielen kann, neben Patrick Patterson oder Luis Scola. Wir müssen an diesem Trend teilnehmen."

Für den besagten Small-Ball sind die Raptors nun in der Tat besser aufgestellt. Dafür wurden allerdings auch einige Opfer gebracht. Insbesondere Williams war am Ende von Spielen häufig die zuverlässigste Option, da er sich gegen nahezu jeden Gegenspieler einen Wurf erarbeiten konnte - wer wird ihn in dieser Hinsicht ersetzen? Joseph sicherlich nicht, und auch Carroll ist kein solcher Spielertyp.

Backcourt auf Bewährung

Im Endeffekt wird noch mehr Verantwortung als zuvor auf den Schultern des Backcourts landen. Kyle Lowry und DeMar DeRozan haben beide keine allzu starken Playoffs hinter sich (wie übrigens auch Williams). Insbesondere Lowry enttäuschte gegen Washington nach seiner ersten All-Star-Saison komplett (12,3 Punkte, 31,6 Prozent aus dem Feld).

Nicht wenige hatten daher spekuliert, dass auch ihre Tage in Toronto gezählt sein könnten. Vor allem Lowry scheint auf Bewährung in die neue Saison zu gehen - zumal Ujiri dafür bekannt ist, bei einem guten Angebot nicht lange zu fackeln. Wenn er davon überzeugt ist, mit dem aktuellen Kern nicht den Schritt zum Contender machen zu können, ist in dieser Hinsicht alles möglich.

Der Superstar fehlt

Bei aller Qualität, die Lowry, DeRozan und auch Valanciunas aufweisen, muss man zudem Folgendes eingestehen: Das Zeug zum echten Superstar hat wohl keiner von ihnen. Lowry galt als kurz davor, bekam in den Playoffs jedoch von John Wall die Grenzen mehr als aufgezeigt - nun ist er 29.

DeRozan (25) ist jünger und zweifellos ein guter Spieler, er ist mit seinem mäßigen Distanzwurf (Karriere: 27 Prozent Dreier) aber auch ein Anachronismus auf der Zwei und hat in der letzten Saison auch aufgrund von Verletzungen eher einen Schritt zurückgemacht. Und Valanciunas? Der ist wie bereits angesprochen ein spezieller Fall und hat sich das Vertrauen seines Trainers bisher nicht wirklich erarbeiten können.

Auf dem Papier ist Toronto im Sommer ein bisschen stärker geworden. Reicht das, um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden und der Elite im Osten gefährlich zu werden? Unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass Ujiri seinen Umbau noch nicht abgeschlossen hat. Auf Mittelmaß hatte der General Manager noch nie Lust.

Die Raptors im Überblick