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Das Ende einer Reise

Von Max Marbeiter
Tom Thibodeau (l.) übernahm die Chicago Bulls vor der Saison 2010/11
© getty

Nach dem enttäuschenden Playoff-Aus entließen die Chicago Bulls Tom Thibodeau vorzeitig. Die Differenzen mit dem Front Office waren am Ende schlicht unüberbrückbar. Trotz aller Verdienste gibt es jedoch auch sportliche Gründe für die Entscheidung.

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Jerry Reinsdorf sprach von einer speziellen Kultur. Von Kommunikation und Meinungsaustausch. Von Vertrauen und gegenseitigem Respekt. All das habe die Chicago Bulls ausgezeichnet, ihnen die großen Erfolge der Vergangenheit überhaupt erst ermöglicht. "Leider gab es zuletzt eine Abkehr von dieser Kultur", fuhr der Besitzer fort. Deshalb sei man zu dem Entschluss gelangt, dass Veränderungen dringend notwendig seien.

Bulls entlassen Tom Thibodeau

Reinsdorf wählt klare Worte. Scharfe Worte. Worte, die sogar noch an Schärfe gewinnen, betrachtet man sie im Gesamtkontext. Denn Reinsdorfs Aussagen sind nicht etwa Instrument, um die Situation zwischen Advocate- und United Center im Allgemeinen zu beschreiben, sie sind ganz bewusst an eine einzige Person gerichtet. An Coach - sorry, Ex-Coach - Tom Thibodeau. Es sind Aussagen, die der Eigner seinem ehemals obersten, sportlichen Angestellten mit auf den Weg gab, als die Bulls Thibs' Entlassung öffentlich machten.

Man sparte sich einfach das klassische, gegenseitige Bauchpinseln, das überschwängliche Lob an einen obsolet gewordenen Angestellten. Chicagos Verantwortliche kamen ohne Umwege auf den Punkt. Spätestens jetzt darf also guten Gewissens davon ausgegangen werden, dass man sich in den vergangenen Tagen, Wochen - ach - Monaten nicht einfach irgendwelchen Spekulationen hingab. Das Verhältnis zwischen Coach Thibodeau auf der einen und dem Front Office um Gar Forman, John Paxson und Besitzer Reinsdorf auf der anderen Seite war offensichtlich tatsächlich nicht das Beste.

Am Ende war es sogar so schlecht, dass über ein wahrscheinliches Ende der Zusammenarbeit diskutiert wurde, noch bevor die Bulls überhaupt an ihr erstes Playoffspiel gegen Milwaukee gedacht hatten.

Eine Ära ist zuende

Nun hat Ära Thibodeautatsächlich ihr Ende gefunden. Nach fünf Jahren. Nach fünf erfolgreichen Jahren, um ganz genau zu sein. Das wird angesichts der Enttäuschungen der diesjährigen Playoffs, der Streitigkeiten mit dem Front Office häufig vergessen. Immerhin hatten es die Bulls in den beiden Jahren vor Thibodeau zwar gerade noch in die Postseason geschafft, die Rolle des Mitfavoriten, eines Contenders hätte Chicago aber sicherlich niemand zugesprochen.

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Aus den Bulls war irgendein Team geworden. Ein sechsfacher Champion, klar, aber eben ein sechsfacher Champion, dessen Erfolge mit Michael Jordan bereits einige Jährchen zurücklagen. Also drafteten die Bulls 2008 zunächst Derrick Rose und holten 2010 schließlich Tom Thibodeau, der als Assistent von Doc Rivers zuvor bereits Vater der zu Big-Three-Zeiten gefürchteten Defense der Boston Celtics gewesen war.

Vielleicht barg die Entscheidung ein gewisses Risiko, immerhin hatte Thibs zuvor noch kein NBA-Team als Headcoach betreut. Tat sie es wirklich, gingen die Bulls dieses Risiko ein - und wurden belohnt. Denn Thibodeau brachte der Franchise exakt das, was sie seit Jordans zweitem Rücktritt 1999 so sehr vermisst hatte. Der neue Coach schuf eine neue Identität. Plötzlich standen die Bulls für harte Arbeit, für unbändigen Einsatz und Willen, vor allem aber für Defense.

Thibodeau bringt neue Identität

Bis zu dieser Saison stand Chicago unter Thibodeau in Sachen defensiver Effizienz stets unter den besten Teams der Association. Während Thibs' ersten beiden Jahren führte man die Liga sogar an. So gilt der Coach mittlerweile als Vorreiter des heute gemeinhin praktizierten Defensivkonzepts, er prägte die gesamte Liga.

Plötzlich waren die Bulls also nicht mehr nur irgendein Team. Sie waren wieder relevant. Die erste Regular Season unter Thibodeau schlossen sie an der Spitze der Eastern Conference ab, holten ihren ersten Division-Titel seit Michael Jordan und Thibs, der Rookie Coach, wurde zum Coach of the Year ernannt.

Thibodeau hatte aus den Bulls ein Team gemacht, das sich wieder Hoffnungen auf den Titel machen durfte - und damit sicherlich auch seinen Anteil am individuellen Erfolg des Derrick Rose. Der wurde im erst dritten Jahr seiner NBA-Karriere 2011 nämlich zum MVP gewählt und war damit der erste in einer Reihe von Spielern, die sicherlich auch dank Tom Thibodeau individuell glänzten, die individuelle Auszeichnungen abstaubten.

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Auf MVP folgt DPOY und MIP

Vergangene Saison folgte Defensive Player of the Year und MVP-Kandidat Joakim Noah, erst kürzlich wurde Jimmy Butler zum Most Improved Player ernannt. Thibs besitzt also durchaus ein Händchen, wenn es darum geht, seine Spieler besser zu machen. "Wir haben wirklich eine enge Verbundenheit", gab Rose dann auch nach dem enttäuschenden Playoff-Aus gegen die Cavaliers zum Besten. "Ich mochte ihn immer als Coach."

Irgendwie war es Chicagos Erfolgsformel. Thibodeau gab den (harten) Weg vor, die Spieler folgten. So gewannen die Bulls unter Thibs 64,7 Prozent ihrer Regular-Season-Spiele, was den Coach zum sechsterfolgreichsten der Geschichte macht. Mitunter ging es sogar so weit, dass er ein eigentlich unterlegenes Team, das in den vergangenen fünf Jahren in 213 von 394 Spielen auf Rose verzichten musste, zu einer durchaus respektablen Bilanz führte. Die Bulls galten als Overachiever, als Team das alles und noch mehr aus den gegebenen Möglichkeiten herausholt.

Seite 1: Neue Identität dank Thiobdeau

Seite 2: Die Probleme des Tom Thibodeau

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