NBA

Amnesie gegen die Anomalie

Von Max Marbeiter
Chris Paul (M.) kam in Spiel 3 auf lediglich sieben Punkte
© getty

Schlechter hätte Spiel 3 für die Los Angeles Clippers nicht laufen können. Nichts klappte, die San Antonio Spurs gewannen deutlich und führen in der Serie nun mit 2:1. Es war ein Ausrutscher. Allerdings einer, der die Clippers unter Druck setzte, den sie vergessen wollen und der in Spiel 4 (21.30 Uhr im LIVE-STREAM FOR FREE) nun wiedergutgemacht werden muss.

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Anomalien tauchen immer wieder auf. Mal drücken sie sich durch völlig unerwartete Wetterphänomene aus, bei Wasser wiederum durch den Fakt, dass es sich unter 4 Grad Celsius ausdehnt, seine Dichte verringert und damit leichter wird. Und beim Basketball? Beim Basketball leistet sich selbst das beste Team hin und wieder eine völlig unerwartete Auszeit. Plötzlich trifft es nur noch 34,1 Prozent aus dem Feld und 26,1 Prozent seiner Dreier. Und plötzlich sieht alles nach einem potentiellen Durchmarsch des in diesem einen Fall gnadenlos überlegenen Gegners aus.

Andererseits weichen Anomalien per Definition nun mal von der Norm ab. Deshalb gilt es, gerade im Sport, derartige Ereignisse richtig einzuordnen, sie aus der passenden Perspektive zu betrachten. Es gilt, ein 100:73 der Spurs in Spiel 3 der ersten Playoff-Runde gegen die Clippers nicht überzubewerten. Und sollte doch der eine oder andere versucht sein, die Serie vorzeitig für beendet zu erklären, seien ihm Gregg Popovich' Worte ans Herz gelegt.

"Es war eine dieser Nächte, die in der NBA immer wieder vorkommen", konstatierte Coach Pop nüchtern. "Wir haben eine großartige Nacht erwischt, hatten viel Energie, haben gut getroffen. Sie hatten beim Shooting wiederum große Probleme. Das ist eine schlechte Kombination. Dann verliert man. Wir waren auch schon in Situationen, in denen wir wahrscheinlich nicht mal den Ozean getroffen hätten und das andere Team sicher warf. So kommen deutliche Niederlagen heraus. Wir sind nicht so gut und sie sind nicht das, was wir heute gesehen haben. Wir hatten einfach eine gute Nacht. Das war es aber schon. Danach geht es wieder von vorne los."

Ein Muster?

Exakt. Neues Spiel, neues Glück. Immerhin verhalf dieses Muster den Spurs zur 2:1-Führung in einer Serie, die gemeinhin - und völlig zu Recht - als spannendste und engste der gesamten ersten Runde gilt. Immerhin dominierten die Clippers Spiel 1 nach Belieben. Viele sprachen schon wieder vom Ende der Spurs, von L.A. als einem der ernsthaftesten Titelaspiranten der gesamten Association.

Nun tendieren Diskurse über sportliche Großveranstaltungen grundsätzlich zur Abkehr von Differenzierung, zum Duell Schwarz gegen Weiß, zumindest für Anhänger der "Clippers-sind-Contender"-These gab es während der ersten Partie jedoch immerhin Anhaltspunkte. Da war diese Athletik, mit der die Clippers dominierten, die San Antonio zu schaffen machte.

Da war DeAndre Jordan, der den eigenen Ring derart gut verteidigte, der derart effektiv aushalf, dass der Champ reihenweise Würfe veränderte, um sie schlussendlich nicht gen zehnte Reihe katapultiert zu sehen. Da war auch die Teamdefense der Clippers, die weder Kawhi Leonard noch Tony Parker, Tim Duncan oder Manu Ginobili ernsthaft zur Entfaltung kommen ließ.

Und da waren die Herren Chris Paul und Blake Griffin. Bill Simmons von Grantland sprach nach der Auftaktpartie vom vielleicht besten Spiel, das Point Guard und Power Forward jemals gemeinsam absolviert hätten. 58 Punkte hatten die beiden gemeinsam aufgelegt, Griffin 12 Rebounds draufgepackt und Paul ganz starke 60 Prozent seiner Würfe getroffen.

"Müssen Entschlossenheit zeigen"

Die Clippers hatten dominiert, San Antonio war deutlich unterlegen, legte schwache Quoten auf (36,6 Prozent FG, 30,3 Prozent 3FG). Es kommt einem bekannt vor. Doch die Spurs schlugen zurück, gewannen Spiel zwei nach Verlängerung. Plötzlich überragte Tim Duncan (28 Punkte, 11 Rebounds), plötzlich fand Kawhi Leonard seinen offensiven Rhyhtmus (23 Punkte, 56,3 Prozent FG, 66,7 Prozent 3FG). Plötzlich wirkten die Spurs wie das bessere Team.

