NBA

Schwimmtraining im Haifischbecken

Anthony Davis bekommt es im Westen Tag für Tag mit harter Konkurrenz zu tun
© getty

Anthony Davis ist ein Superstar in der Mache und bereits mit 21 Jahren einer der besten Spieler der NBA. Dass er schon jetzt in die MVP-Diskussion geworfen wird, obwohl die New Orleans Pelicans nicht einmal ein Playoff-Team sind, spricht Bände. Sein Potenzial ist grenzenlos und beängstigend - allerdings nur für die Konkurrenz (So., ab 21.30 Uhr im LIVE-STREAM FOR FREE gegen die Toronto Raptors).

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Erwartungen sind in der heutigen Zeit eine komplizierte Sache. Durch die Blogosphäre, Social Media und 24/7-Berichterstattung breiten sich kontroverse Aussagen aus wie ein Buschfeuer, Hype kann lawinenartig Fahrt aufnehmen und Erwartungen kreieren, die von der Realität kaum zu erfüllen sind.

Das trifft auch auf den NBA-Draft zu. Bevor die Youngster ihr erstes Spiel als Profi absolvieren, wird ihr Potenzial mit dem von aktuellen Stars in Relation gesetzt. 2014 hieß es beispielsweise, Jabari Parker könne ein Scorer wie Carmelo Anthony werden, Dante Exum bewege sich wie ein junger Kobe Bryant und Joel Embiid erinnere an Hakeem Olajuwon.

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In den allermeisten Fällen können solche Erwartungen nicht erfüllt werden, in jedem Fall nicht umgehend. Das ist auch vollkommen logisch, wenn man Vergleiche zu Superstars und Legenden der Liga zieht. Trotzdem macht sich gerne schnell Enttäuschung breit.

Gelegentlich aber kann ein Spieler den Erwartungen mit der Zeit gerecht werden und es zum Star schaffen. Nahezu unmöglich ist es, die Erwartungen sogar zu übertreffen. Anthony Davis hat genau das geschafft.

Der Erste seiner Art

"Big Men wie Anthony Davis kommen ein- oder vielleicht zweimal pro Jahrzehnt um die Ecke. Ich glaube, nur drei NBA-Spieler würden momentan nicht für ihn getradet werden: LeBron James, Kevin Durant und Chris Paul", sagte "ESPN"-Experte Chad Ford am 28. Juni, dem Tag des 2012er Drafts.

Das waren ziemlich gewagte Aussagen, wenn man bedenkt, dass hier von einem 19-Jährigen die Rede war, der gerade mal eine (zugegebenermaßen überragende) College-Saison hinter sich hatte. Der defensiv dominieren konnte, der offensiv aber noch Feinschliff nötig hatte.

Heute, nicht einmal drei Jahre später, kann eine von Fords Aussagen bereits widerlegt werden. Big Men wie Davis kommen nicht ein- oder zweimal pro Jahrzehnt um die Ecke. Einen Big Man wie Anthony Davis hat die NBA in ihrer Geschichte überhaupt noch nicht gesehen.

Noah: "Er ist ein Freak"

The Brow nennt ein Talentpaket sein Eigen, das einzigartig ist. Da er vor einem Wachstumsschub in der Jugend als Guard auflief, sind Ballhandling und Wurf herausragend. Er hat die Athletik und Schnelligkeit eines jungen Kevin Garnett und ist defensiv mit überragenden Instinkten und einer Spannweite gesegnet, die ihn zum Albtraum für jeden penetrierenden Guard machen.

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Das alles kombiniert Davis mit einer Mentalität, die ihn beständig weiter arbeiten lässt. Das lobt auch die Konkurrenz: "Er ist ein Freak. Es gibt nichts, was er auf dem Court nicht tun kann. Er beeinflusst das Spiel auf so viele verschiedene Arten, die in den Statistiken gar nicht auftauchen. Er ist ein unglaubliches Talent", staunte Bulls-Center Joakim Noah kürzlich.

Tom Thibodeau ging sogar noch weiter: "Einen so großartigen Spieler kann man nicht individuell verteidigen. Offensiv lernt er wahnsinnig schnell und kann dir auf unglaublich viele Arten wehtun. Defensiv ist er eine Klasse für sich. Er kann Lücken stopfen, reagiert unglaublich schnell und versteht das Spiel perfekt. Neben dem ganzen Talent ist er auch ein guter Typ, der sich fürs Team aufopfert."

Zahlen wie bei NBA 2K

Thibs muss es wissen, schließlich konnte er sich im Sommer beim Team USA aus nächster Nähe von Davis' Talent und Arbeitseinstellung überzeugen, als der zum besten Spieler der jungen Mannschaft avancierte. Die Erfahrung bei der WM hat ihm wiederum einen Schub gegeben, den die gesamte NBA seit Beginn der neuen Saison bestaunen darf.

