NBA

Ein junger, athletischer Haufen

Von Adrian Fink
Dank Jason Kidd (r.) und Giannis Antetokounmpo blicken die Bucks positiv in die Zukunft
© getty

Nach einer katastrophalen letzten Saison hat sich bei den Milwaukee Bucks einiges geändert - nicht nur ist dem Besitzer mit dem neuen Trainer Jason Kidd ein Glücksgriff gelungen, sondern der gesamte Verein sprüht vor frischem Elan. Der neue Coach hat eine junge, athletische Mannschaft um Rookie Jabari Parker, Giannis Antetokounmpo und Brandon Knight geformt. Das Ergebnis ist ein überraschend erfolgreicher Saisonstart. Allerdings ereilte die Bucks bereits die erste Hiobsbotschaft.

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Die Bucks liegen zurück - 90:92. Auf der Uhr sind noch fünf Sekunden. Der Ball wandert in die Hände von Topscorer Brandon Knight, der dank eines Screens Mike Conley los wird, für einen kurzen Moment einen Dreier antäuscht, um dann doch zum Korb zu ziehen.

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Noch 2,5 Sekunden verbleiben. Der Korbleger sitzt und die Referees entscheiden auf ein Foul von Courtney Lee, der noch versucht hat, zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Die Menge tobt - einziges Manko: Mal wieder war das Harris Bradley Center nicht vollbesetzt. Im Schnitt sehen lediglich 14.727 Zuschauer die Heimspiele der Bucks, dabei böte die Arena Platz für fast 19.000. Knight interessieren derlei Zahlen in diesem Fall aber selbstverständlich wenig. Der Point Guard verwandelt seinen Freiwurf, Milwaukee gewinnt.

Doch genau dieses Gefühl, das Gefühl des Sieges war für die Zuschauer in Milwaukee in der letzten Saison noch ein absoluter Ausnahmezustand: In der gesamten Saison gewannen die Bucks nur 15 Spiele und waren damit das schlechteste Team der NBA. Jetzt sind es bereits 13. Damit liegen sie auf Platz sechs im Osten, stehen vor Miami, Brooklyn und den Knicks und stellen damit die vielleicht größte Überraschung der bisherigen Saison dar. Ganz offensichtlich hat sich also einiges geändert. Vor allem personell.

"Kidd hat ein Team aus ihnen gemacht"

Als Konsequenz aus der Katastrophensaison folgte sogar ein Wechsel auf höchster Ebene: Wes Edens und Marc Lasry übernahmen die Franchise für 550 Millionen Dollar und auch der Posten des Präsidenten wurde im Oktober mit Peter Feigin neu besetzt. "Wir haben hier eine unglaubliche Möglichkeit. Wir müssen die Marke nicht aufbauen, sondern sie neu beleben", erkannte Feigin gleich zu Beginn seiner Amtszeit viel Potenzial in der Franchise.

Doch damit nicht genug des personellen Umbruchs: Jason Kidd kam von den Nets und übernahm anstelle von Larry Drew den Posten als Head Coach - mit Erfolg. Denn dank seiner Profi-Vergangenheit strahlt Kidd eine natürliche Autorität aus. "Jeder vertraut ihm", berichtet Lasry: "Er hat aus ihnen ein Team geformt. Letztes Jahr hat einfach jeder für sich gespielt."

Speziell das hat sich geändert. Neuer Trainer, neue Sitten: Kidd lässt seine Spieler an jedem Spieltag einen Test über Taktik und NBA-Geschichte schreiben. Warum? Damit gerade die jungen Spieler über Taktik diskutieren und sich in diesem Bereich weiterentwickeln.

Nicht ohne Grund. Denn gerade taktisch verlangt Kidd seinen Spielern einiges ab. Der Coach nagelt keinen Spieler auf einer Position fest, sondern lässt den Spielern ausreichend individuelle Freiheit, um auf dem Court flexibel agieren zu können. Diese Freiheit bedeutet gleichzeitig jedoch auch Verantwortung, wenngleich Kidd das halbwegs Offensichtliche umsetzt. In seiner Starting-Five setzt er auf eine talentierte und athletische Mischung. Addiert man die Jahre in der NBA kommen die fünf Starter auf zwölf Jahre Erfahrung - zum Vergleich: Dirk Nowitzki hat 17.

