NBA

Der Meisterzug des Lügenbarons

"Ich habe gelogen." Steve Kerr gab seinen Trick nach Spiel 4 offen zu
© getty

Mit dem Wechsel von Center Andrew Bogut zu LeBron-Schreck Andre Iguodala hat Warriors-Coach Steve Kerr der Finalserie womöglich die entscheidende Wendung verpasst - auch wenn er dafür ein bisschen flunkern musste. Dass Golden State plötzlich wieder auftrumpft, ist aber auch einem eigentlich unscheinbaren Rädchen im Getriebe der Dubs zu verdanken.

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"Als ich vor dem Spiel gefragt wurde, ob [Andrew] Bogut starten würde, äh, hab ich gelogen." Ein Schulterzucken, eine entschuldigende Geste mit der linken Hand, dazu das Grinsen eines 49-Jährigen mit ewigem Lausbubencharme.

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Ein amüsiert-ungläubiges Auflachen im Publikum. Steve Kerr? "Nein, wirklich. Ich habe gelogen." Er hätte es entweder schon morgens verraten können - und damit mehr oder weniger an die Tür von Cavaliers-Coach David Blatt klopfen können -, herumdrucksen und damit Twitter auf den Plan rufen, oder eben lügen. Also habe er gelogen. "Sorry". Ein schlechtes Gewissen sieht anders aus.

Bogut raus: alles richtig gemacht

An anderen Tagen hätte dieses kecke Geständnis von Kerr vielleicht eine Debatte anstoßen können: Zuviel Medienrummel während der NBA-Finals? Darf man so offensichtlich lügen und es dann auch zugeben? Und wenn ja: Was sind die Presserunden, Kerr hatte am Donnerstag vor dem Spiel derer gleich zwei, überhaupt noch wert?

Diese Diskussion wird bis nach den Finals warten müssen. Wenn sie denn überhaupt geführt wird. Denn nach dem 103:82-Blowout der Warriors in Cleveland muss man zweifelsfrei konstatieren: Kerr und sein Coaching Staff haben alles richtig gemacht, als sie Center Andrew Bogut mir nichts, dir nichts aus der Starting Five auf die Bank verbannten.

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Zugegeben, Bogut hatte seine Spielzeit schon in den ersten drei Partien sukzessive schwinden sehen. Irgendwie war Timofey Mozgov zu wuchtig, Tristan Thompson andererseits zu schnell und wendig. Und LeBron James hatte ja auch mit ihm mehr als genug gepunktet. Aber ein solch riskanter Umbau im Lineup? Beim Stand von 1-2 in den Finals? Da muss man schon bis 2011 zurückgehen, als Rick Carlisle J.J. Barea in die Starting Five beorderte und so die Dynamik gegen die Heat vielleicht entscheidend änderte.

Iguodala als Dosenöffner

Trotzdem: Kerr wagte es - und führte Medien und Gegner bis kurz vor Spielbeginn an der Nase herum. Mit Andre Iguodala holte er seinen designierten LeBron-Verteidiger in die Starting Five. "Man will seine besten Spieler immer so lange wie möglich auf dem Feld haben", erklärte Hall-of-Famer Bill Walton, Vater von Assistant Coach Luke Walton, auf einer Telefonkonferenz am Freitag.

Iggy machte seinen exzellenten Job gegen James diesmal für 39 Minuten, und legte offensiv auch noch 22 Punkte auf. Gleich mehrfach zündete er aus der eigenen Hälfte und entwischte dem Gegner , was zu krachenden Fast-Break-Dunks führte. "Über die vier Spiele war er unser bester Mann", lobte sein Coach. "Er ist unser erfahrenster Spieler und einer der schlauesten, die ich je gesehen habe." 101 Spiele von der Bank - und dann im ersten Einsatz von Beginn gleich mal ein Season High.

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Es lag aber nicht nur an Iguodalas individueller Performance. Mit ihm auf dem Court kam das Team diesmal schon im ersten Viertel auf Touren, legte 31 Punkte auf und zeigte endlich Geschwindigkeit, Entschlossenheit - und den typischen Warriors-Swagger. Ein ums andere Mal legte Curry aus dem Double-Team nach dem Pick-and-Roll auf Draymond Green ab - und der hatte ohne Bogut einerseits eine offene Zone vor sich, andererseits aber auch Dreierschützen in jeder Ecke. Alle fünf Starter nahmen mindestens drei Würfe von Downtown, und die zwölf Treffer von Downtown bedeuteten acht mehr als auf der Gegenseite.

LeBron: "Offensiv schrecklich"

Denn bei Cleveland fiel von draußen überhaupt nichts. Sicher auch die Folge eines insgesamt vollständig ausgelaugten Teams - die zwei freien Tage bis Sonntag kommen zur rechten Zeit - doch das flinke Lineup der Dubs hatte genügend Speed, um James einerseits immer mal wieder zu doppeln, andererseits den Shootern aber nach dem Kickout kaum Platz zu lassen. Die ersten zwei Dreier fielen, danach aber nur noch zwei von 25. Außerhalb der Zone betrug die Trefferquote dann kümmerliche 13,3 Prozent (6/45) - Negativrekord in diesem Jahr.