Seine Zahlen nach der ersten Saisonhälfte wären selbst auf der Konsole schwer zu replizieren. 24,2 Punkte (Platz 3 in der Liga). 10,4 Rebounds (10.). 2,92 Blocks (1.). 56,1 Prozent aus dem Feld (6.). Dazu noch 1,49 Steals pro Spiel. Und das sind nur die konventionellen Statistiken. Bei den Advanced Stats steht Davis sogar noch besser da.

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In den Kategorien Player Efficiency Rating, Value Added und Estimated Wins Added führt Davis die komplette Liga an. Ebenso bei der Player Impact Percentage. Nur James Harden hat mehr Win Shares.

Geht es nach den Formeln der Statistik-Gurus John Hollinger und Co., ist kein Spieler der Liga wertvoller für sein Team als der Mann mit der Monobraue. Sein derzeitiger PER von 31,39 ist darüber hinaus ein Wert, den über eine gesamte Saison nur Wilt Chamberlain, Michael Jordan und LeBron James jemals getoppt haben. Keine allzu schlechte Gesellschaft.

Eine Frage der Definition

Macht ihn das alles zum MVP-Kandidaten oder sogar -Favoriten, wie der frühere Spur und heutige "ESPN"-Analyst Bruce Bowen kürzlich meinte? Jein. Für beide Seiten lässt sich argumentieren; wenn man "valuable" wörtlich interpretiert, hätte Davis wohl die besten Karten.

Mit ihm im Lineup können die Pelicans gegen Top-Teams wie Memphis, Houston, San Antonio oder OKC gewinnen - als Davis am Freitag in Philadelphia wegen einer Zehenverletzung pausieren musste, wurde sein Team von den 76ers nach Strich und Faden dominiert. Es gibt wahrscheinlich keinen Spieler, der die Siegchancen seines Teams so unmittelbar beeinflusst wie Davis.

Andererseits ist die individuelle Performance eben nicht das einzige Kriterium, das in die MVP-Wahl hineinspielt. Ohne Teamerfolg geht es nicht. New Orleans ist Stand jetzt kein Playoff-Team und aufgrund der unfassbaren Tiefe der Western Conference wird sich das in dieser Saison auch nicht mehr ändern.

Es spricht für Davis, dass er trotz dieser Wahrheit überhaupt von so vielen Experten zu den Kandidaten gezählt wird. Dennoch ist es wohl unrealistisch, dass er sich am Ende wirklich gegen Konkurrenten wie Stephen Curry oder Harden durchsetzen könnte.

Auf und Ab der Pelicans

Nicht alles daran ist fair - würde New Orleans weiter im Osten liegen, könnte die Rechnung schon jetzt eine ganz andere sein. Für die Entwicklung von Davis ist es aber wohl sogar besser, dass er sich Tag für Tag im Haifischbecken der Western Conference behaupten muss.

Denn auch wenn Davis schon sehr weit ist, gibt es noch Aspekte, die er verbessern kann - er spielt gerade erst seine dritte Saison. Er kann noch ein effektiverer Post-Verteidiger werden. Er kann noch Muskelmasse draufpacken, damit er unterm Korb nicht mehr herumgeschubst wird. Er kann noch ein besseres Gespür dafür entwickeln, wann er offensiv die Kontrolle über eine Partie übernehmen muss.

Vieles davon wird organisch passieren. Mit dem Großteil seiner Teammates spielt er noch nicht lange zusammen, die Mannschaft hat sich noch nicht vollends gefunden. An einigen Tagen schimmert ein potenzieller, künftiger Contender durch. An anderen regiert das Chaos.

Die wichtigste Zahl

Das ist bei jungen Teams nicht unüblich und daher auch kein Grund zur Panik. Wahrscheinlich ist in New Orleans noch der eine oder andere Move nötig, um der West-Elite wirklich gefährlich zu werden. Bis dahin gilt es, den aufregendsten jungen Spieler der Liga dabei zu beobachten, wie er nach und nach die Grenzen seines unendlichen Potenzials auslotet.

Die Erwartungen sind gigantisch - in diesem Fall hat das aber wenig mit Hype zu tun, Davis hat sie sich durch seine Leistungen vielmehr selbst eingebrockt. Von ihm wird nicht weniger erwartet, als das Gesicht der NBA zu werden, mehrere MVP-Titel einzusacken und nebenher noch das Spiel zu revolutionieren. Gewagte Perspektiven, aber damit kennt er sich ja schon aus.

Es gibt eine Zahl in Verbindung mit Davis, die mehr Gewicht trägt als jede andere: 21. Der Mann ist erst seit zehn Monaten alt genug, um in den USA ein Bier zu bestellen. Wenn man bedenkt, wie rasant The Brow sich bisher entwickelt hat, ist das einfach nur beängstigend.

Anthony Davis im Steckbrief

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