Rookie of the Month

Doch dafür besitzen die Bucks auf der Trainerposition die Erfahrung von 19 Jahren als Spieler - und das junge Team profitiert. So ist Lasry davon überzeugt, dass die Spieler "langsam daran glauben wie gut sie sind" und Kidd bereits jetzt schon den Unterschied mache.

Besonders gut funktioniert die Zusammenarbeit zwischen dem Trainer und seinem nominellen Point Guard Brandon Knight, der überraschend stark in die Saison gestartet ist. Kein Wunder. Immerhin zählte Kidd einst selbst zu den besten Playmakern der NBA und weiß, worauf es für seinen Schützling ankommt. "Er hat so viel Wissen über das Spiel und kann oft sagen was passieren wird, bevor es passiert", schwärmt Knight, der unter Kidds Regie knapp 44 Prozent seiner Würfe trifft, 17,8 Punkte auflegt und gleichzeitig 6 Assists pro Spiel verteilt. Jeweils Bestwerte seiner Mannschaft.

Unterstützt wurde Knight auf dem Parkett bislang unter anderem von einem Rookie. Die Bucks pickten Jabari Parker vor der Saison an zweiter Stelle und bewiesen mit diesem Zug ein richtig glückliches Händchen. Erst kürzlich wurde der Small Forward, der Im Schnitt über zwölf Punkte auf dem Boxscore stehen hat, für seine Leistungen im ersten Saisonmonat mit der Auszeichnung zum Rookie of the Month belohnt. Das "Dime Magazine" beschreibt ihn als "Grant Hill mit der Fähigkeit zum Sprungwurf", der Rookie selbst sieht in Paul Pierce und Carmelo Anthony seine Vorbilder.

Go-to-guy? Fehlanzeige

Tatsächlich sammelt Parker von allen Frischlingen bislang am fleißigsten Punkte. Steigern wird er sich nun allerdings nicht mehr können. Im Spiel gegen die Suns riss sich Parker das Kreuzband und wird deshalb vermutlich für den Rest der Saison ausfallen.

Schock für Milwaukee! Kreuzbandriss bei Parker

Sicherlich war der ehemalige Dukie weder Niederlage noch Go-to-Guy der Bucks. Schmerzen wird der Verlust dennoch. Immerhin war Parker wichtiger Baustein des Gesamtkonstrukts der Bucks. Eines Gesamtkonstrukts, das eben ohne echten Leader auskommt beziehungsweise keinen besitzt, der das Team im Zweifel im Alleingang aus dem Schlamassel zieht. Das muss das Kollektiv erledigen.

Das macht das Team natürlich weniger ausrechenbar. Andererseits fehlt trotz eines starken Brandon Knight häufig die Individuelle Komponente, die im Zweifelsfall übernehmen kann, wenn sich Milwaukee gerade gegen eine Zone-Verteidigung mal wieder schwer tut. Das Problem: Milwaukee fehlt der Go-to-Guy. In der Offense sind fast alle Spieler gleichberechtigt und deshalb geriet das Halfcourt-Play in einigen Spielen ins Stocken. Gut herausgespielte Würfe werden so zur Mangelware, Einzelaktionen in Korbnähe dominieren.

Der Greek Freak als Hoffnungsträger

Allerdings besitzen die Bucks einen, der rein vom Potential her vielleicht einer werden könnte, der ein Team - zumindest zeitweise - tragen kann. Einen, der spektakulärsten Spieler der Liga. Den Greek Freak. In seiner zweiten NBA-Saison hat Giannis Antetokounmpo seinen Punkteschnitt nahezu verdoppelt (von 6,8 auf 12,2), greift sich dazu mehr Rebounds (6 gegenüber 4,4) und trifft annähernd die Hälfte seiner Würfe (49 Prozent FG). All das garniert der Grieche mit einer gehörigen Portion Athletik, die er immer besser einzusetzen weiß.

