NBA

Der Albtraum aller Superstars

Kawhi Leonard (r.) legt in dieser Saison durchschnittlich 16,3 Punkte pro Spiel auf
© getty

Lange dümpelte die Saison der San Antonio Spurs vor sich hin, auch wegen der extensiven Krankenakte ihres Finals-MVPs. Doch zur rechten Zeit ist Kawhi Leonard wieder fit und spielt besser denn je - in Kürze könnte er sogar einen weiteren Award einstreichen. Auch ein Repeat erscheint auf einmal nicht mehr unwahrscheinlich.

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Stephen Curry hatte mal wieder eine dieser Phasen. Sein Team brauchte Punkte, lag mit 23 hinten. Also drehte der Favorit auf den MVP-Award auf, wie schon so oft in dieser Saison. Zwei Minuten später lagen seine Warriors zwar immer noch zweistellig hinten, es waren aber nur noch 14 Punkte. Curry hatte in 120 Sekunden im Alleingang 13 Punkte aufgelegt.

Gregg Popovich hatte genug gesehen und nahm eine Auszeit. Die Zuteilung in der Defense wurde verändert. Von nun an war es Kawhi Leonards Aufgabe, Curry aus dem Spiel zu nehmen. Und Steph machte für den Rest des Viertels über keinen Punkt mehr. Mehr noch: Von den insgesamt 7 Steals, die Leonard in der Partie verbuchte, kamen 3 direkt gegen Curry, einen der drei besten Ballhandler der Welt.

Davon war einer besonders auffällig: Curry wollte sich auf der rechten Seite per Dribbling Platz verschaffen, Kawhi streckte einfach die Hand aus und spitzelte ihm den Ball aus der Hand. Mit einer Selbstverständlichkeit, die andere Leute bei der Auswahl von Äpfeln im Supermarkt an den Tag legen würden.

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Im Anschluss sprintete er los und dunkte den Ball auf der anderen Seite, womit die Führung wieder bei 20 Punkten lag. Das Spiel war entschieden, das Statement gesetzt: Die Spurs sind zurück. Und still und heimlich ist auch Kawhi wieder auf dem Level angekommen, der ihn vor knapp einem Jahr zum drittjüngsten Finals-MVP aller Zeiten machte. Er hat es sogar noch übertroffen.

Wieder mal abgeschrieben

Dabei hatte die Saison weder für Kawhi noch für sein Team besonders gut begonnen. Der 23-Jährige verpasste aufgrund einer mysteriösen Augen-Infektion sowie einem Bänderriss in der Hand einen Großteil der ersten Saisonwochen und setzte insgesamt 18 Spiele aus, in anderen hinderten ihn die Verletzungen merklich.

Die Saison, in der er seinen Status als künftiger Franchise Player der Spurs demonstrieren und den Schritt zum All-Star machen sollte, stand also unter keinem guten Stern. Die Spurs als Ganzes wirkten nach dem grandiosen Championship-Run nicht immer in der Lage, sich für jedes Spiel zu motivieren. Ausgerechnet Tim Duncan war der konstanteste Spieler des Teams.

Die Expertenwelt war sich nicht sicher, was sie aus der Inkonstanz der Spurs machen sollte. Während andere Teams im Westen, allen voran die Warriors, riesige Schritte nach vorne machten, schien San Antonio bestenfalls zu stagnieren. 'Einerseits haben wir gelernt, die Spurs nie abzuschreiben, ABER dieses Jahr...'

Same procedure...

Das war allerdings nur die Wahrnehmung. Im Schatten anderer Stories wie dem MVP-Rennen, den Verletzungen oder den stets interessanten Cavaliers hat sich San Antonio klammheimlich in Meister-Form gespielt. Von den letzten 20 Spielen gewannen sie 17. Wer sie schon abschreiben wollte, sieht sich heute eines Besseren belehrt. Schon wieder.

Das hat natürlich mehrere Gründe, wie zum Beispiel die ansteigende Form von Tony Parker oder die Jedi-Weisheiten von Meister Popovich. Im Zentrum steht jedoch die Explosion von Leonard, der endlich fit ist und seit Ende Februar sowohl defensiv als auch offensiv auf absolutem Weltklasse-Niveau operiert.

Im Angriff legt er eine Aggression an den Tag, die man zuvor nur äußerst selten zu sehen bekam. Seit dem 28. Februar hat er elfmal mindestens 20 Punkte aufgelegt - zuvor hatte er in 230 NBA-Spielen nur neun solche Partien abgeliefert. Das ist natürlich auch seinen Nebenleuten nicht entgangen.

