NBA

Nur Jesus kennt die Antwort

Ray Allen gewann mit den Celtics und Heat insgesamt zwei Meisterschaften
© getty

Trotz seines Alters hat sich Ray Allen noch immer nicht entschieden, ob er seine Karriere beenden will. Obwohl er die komplette letzte Saison aussetzte, taucht sein Name ständig in Gerüchten auf - Angebote hat "Jesus" wohl immer noch zuhauf. Die Interessenten bauen auf seinen Ruf als Basketball-Maschine.

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Der Sommer der Spurs gilt allgemein als enorm erfolgreich. Zwar mussten die Texaner etwas Tiefe opfern, konnten sich dafür aber mit LaMarcus Aldridge den dicksten Fisch des Sommers angeln und die wichtigsten Mitglieder ihrer Band zusammenhalten. Und dennoch schlug Spurs-Experte Dan McCarney vor, dass San Antonio sich nun auch noch um Ray Allen bemühen sollte.

Ähnlich sieht es bei den Heat aus - auch sie gelten als einer der Gewinner der Offseason. Auch ihnen wurden Gespräche mit ihrem früheren Shooting Guard nachgesagt. Dass LeBron James ihn schon während der letzten Saison zu einem Wechsel nach Cleveland überreden wollte, ist gemeinhin bekannt.

Es mag merkwürdig anmuten, dass Allen so begehrt ist. Der nun 40-Jährige hat das komplette letzte Jahr ausgesetzt, nachdem er zwischenzeitlich immer mal wieder mit einer Rückkehr auf den Court kokettiert hatte. Eigentlich spricht heuer fast alles dafür, dass Jesus seine Karriere bald beenden wird.

Basketball-Autist und Workout-Fanatiker

Nur weiß es eben niemand sicher, solange er sich nicht selbst entschieden hat. Gerade die Heat und Spurs wissen hingegen, wozu er im Stande ist - immerhin entschied er ihre Finalserie vor zwei Jahren mit einem der berühmtesten Würfe der NBA-Historie.

Angesichts seiner legendären Fitness verwundert es auch nicht, dass ihm die Strapazen des Spiels auch heute noch zugetraut werden. Allen gilt als eine Art Basketball-Autist, der wohl auch seine beiden Meisterfeiern lieber frühzeitig verlassen hätte, um noch ein nächtliches Workout einzustreuen. Der Alkohol, Süßigkeiten oder Fast Food nur aus der Werbung kennt.

Zeit seiner Karriere kam Allen Stunden vor Tip-Off in die Halle, um Tausende Würfe zu nehmen. Immer von den gleichen Spots, immer in der gleichen Reihenfolge. So wie Sheldon Cooper aus "The Big Bang Theory" immer auf die gleiche Art an Türen klopft, so bereitete sich Allen auf nahezu jedes Spiel seiner Laufbahn vor.

Was aus seiner harten Arbeit resultierte, war eine unfassbare Fitness, die es ihm stets erlaubte, 30-40 Minuten lang um Blöcke zu sprinten und sich in Wurfposition zu bringen - ein Graus, diesen Dauerläufer zu verteidigen, auch im vergleichsweise hohen Alter. Und abgesehen davon brachten ihm die unzählbaren Stunden im Gym auch eine der schönsten Wurfbewegungen, die der Sport je gesehen hat.

Ein Moment für die Ewigkeit

Natürlich fand auch sein größter Moment in dieser Arbeit ihren Ursprung. Spiel 6, NBA Finals 2013, Miami mit 3 Punkten hinten: Als Chris Bosh sich nach Fehlwurf von LeBron James den Rebound sicherte, sprintete Allen instinktiv in die Ecke und nahm den Ball entgegen. Ohne einen Moment zu verschwenden, positionierte er seine Füße so, dass sie weder mit Seitenaus- noch mit Dreierlinie in Kontakt kamen - und stieg hoch.