Es folgte Spiel drei und mit ihm besagte Dramaturgie. Und nun? Nun gilt es erst einmal festzuhalten, dass die Vergangenheit im Sport in etwa so viel auszusagen hat wie ein eventuelles Versprechen von Kobe Bean Bryant, sich ab sofort ausschließlich auf den Wurf seiner Teamkollegen konzentrieren zu wollen.

Vielmehr gilt Pops Credo: Alles von vorne. "Wir haben sie in Spiel 1 geschlagen, sie uns in Spiel 2", sagt deshalb auch Chris Paul. "Sie kamen raus und haben hier mit uns das gemacht, was wir mit ihnen in Spiel 1 gemacht haben. Jetzt müssen wir ein wenig Entschlossenheit zeigen."

Blake Griffin sprach davon, dass man nun einfach "besser sein" müsse. Gut, das liegt auf der Hand. Tatsächlich sollte aber niemand erwarten, dass die die Clippers abermals derart schwach auftreten werden wie in Spiel drei. Erwarten wird Doc Rivers wiederum, dass sich die Herren J.J. Redick und Jamal Crawford gewaltig steigern. 18 Würfe nahmen die beiden Scorer in Spiel 3, getroffen haben sie nur 5, kamen gemeinsam auf 14 Punkte.

Die Bankproblematik

Dabei ist gerade Crawfords Unterstützung essenziell. Immerhin ist der Sixth Man of the Year der vergangenen Saison einer der wenigen, eigentlich der einzige Clipper, der von der Bank offensive Gefahr ausstrahlt. In Spiel 1 steuerte Crawford beispielsweise 17 Punkte bei, der übrige Benchmob furchteinflößende 5. In Spiel 2 stand das Verhältnis bei 11 zu 6.

Die Bank. Wahrscheinlich ist sie die größte Schwäche der Los Angeles Clippers anno 2015. Und vielleicht das große Hindernis auf dem Weg in Runde zwei oder gar zum Titel. Die Starter müssen einfach zu viel schultern, bekommen zu wenig Entlastung.

Derartige Probleme kennen die Spurs natürlich nur aus Erzählungen. Schließlich zählte San Antonios Bank in den vergangenen Jahren stets zu den produktivsten der Liga. Völlig sorgenfrei genießt jedoch auch der Champ die diesjährigen Playoffs nicht. So ist Tiago Splitter - einer der wenigen, der Blake Griffins Leben auf dem Court dauerhaft erschweren kann - nach seiner Wadenverletzung noch weit entfernt von hundert Prozent. Im Grunde ist nicht einmal bekannt, wie fit der Brasilianer wirklich ist.

Fragezeichen hinter Parker

Ähnlich verhält es sich im Fall von Tony Parker. Eine Achillessehnenverletzung macht dem Playmaker bislang sichtlich zu schaffen. Spiel 2 musste Parker im Schlussviertel sogar vorläufig beenden, am Freitag stand er immerhin gut 26 Minuten auf dem Parkett. Spielt der Franzose, wirkt er jedoch gehemmt, legt bislang lediglich 5,7 Punkte sowie 3 Assists auf, trifft überschaubare 25 Prozent seiner Würfe.

Hoffnung besteht dennoch. Parker gab an, er habe sich in Spiel 3 bereits besser bewegen können und hofft, dass sich die Anspannung im Fuß bis zum Tipoff weiter löst. Schaden würde ein fitter Parker sicher nicht. Darauf verlassen, dass Tim Duncan und Kawhi Leonard die Spiele gemeinsam oder im Wechsel entscheiden, kann sich schließlich niemand.

Griffin: "Müssen vergessen"

Weniger beeindruckend macht das die Leistungen der beiden allerdings nicht. Duncan geht seinem Job mit einer Ruhe, Gelassenheit und Effizienz nach, als käme er morgens ins Büro, erledige gewissenhaft und bestmöglich seine Arbeit und ginge am Ende des Tages müde, aber zufrieden wieder nach Hause.

Leonard wiederum hört einfach nicht auf, sich weiterzuentwickeln. Der Defensive Player of the Year übernimmt immer häufiger auch offensiv Verantwortung und ist mittlerweile vielleicht der beste Two-Way Player der gesamten Association.

Natürlich erleichtert Leonards Entwicklung die Aufgabe der Clippers nicht gerade. Verloren ist deshalb aber noch lange nichts. Immerhin ist Spiel 2 wesentlich näher an der Realität als die Anomalie aus Spiel 3 - findet auch Blake Griffin. "Dieses Spiel darf nicht diktieren, wie wir Spiel 4 angehen", erklärte der Power Forward nach der Pleite. "Wir müssen es vergessen und weitermachen. Solche Spiele passieren. Ob wir mit einem Punkt, zwei Punkten oder wie hoch auch immer verlieren, ist egal. Es bleibt eine Niederlage." Vergessen wollen die Clippers Spiel 3. Quasi Amnesie gegen die Anomalie.

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