"Defensiv waren wir immer noch sehr gut", betonte James (20 Punkte). "Offensiv waren wir schrecklich. Manchmal ist deine Offensive eben nicht zu sehen, und bei 4/27 von draußen kann man keinen Sieg erwarten." Er war zum ersten Mal in dieser Serie sterblich, blieb im vierten Viertel ohne Punkte und musste mitansehen, wie Matthew Dellavedova (3/14, 3 TO), Iman Shumpert (2/9) und J.R. Smith (2/12) mit seinen Zuspielen nichts anfangen konnten. Iguodala sei der "X-Faktor" gewesen, so James. Und: "Wir können unsere Aufstellung nicht wirklich ändern."

Iggy Stop: Warriors-Leader Andre Iguodala

Kerr konnte - und wollte. "Wir haben drei Spiele gespielt, als würden wir im Sumpf stecken. Wir mussten das Tempo anziehen." Dafür wurde auch Backup-Big Man Festus Ezeli geopfert. Im Gegenzug bekamen David Lee (9 Punkte, 5 Rebounds) und Guard Shaun Livingston (7 Punkte, 8 Rebounds, 4 Assists, +25) mehr Spielzeit. Livingston entlastete Curry im Spielaufbau und machte dem neuen australischen Volkshelden Delly das Leben schwer.

SMS um drei Uhr nachts

Wie kamen die Coaches der Warriors überhaupt auf die Idee, ihren Starting Center abzusägen, gerade gegen eine imposante Frontline um Mozgov um Thompson? Die Finals 2011 waren es sicher nicht. Aber auch die Serie gegen Memphis, als man beim Stande von 1-2 einen ähnlichen Geistesblitz hinlegte und Andrew Bogut gegen Tony Allen beorderte, eignete sich nicht zur Inspiration.

Urheber des Plans war vielmehr Special Assistant Nick U'ren. Der 28-Jährige ist ein kleines Rädchen im Getriebe von Kerrs Coaching Staff. Er schneidet Videos zusammen, organisiert Playlists fürs Training, zählt Currys Dreier im Training. Aber er hat das Vertrauen seines Chefs, der ihn nicht umsonst von den Phoenix Suns nach Kalifornien mitnahm. "Er sitzt hinter der Bank, ist fast noch ein Kind", so Kerr. Aber: "Es spielt keine Rolle, wer die Idee hat. Und er hatte sie."

Im Zuge seines Video-Studiums hatte U'Ren am Mittwochabend auch die Finals von 2014 analysiert. Da hatte Gregg Popovich seinen eigentlichen Center Tiago Splitter für Allzweckwaffe Boris Diaw geopfert, und so aus einer engen Serie eine Blowout-Serie gemacht. Mit Iggy könne das doch ebenfalls funktionieren! Ein Anruf später war Luke Walton überzeugt, dessen SMS ging um drei Uhr nachts bei Steve Kerr ein. Am Morgen danach stand fest: Iguodala war in, Bogut out.

"So mutig war das nicht"

"Ich habe nur erklärt, dass sie Diaw statt Splitter starten ließen und man ja über Andre nachdenken könnte", so der heimliche Held. Kerr selbst wies die Verantwortung dann sogar mehr oder weniger von sich: "So mutig war das nicht, schließlich haben sie uns davor in den Hintern getreten." Und ungefährlich war die Entscheidung ebenfalls nicht: An den Brettern waren die Gäste wie erwartet unterlegen und ließen ganze 16 Offensivrebounds zu.

Vor allem Mozgov (28 Punkte bedeuteten persönlichen Bestwert, dazu 10 Rebounds) konnte seine Größenvorteile voll ausspielen und war nicht zu bremsen. Und nach zwei Offensiv-Rebounds von Thompson, einem Dunk des Russen und einem Dreier von Shumpert stand es schon nach 129 Sekunden 7:0, die Quicken Loans Arena bebte, Kerr musste die Auszeit nehmen. U'Rens Reaktion? "Als es 0:7 stand, dachte ich: Oh je!"

46 Spielminuten später jedoch stand der Blowout fest. Drei Spiele in Serie hat Golden State in dieser Saison noch nie verloren - auch diesmal nicht.

Für David Blatt geht es nach der bitteren Pleite "zurück ans Reißbrett", um den passenden Konter zu entwerfen. Sollte er angesichts seines dezimierten Kaders wirklich fündig werden - die Medien dürften davon erst in letzter Sekunde erfahren. Wie wusste schon Kerr auf der Pressekonferenz: Für Tugendhaftigkeit gibt es eben keine Trophäe.

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