Der Rest ist Geschichte, allerdings verdeutlicht die ganze Sequenz, was Allen zu einem so besonderen Spieler machte. Wie viele Spieler hätten die Geistesgegenwart, die er dort zeigte? Wie viele hätten die Cojones gehabt, sich von diesem Moment nicht beeindrucken zu lassen?

Und wie viele haben EXAKT DIESEN WURF über Jahre privat trainiert? "Ich habe diesen Wurf vermutlich mehrere Hunderttausend Male genommen", verriet Allen einst der Huffington Post.

Bill Simmons (früher Grantland) bezeichnete den Wurf angesichts der Situation und des Schwierigkeitsgrads als "greatest shot in playoff history", bei den allermeisten Leuten steht er wohl mindestens auf der Short List. Er war das ultimative Testament für Allens Klasse - aber bei weitem nicht das Einzige, wie er selbst klarstellte: "Ich bin mehr als dieser Wurf."

Die Suche nach der perfekten Rolle

Auch hier gibt es keinen Widerspruch. Mehrmals während seiner Laufbahn erfand er sich neu, stets war er ein wichtiger Bestandteil seiner Teams. Ob als Topscorer bei den Bucks, die ihn 1997 nach Milwaukee holten. Als Superstar bei den Sonics, wo er 2005/06 seine wohl beste Saison spielte (25,1 Punkte, 4,5 Rebounds, 3,7 Assists, 41,2 Prozent 3FG). Als Teil der Big Three in Boston oder als Crunchtime-Killer und Sixth Man in Miami.

Auch wenn Allen individuell stets ablieferte, war er in Sachen Teamerfolg nur selten zufrieden: In sieben seiner ersten elf Saisons verpasste sein Team die Playoffs, nur im Jahr 2001 reichte es mit Milwaukee für die Conference Finals. Er war nie der klassische Franchise Player a la Kobe Bryant, der zur Not auch Smush Parker und Chris Mihm in die Postseason führen konnte.

Seine ideale Rolle war die des lauernden Scharfschützen, der auch mal für ein paar Plays den Aufbau übernehmen konnte. Ein Spezialist, der nicht unbedingt die erste Option sein musste - der als zweite oder dritte Kraft allerdings ein absoluter Luxus war.

Basketballerische Glückseligkeit in Boston

Es hat etwas gedauert, aber 2007 fand er genau diese Rolle bei den Celtics. Die Anführer des Teams waren Paul Pierce und Kevin Garnett, Allen konnte sich einfach darauf konzentrieren, Ray Allen zu sein - der vielleicht beste Shooter, den die Liga bis dahin gesehen hatte. Eine perfekte Situation für Allen, die bereits im ersten Jahr des Trios tatsächlich mit der Meisterschaft endete.

Sein Scoring-Schnitt war dabei mit 17,4 Punkten tief wie lange nicht, er nahm allerdings auch fünf Würfe weniger als in der Vorsaison - ein Opfer, das er angesichts des Erfolgs gerne brachte. Seine Momente hatte er ohnehin trotzdem: Mit 7 Dreiern in Spiel 6 der Finals gegen die Lakers stellte er einen alten Rekord ein, mit einem Layup besiegelte er das unfassbare Comeback seines Teams in Spiel 4. Er war zur Stelle, wenn er gebraucht wurde.

Vier weitere Saisons absolvierte Allen noch in Boston, 2010 erreichten die Celtics ein zweites Mal die Finals, verloren diesmal aber gegen die Lakers. Highlights gab es in dieser Zeit dennoch en masse. Wie zum Beispiel 51 Punkte gegen die Bulls in 2009, 8 Dreier in einem Spiel in den 2010er Finals (NBA-Rekord) - oder der Dreier im Februar 2011, der ihn zum erfolgreichsten Dreierschützen der NBA-Geschichte machte (bis er in ein paar Jahren von Steph Curry überholt wird).