So kann der geneigte Beobachter beinahe Nacht für Nacht dabei zusehen, wie Antetokounmpo sein Spiel verbessert, wie er sich ständig steigert und zusehends zu einem richtig guten NBA-Spieler entwickelt. Mit gerade einmal 20 Jahren steht der Greek Freak allerdings auch noch am Anfang seiner Karriere, hat gerade erst begonnen, an seinem Potential zu kratzen. Irgendwann ist er vielleicht tatsächlich in der Lage, die Bucks zu führen, momentan allerdings - kaum verwunderlich - noch nicht.

Und so bleibt das Kollektiv die Stärke der Bucks. Jeder ist wichtig - auch die Reservisten, die beispielsweise gegen die Pistons 69 Punkte beisteuerten. "Wir wissen alle, dass der Coach zu gegebener Zeit einen von uns braucht und dann sind wir alle bereit", erzählte O.J. Mayo, der bislang ebenfalls immer wieder von der Bank kommt. Mit dieser Einstellung führten die Bucks die Liga in Sachen Bench-Points zwischenzeitlich sogar an.

Auch Feign zeigt sich vom Charakter der Mannschaft begeistert: "Wir haben ein Team, das sich auf dem Platz zerreißt und das sind die Parallelen zur Stadt Milwaukee. Genau das will Milwaukee von uns sehen." Kidd sieht es ähnlich: "Es werden immer mehr Fans", so der Coach. "Ich glaube, dass sie die Spielweise der Jungs honorieren. Wenn man über Milwaukee spricht, dann redet man auch über hart arbeitende Menschen und ihr Team spiegelt das wieder: Ein junges Team, das als solches agiert und sich gegenseitig vertraut."

Mitten im "cruel" Dezember

Das Ergebnis dieser Faktoren ist derzeit ein solider Playoff-Platz, wenngleich die Bucks eines der einfachsten Startprogramme der Liga hatten und bislang nur zwei Siege gegen Mannschaften mit positiver Bilanz (Memphis und Clippers) zu Buche stehen. Dennoch überrascht eine ausgeglichene Bilanz nach 26 Spielen.

Nun muss sich allerdings zeigen, wie gefestigt das Team mit seinem neuen Coach schon ist. Schließlich steht der "cruel" Dezember an. Cruel deshalb, weil die Bucks 10 ihrer 15 Partien auswärts im starken Westen bestreiten. Keine einfache Phase. Eine wichtige noch dazu. Das wissen auch die Spieler: "Wir müssen jede Nacht rausgehen und extrem hart spielen", gibt beispielsweise Larry Sanders die Richtung vor, "härter als jedes andere Team in der Liga.". Allerdings gingen direkt die ersten beiden Spiele gegen die Cavs und Mavs verloren, ehe Kidd gegen die Heat einen Sieg seiner Mannschaft sah.

Der Weg noch nicht zu Ende

Perfekt läuft es also nicht in Milwaukee. Muss, kann und soll es auch nicht. Ein junges Team mit neuem Coach besitzt eben noch viel Raum für Verbesserungen. So auch in der Defense, mit der sie auf Platz zehn stehen. Kidd hat die Abläufe umgestellt und da ist es klar, dass es noch nicht perfekt laufen kann. Der Coach will in Ballnähe immer Überzahl seiner Spieler sehen und lässt deshalb bei jedem Pick-and-Roll einen dritten Verteidiger frühzeitig in Position laufen, um den Gegner dazu zu zwingen, den Ball an der Dreierlinie hin und zu her passen.

Gegen schnelle und sichere Passspieler ist die Verteidigung natürlich verletzbar, aber Kidd baut darauf, dass seine großen Spieler mit ihrer Reichweite entweder schnell genug auf die andere Seite wechseln oder sogar zu Steals kommen. Manchmal gelingt es, manchmal nicht. Alles in allem haben die Bucks jedoch einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht.

Dank ihrer Spielweise und der damit erzielten Ergebnisse hauchen sie mittlerweile sogar dem Bradley Center neues Leben ein. Nach der enttäuschenden letzten Saison ist der Schnitt gelungen. Das Team ist ausgestattet mit jungen, begeisternden Spielen und durch neue Eigentümer abgesichert. Wenn sie diesen Elan über einen längeren Zeitraum aufrecht erhalten können, wird sich auch die Halle fast von alleine füllen.

Der Kader der Bucks im Überblick

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