NBA

Ein Meer aus Gliedmaßen

Michael Carter-Williams (M.) ist nur der neuste Bucks-Spieler mit Überlänge
© getty

Eigentlich lief bei den Milwaukee Bucks alles recht gut. Im Gegensatz zu den Erwartungen vieler steht das Team sicher in den Playoffs und hat zwei potenzielle Superstars im Kader. Von daher schien die Entscheidung, sich von Brandon Knight zu trennen, äußerst rätselhaft. Aber nur auf den ersten Blick. Jason Kidd weiß ganz genau, wo er hin will - selbst wenn es noch eine Weile dauert.

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Es ist noch keine zwei Wochen her. Die Trading Deadline 2015: Eine Abfolge von Deals, die die Landschaft der NBA nachhaltig veränderte - immerhin wechselten an diesem Tag mehr als 8 Prozent aller Spieler das Team. Mehr als je zuvor. Der Großteil davon wechselte auch noch innerhalb der letzten 15 Minuten vor dem Transferstopp.

Von daher war es kein Wunder, dass in den Minuten und Stunden danach noch frenetisch daran gearbeitet wurde, alle Spielerwechsel akkurat aufzuzeichnen. Keine leichte Aufgabe - selbst Adrian Wojnarowski von "Yahoo!Sports", der mehr Wechsel vermeldet hatte als jeder andere, kommentierte am Ende nur "Good lord." So chaotisch verlief das Ganze.

Nach und nach kristallisierte sich aber ein Bild heraus, was genau passiert war. Und mit der Gewissheit kamen die Fragen. Nach dem Sinn, der Absicht, dem höheren Ziel, das hinter einigen Trades steckte. Der vielleicht am meisten verwirrende Move kam dabei von den Bucks.

Last-Minute-Trade von Knight

Die hatten sich in letzter Minute nämlich dazu entschieden, Brandon Knight abzugeben. Den Mann, der die ziemlich mittelmäßige Bucks-Offense in der bisherigen Saison am Laufen gehalten hatte. Den besten Scorer (17,8 Punkte pro Spiel) und Vorbereiter (5,4) des Teams. Den Point Guard, den einige Experten sogar recht gerne beim All-Star Game hätten spielen sehen.

Als Gegenwert kamen mit Miles Plumlee und Tyler Ennis ein Rollenspieler und ein unbeschriebenes Blatt aus Phoenix - der eigentliche Ersatz war aber natürlich Michael Carter-Williams, der im Zuge des Drei-Team-Trades aus Philadelphia in die Bierstadt geschickt wurde. Und dadurch entstand die angesprochene Verwirrung.

Kein Grund für Veränderungen

Auf der Oberfläche hatten die Bucks nämlich eigentlich überhaupt keinen Grund, etwas zu verändern. Die junge Truppe hatte schließlich viele Leute mit ihrem Spiel überrascht und bereits zum All-Star Break doppelt so viele Spiele gewonnen wie in der kompletten Vorsaison, als Milwaukee die schlechteste Bilanz der Liga sein Eigen nannte.

Zudem sprach eigentlich nichts dagegen, dass sich dieser Trend fortsetzen würde. Mit Giannis Antetokounmpo und dem verletzten No.2-Pick Jabari Parker standen bereits zwei Spieler mit Star-Potenzial im Kader. John Henson galt als aufstrebender Big Man - gemeinsam mit Knight und Khris Middleton machte das gleich fünf Spieler zwischen 19 und 24, die zum festen Kern der Mannschaft gehörten.

Milwaukee hatte abgesehen von der Verwirrung um Larry Sanders eigentlich keine Sorgen, zumal auch Coach Jason Kidd nach einem kuriosen ersten Jahr in Brooklyn wie ein kommender Top-Trainer wirkte. Immerhin stellte Milwaukee nach Golden State das beste Defensiv-Rating der Liga, nachdem in der Vorsaison KEIN Team schlechter war. Dem alten Dogma "Never change a winning system" widersprach der Trade also absolut.

MCW: Turnover und Fehlwürfe

Zudem wurde mit Carter-Williams ein Spieler geholt, der gelinde gesagt polarisiert. Eine Triple-Double-Maschine und der amtierende Rookie des Jahres auf der einen Seite. Ein fürchterlicher - Wiederholung: fürchterlicher - Schütze, der den Ball häufiger verliert als fast jeder andere Aufbau auf der anderen Seite.

MCW hat seine Fürsprecher, aber selbst die hätten wohl nicht behauptet, dass er ein besserer Spieler als Knight ist - nicht bei Quoten von 38 Prozent aus dem Feld, 25 Prozent von der Dreierlinie und 64 Prozent von der Freiwurflinie. Und was das Entwicklungspotenzial angeht: Knight ist zwar schon zwei Jahre länger in der NBA, Carter-Williams ist jedoch ein paar Wochen älter. Warum also?

Magic: "Der neue Jason Kidd"

Der offensichtliche Grund: Geld. Knight ist wie gesagt schon länger in der Liga, nach der Saison wird er Restricted Free Agent. Anhand seiner starken Leistungen vor allem in diesem Jahr hätte ihm wohl ein ansehnlicher Vertrag gewinkt - den wollten ihm die Bucks aber nicht geben. Carter-Williams dagegen bezieht noch zwei weitere Saisons das geringere Rookie-Gehalt.

Das schnöde Geld ist aber nur ein Aspekt. Kidd hat schon länger ein Auge auf MCW geworfen und den Bucks eine Verpflichtung seit seiner Ankunft ans Herz gelegt, wie Dei Lynam von "CSN" nach dem Wechsel berichtete.