Blindes Verständnis - aber nur auf dem Court

Mit der Zeit entwickelten die Big Three sowie Rajon Rondo eine solch gute Chemie, dass man als wachsamer Beobachter etliche Spielzüge bereits voraussagen konnte. Etliche davon endeten mit einem Allen-Dreier, nachdem er seine Verfolger an irgendeinem Pick abgeschüttelt hatte. Das Wechselspiel aus ihm und dem ebenfalls starken Schützen Pierce ließ so manchen Gegner verzweifeln.

Während vor allem Garnett und Pierce aber auch abseits des Courts dicke Freunde wurden und noch heute ständig miteinander sprechen - es existiert eine berühmte Whatsapp-Gruppe mit ihnen, Rondo, Glen Davis und Doc Rivers -, blieb Allen eher auf Distanz. Er war stets ein Profi, der seine Arbeit verrichtete und danach vorzugsweise nach Hause ging - oder natürlich in die Trainingshalle.

Mit Rondo soll er sogar ein richtig schlechtes Verhältnis gehabt haben, den Ikonen-Status von KG oder Pierce erreichte er in Boston nie. Und so war es auch nicht wirklich verwunderlich, dass er sich 2012 trotz besserer Angebote gegen Boston entschied - selbst wenn etliche Celtics-Fans ihn deswegen allen Ernstes in Anlehnung an seinen Spitznamen als Judas bezeichneten.

Sixth Man in Miami

In seinen letzten beiden Jahren in Boston war Allen ständig mit Trade-Gerüchten konfrontiert, in seiner letzten Saison hatte er nach einer Verletzung sogar die Starter-Rolle an Avery Bradley verloren. Trotz aller Erfolge gab es also durchaus Gründe, sich ein anderes Team zu suchen. Pierce und Garnett nahmen es ihm freilich trotzdem übel.

Allen dürfte es letztlich egal gewesen sein. Er schloss sich den Champs aus Miami an, ließ sich von LeBron James füttern, wurde zum Sixth Man und blühte auch in dieser Rolle auf. Am Ende stand sein zweiter Titel - ach, und natürlich der vielleicht größte Wurf der Playoff-Geschichte. Es hätte schlechter kommen können.

Stiller Abschied?

Im Juni 2014 machte er sein bisher letztes Spiel. In den Finals gegen ein Spurs-Team, das Miami nicht den Hauch einer Chance ließ. Seitdem hält er sich zurück, bleibt aber selbstverständlich fit (der Mann spricht selbst davon, in der Hinsicht eine Zwangsstörung zu haben) - und wird immer dann genannt, wenn ein Contender noch einen weiteren Shooter gebrauchen könnte.

Bis zum April der Vorsaison baggerte Cleveland, also insbesondere LeBron, noch an seinem alten Weggefährten, bis dieser entschied, in "dieser Saison" nicht mehr zu spielen. So richtig entschlossen klingt das freilich nicht. Es ist allerdings nicht so, dass seine Karriere nicht so schon bemerkenswert genug wäre.

Das Erbe steht

Allen war Teil eines Rookie-Jahrgangs, der in Kobe, Allen Iverson und Steve Nash drei spätere MVPs hatte und in dem außer Bryant doch niemand mehr Erfolg hatte als er. Er war zwei Jahre später bereits Hauptdarsteller in Spike Lees "He Got Game", einem der Standardwerke aller Basketball-Fans.

Er definierte seine Rolle im Lauf seiner Karriere immer wieder neu, übernahm nach und nach den Titel des "besten Shooters aller Zeiten", bevor ein gewisser Point Guard im Dienste der Warriors zum MVP wurde, und nahm insgesamt zehn Mal am All-Star Game teil. Er sorgte für einen der unglaublichsten Momente der gesamten NBA-Geschichte.

Nur Ray Allen weiß, ob er dieser bewegten Laufbahn noch ein weiteres Kapitel hinzufügen möchte. Man kann in jedem Fall davon ausgehen, dass die Angebote noch eine Weile reinschneien werden. Dieses Privileg hat er sich verdient.

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