Kawhi ist "viel selbstbewusster"

"Er spielt geduldiger", sagt etwa Manu Ginobili, "er weiß, dass er Würfe bekommen wird. Wir sind ja nicht dumm, wir werden immer versuchen, ihn einzusetzen. Wir brauchen sein Scoring. Das versteht er jetzt." Auch Pop ist aufgefallen, dass Kawhi im Angriff jetzt "viel selbstbewusster" spiele.

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Die Resultate sprechen dabei klar für sich. Hatte Kawhi vor dem All-Star Break nur 44,3 Prozent aus dem Feld getroffen, steht er nach der Pause bei 52,1 Prozent - obwohl er etwas mehr Würfe nimmt und deutlich mehr punktet. Der Effekt aufs Team ist offensichtlich: Im Februar machte Kawhi 13,5 Punkte pro Spiel, die Spurs gewannen sechs von elf Spielen. Im März? 19,3 Punkte, zwölf von 15.

Mit Leonard auf dem Court legt San Antonio ein Offensiv-Rating von 108,5 auf, was über die Saison gesehen der drittbeste Wert der Liga wäre. Und dabei ist sein Spiel im Angriff nicht einmal die größte Stärke des Mannes, der mittlerweile ehrfürchtig "The Claw" genannt wird.

Exzellent in Defense und Offense

Die Klaue. Der Name kommt nicht von ungefähr - Kawhi nennt zwei der größten Pranken der Liga sein eigen. Laut dem San Antonio Express sind seine Hände fast 25 Zentimeter lang. Kombiniert mit seiner Spannweite von 2,21 gibt ihm das ideale Voraussetzungen, um erstickende Defense zu spielen.

LeBron James musste das in den 2014er Finals erfahren. Curry war vor wenigen Tagen dran. In den Playoffs können sich die besten Flügelspieler allesamt darauf einstellen, von Kawhi verteidigt zu werden - egal ob James Harden, Russell Westbrook oder auch Monta Ellis. "Das ist etwas, für das wir im Hinblick auf die Playoffs besser planen müssen", erkannte Dubs-Coach Steve Kerr an.

Mit Kawhi auf dem Court erlaubt San Antonio nur 96,8 Punkte pro 100 Ballbesitzen, das wäre ein Bestwert. "Obwohl er offensiv jetzt mehr Verantwortung trägt, hat er seine Aufgaben in der Defense und bei den Rebounds nicht vergessen", lobt Popovich.

Ein Terror für Ballhandler

Mit 2,3 Steals pro Spiel führt er die Liga an, obwohl er keiner ist, der seine Position als Verteidiger aufs Spiel setzt. Dank seiner Instinkte und der Gorilla-artigen Arme muss er für Steals kein Risiko eingehen, wie es beispielsweise Westbrook gerne tut. Der Steal gegen Curry war das beste Beispiel dafür. Ab der Mittellinie lebt jeder Ballhandler in Angst vor Leonard.

Alles in allem weist Kawhi ein Gesamtpaket auf, das ihn in die Konversation um den "Defensive Player of the Year" gebracht hat, obwohl er bloß 59 Saisonspiele bestritten hat. Nach dem Spiel gegen Golden State, das Leonard sowohl defensiv als auch offensiv dominierte, nannte Kerr ihn "den besten Spieler" auf dem Feld. Draymond Green, der als Favorit auf den DPOY-Award gilt, ging noch weiter: "Kawhi Leonard ist der beste Verteidiger der Liga."

Man kann Green schwerlich widersprechen, wenn man Leonard in den letzten Monaten hat spielen sehen. Seine Kombination aus Länge, Schnelligkeit und Intelligenz ist kaum zu toppen. Wer sonst kann von sich behaupten, von CP3 bis LaMarcus Aldridge jeden Spielertyp effektiv verteidigen zu können?

Die gefährlichste Waffe

In Kombination mit dem ebenfalls defensivstarken Danny Green ist diese Defense die oft übersehene Superkraft der Spurs - und der Hauptgrund, weshalb auch in dieser Postseason wieder niemand gegen sie spielen möchte.

Die Anführer in San Antonio sind immer noch andere. Leonard ist abseits des Courts auch immer noch ein schüchterner Typ, dessen Stimme nicht einmal das Rauschen eines Kühlschranks übertönt. Sein Spiel jedoch spricht für sich, und das immer lauter.

Momentan deutet vieles darauf hin, dass die Krone im Westen nur über die Spurs und Golden State gehen kann. Man darf gespannt sein, ob Kerr bis dahin eine Lösung gegen die Klaue findet.

Kawhi Leonard im Steckbrief

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