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Die beste Erklärung für die Faszination des Trainers mit seinem neuen Aufbau gab Lakers-Legende Magic Johnson ab, als der Trade publik wurde: "Die Milwaukee Bucks haben mit Michael Carter-Williams den neuen Jason Kidd verpflichtet."

Parallelen zum Trainer

Es ist freilich nicht fair, einen Zweitjahresprofi mit einem künftigen Hall-of-Famer wie Kidd zu vergleichen, der über Jahre der wohl beste Point Guard der Liga war. Allerdings gibt es doch einen ganzen Haufen Parallelen, wenn man MCWs erste Jahre mit denen seines Trainers vergleicht.

Da ist zum einen die Vielseitigkeit gepaart mit einer Pass-First-Mentalität, die beide auszeichnet (und die Knight nicht hatte). Das miese Shooting ebenso (Kidds zweite Saison: 38,1 Prozent FG, 33,6 Prozent 3FG, 69 Prozent FT). Und (in MCWs Fall) das Potenzial zur überragenden Individual-Defense.

Zu guter Letzt natürlich die überdurchschnittliche Größe für einen Point Guard - Kidd ist 1,93 m groß, sein neuer Schützling misst sogar 1,98 m. Dieses Attribut ist es auch, was Carter-Williams für die Bucks potenziell so wertvoll macht.

Ein Terror in der Defense

Im Dezember, lange vor dem Trade, veröffentlichte "Grantland"-Experte Zach Lowe einen Artikel, in dem er die so stark verbesserte Defense der Bucks analysierte. Er fand heraus, dass die Bucks bei nahezu jedem Post-Up einen Help-Defender schicken. Die extreme Länge der Flügelspieler erlaubt es ihnen, den Wurf trotzdem noch zu stören, wenn der Ball zu dem durch das Aushelfen frei gewordenen Spieler gepasst wurde.

Lowe hakte bei Kidd nach, der ihm bereitwillig Auskunft gab: "Wenn wir nicht so lang wären, würden wir wahrscheinlich nicht so spielen. Aber da wir diese Länge und Athletik haben, können wir es uns leisten. Wenn ein langer Pass gespielt wird, sind wir rechtzeitig wieder beim Mann." Carter-Williams passt perfekt in dieses Schema.

Das bestätigt auch Kidd: "Wir sind der Meinung, dass er mit seinem Talent, seiner Länge und Größe, seiner Fähigkeit, in Passwegen zu wildern und vor seinem Gegner zu bleiben, defensiv sehr wichtig für uns sein kann. Er kann uns zudem auch bei unseren Problemen beim Rebound helfen."

Lange Arme, lange Beine

Die Vision ist klar: Wenn Parker zurückkehrt, könnte Kidd in der nächsten Saison eine Starting Five aus MCW, Middleton, Jabari, Giannis und Henson auf den Court schicken - alle sind athletisch, zwischen 1,98 und 2,11 m groß und haben dazu auch noch richtig lange Arme. Man darf auch nicht ausschließen, dass der Greek Freak weiter wächst und irgendwann 2,40 m groß ist. Fun Fact: Außer Ennis und Jerryd Bayless ist jeder Spieler im Bucks-Kader mindestens 1,96 m groß!

Viel Spaß jedem, der versucht, gegen diese Truppe zu scoren. Die Bucks waren wie erwähnt schon ohne MCW extrem defensivstark, wenn er sich wie erhofft einfindet, könnte es richtig hässlich werden. Einfach ein Meer aus Gliedmaßen in Überlänge, die jedem gegnerischen Spieler die Sicht nehmen. Mismatches am eigenen Korb will Kidd so vollständig ausmerzen.

Es zählt nur Erfahrung

Hat Milwaukee sich mit dem Trade kurzfristig geschwächt? Gut möglich. Bei allem "Jason Kidd light"-Potenzial von MCW muss man festhalten, dass Knight offensiv - Stand jetzt - deutlich mehr drauf hat - zumal der Ball eigentlich immer zu ihm ging, wenn die Shotclock runter tickte und das Ball-Movement keinen guten Wurf ergab.

"Es wird auf jeden Fall eine Phase der Umgewöhnung geben", gibt Jared Dudley zu. "B-Knight war ein zentraler Punkt unserer Offense, jetzt muss es noch mehr über Ball-Movement gehen. Realistisch betrachtet, kann es ein paar Monate dauern, bis wir alle aufeinander eingestellt sind."

Die ehrliche Einschätzung des Veteranen könnte im Hinblick auf die baldigen Playoffs für Verwunderung sorgen - aber es geht hier eben um die Bucks und nicht um Cleveland, um ein Beispiel zu nennen. Auch mit Knight hätte Milwaukee keine Titelambitionen gehabt. Nicht in dieser Saison. Erfahrung sammeln, vielleicht einen Favoriten ärgern - darum geht es vorerst.

"Wollen nicht kurzsichtig sein"

Ein Zitat von General Manager John Hammond vom 10. Februar, also einige Tage vor der Deadline, erklärt die Situation des Teams eigentlich perfekt. "Wir wollen nicht kurzsichtig sein und denken, wir müssten jetzt "all-in" gehen, nur weil wir momentan gut dastehen. Falls wir uns um Spieler bemühen, dann nur um solche, die Teil unserer langfristigen Planung sein können."

Was zählt, ist die Zukunft. In Wisconsin soll in den nächsten Jahren ein Team heranwachsen, das legitime Titelchancen hat. Mit Parker als Scorer, Antetokounmpo als griechischem Taschenmesser, Henson als Rim-Protector. Und mit Carter-Williams als Ballverteiler im Stile seines Trainers.

Die Milwaukee Bucks im Überblick