NBA

Back in the Summer of '84

Von Martin Gödderz
Legendendichte im Draft 1984 mit Olajuwon, Jordan, Barkley und Stockton (v.l.)
© getty
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With the third pick the Chicago Bulls pick Michael Jordan from the University of North Carolina...

Während Bowie noch vom Publikum ausgebuht wird und die Kommentatoren zurückhaltend von einem "kalkulierbaren Risiko und einem Spieler mit Durchhaltevermögen" sprechen, herrscht bei Jordans Namensnennung nun pure Begeisterung. Das Publikum jubelt, die Kommentatoren in New York sprechen von einem "großartigen Spieler, einer sicheren Sache und dem legitimen Nachfolger von Julius Erving."

Jordan selbst erlebt seine Wahl gar nicht live. Er weilt mit Team USA im Trainingscamp in Bloomington und hat schon zuvor betont, dass er mit Sicherheit nicht das Training abbrechen würde, nur um dem Draft beizuwohnen. Warum auch?

Rod Thorn, General Manager der Bulls, äußert sich nach dem Pick jedenfalls zurückhaltend und meint nur: "Wir würden uns wünschen, Michael wäre größer als 2,10 Meter. Es war einfach kein vernünftiger Center mehr da. Jordan wird diese Franchise nicht alleine umkrempeln und nach vorne bringen, das verlange ich auch nicht."

Alles andere wäre wohl auch eine zu große Herausforderung für einen Shooting Guard, der in seiner Collegekarriere für die Tar Heels gerade einmal 17,7 Punkte im Schnitt erzielt hat. Und so geht es weiter...

With the fifth pick the Philadelphia 76ers select Charles Barkley from Auburn University...

An vierter Stelle entscheiden sich die Dallas Mavericks für eine vermeintlich sichere Sache und nehmen Power Forward Sam Perkins, Jordans kongenialen Teamkollege bei den Tar Heels. Beim Aufrufen des fünften Picks kommt aber wieder Unruhe in die Veranstaltung. Philly holt sich einen kleinen, untersetzten Power Forward mit dem Herzen eines Stieres: Charles Barkley. Dessen berühmtestes Zitat am College soll Folgendes gewesen sein: "Ich esse gar nicht so viel, dafür aber die ganze Zeit."

Ein übergewichtiger Power Forward, der nicht einmal zwei Meter groß ist? Barkley scheint ein noch riskanterer Zug zu sein als Bowie an zweiter Position. Immerhin sind die 76ers auch ohne den gar nicht einmal so großen Big Man gut aufgestellt.

Die wenigen Draftniks vor Ort überschlagen sich trotzdem vor Begeisterung. Barkley ist ein Spieler, genau nach ihren Vorstellungen: Clever, offensivstark, spektakulär und mit unbändigem Willen ausgestattet. Die Sixers müssen sich ohnehin mit ihrem Schicksal abfinden, nachdem Plan A (Olajuwon) wie auch Plan B (Jordan) bereits am Ende der Saison das Klo heruntergespült wurden.

Philadelphias General Manager Pat Williams meint nur: "Charles ist gerade mal 1,95 Meter groß, aber 130 Kilogramm schwer. Trotzdem ist er ein unfassbarer Rebounder und unglaublich stark im Fastbreak. So einen wie ihn hat es noch nie gegeben. Ich werde ihm allerdings sofort sagen, dass er sich ausgewogener ernähren muss. Ein Big Mac in jeder Hand ist jedenfalls nicht die richtige Art von ausgewogen."

With the sixteenth pick the Utah Jazz select John Stockton from Gonzaga University...

Es geht zügig voran. Der Wirbel um Jordan, Bowie und Co. ist verflogen. Mit Alvin Robertson, Otis Thorpe und Kevin Willis begrüßt Commissioner Stern drei weitere Spieler in der Liga, die später einmal All-Stars werden sollten, ehe Utah an Position 16 dran ist und einen gewissen John Stockton wählt.

Daraufhin herrscht einige Zeit Stille gefolgt von Gemurmel. Weder das Publikum vor Ort noch die Kommentatoren am Mikrofon haben irgendeine Information über diesen völlig überraschenden Pick. "Viel weiß man nicht über Stockton. Mit Green und Griffith haben die Jazz schon einen guten Backcourt. Anscheinend geht GM Frank Layden hier auf Risiko", erläutert Kommentator Al Albert im Anschluss an den Pick.

Stockton ist nicht einmal in New York anwesend und verfolgt die Übertragung stattdessen vor seinem eigenen Fernseher. Niemand kann sich ein Bild von ihm machen, vor Ort ist man sich sicher, dass Utah den eigenen Pick verschwendet hat.

Stockton selbst muss daheim ein wenig lachen. "Das Beste an diesem Draft war, den ahnungslosen Kommentatoren dabei zuzusehen, wie sie durch ihre Notizen gingen, um irgendetwas über mich zu finden", wird der Point Guard aus Spokane, der sich später zum All-Time Leader bei den Assists und Steals aufschwingen soll, einmal sagen. Kurz darauf ist die erste Runde vorbei und die Fernsehübertragung wird beendet.

With the 131st pick the New Jersey Nets select Oscar Schmidt from Juventus Caserta...

Kein Mensch interessiert sich mehr für den weiteren Draft und deshalb wird niemand es bemerkt haben, dass die New Jersey Nets in der sechsten Runde einen Spieler ziehen, der dreißig Jahre später einen festen Platz in der Basketball Hall of Fame haben wird, ohne je ein NBA-Spiel zu bestreiten.

Mit dem 131. Pick sichern sich die Nets die Rechte am Brasilianer Oscar Schmidt, der zum Zeitpunkt des Drafts bereits 26 Jahre alt ist und bei den anschließenden Olympischen Spielen in Los Angeles 24,1 Punkte im Schnitt auflegt. Schmidt darf bei den Nets vorspielen und erhält nach starken Leistungen ein Vertragsangebot, das er allerdings ausschlägt, damit er weiter für Brasiliens Nationalteam spielen kann.

Das klappt ganz gut. Bei Olympia 1988 in Seoul legt er durchschnittlich 42,3 Punkte auf. Zudem erzielt der größte brasilianische Spieler aller Zeiten später in seiner Vereinskarriere insgesamt 49.703 Punkte und wird damit zum absoluten Rekordhalter im professionellen Basketball.

Noch als Basketballer-Rentner ist Schmidt beleidigt, 1984 erst in der sechsten Runde beachtet worden zu sein. Das lässt er bei der wohl witzigsten Hall of Fame Antrittsrede aller Zeiten raus.

Lewis, Carlisle und Co

Kurz vor Schluss, in der zehnten und letzten Runde, wird dieser unvergessene Draft mit einem weiteren verrückten Pick abgerundet.

Die Bulls sichern sich an 208. Stelle auch noch die Rechte an Carl Lewis, einem der größten Leichtathleten aller Zeiten. Natürlich bestritt der mehrfache Olympiasieger aber nie ein NBA-Spiel.

Es blieben bei weitem nicht die einzigen nennenswerten Picks. An zehnter Stelle beispielsweise kam Leon Wood in die NBA, der noch immer einer der besten Referees der Liga ist, an Position 70 zogen die Boston Celtics einen gewissen Rick Carlisle, der bekanntlich als Trainer mitverantwortlich für den ersten und bislang einzigen Championship-Ring von Dirk Nowitzki war.

All das waren dann aber nur noch Randerscheinungen eines schönen Nachmittags im Juni 1984, an dem beinahe unbemerkt NBA-Geschichte geschrieben wurde.

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