NBA

Die Herausforderung heißt Alltag

Von Ole Frerks
Letztes Jahr MVP der Rising Stars Challenge, diesmal MVP bei den großen Jungs: Kyrie Irving
© getty

Nach einer enttäuschenden ersten Saisonhälfte wurde Kyrie Irvings Wahl in die Starting Five des Ostens harsch kritisiert. Beim 163:155-Sieg der Ost-All-Stars gegen den Westen in New Orleans zeigte der 21-Jährige jedoch, dass er vom Talent her ohne Zweifel ins Konzert der Großen gehört und stahl den etablierten Superstars der Liga in Halbzeit zwei die Show. Die Zweifel werden jedoch bleiben - bis er auch mit den Cleveland Cavaliers Erfolge feiert.

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"Das ist nur der Anfang für Kyrie Irving." "Es ist Kyrie Irvings Welt; bald leben wir alle darin." Diese beiden Überschriften sind ziemlich genau ein Jahr alt und wurden veröffentlicht, nachdem der damals 20-jährige Point Guard erst 32 Punkte bei der Rising Stars Challenge aufgelegt, dann den Dreiercontest gewonnen und zu allem Überfluss auch noch sein Debüt beim All-Star Game (samt 15 Punkten) gegeben hatte.

Alle Welt war sich einig: Dieser Junge ist etwas Besonderes, der vielleicht talentierteste Point Guard seiner Generation, ein Superstar in Warteschleife. Die Werbeindustrie verliebte sich ebenfalls sofort in den charismatischen Ex-Dukie und machte ihn zum Protagonisten der überaus beliebten "Uncle Drew"-Werbespots. Nach nicht einmal eineinhalb Jahren als Profi lag Planet NBA ihm zu Füßen.

Ein Jahr später sieht die Geschichte anders aus, obwohl sich die Auszeichnung als All-Star MVP im Prinzip nahtlos in seine vorigen Erfolge einreiht. Aber es gibt da eben auch noch eine Saison abseits der All-Star-Weekends - und die verläuft bei den Cavaliers auch in diesem Jahr wieder mehr als enttäuschend.

Stagnation statt Fortschritt

Zum All-Star-Break liegen die Cavs mit einer Bilanz von 20-33 auf Rang 11 im Osten. Die Franchise machte eher durch angebliche Tumulte im Locker Room, die Entlassung von General Manager Chris Grant sowie Gerüchte um verpestete Stimmung von sich Reden als durch sportliche Erfolge. Dabei wollte man in diesem Jahr eigentlich endlich mal wieder die Playoffs erreichen.

Individuell hat Irving in dieser Saison zudem sogar eher einen Schritt zurück gemacht. Traf er in seiner Rookie-Saison noch 47 Prozent aus dem Feld und 40 Prozent von der Dreierlinie, sind es heuer nur 43 und 37. Seine 21,5 Punkte und 6,2 Assists pro Spiel sind zwar mehr als respektabel, der erhoffte - und von vielen erwartete - Schritt nach vorne blieb jedoch aus.

Kyrie = überbewertet?

Von daher lesen sich im Jahr 2014 auch die Schlagzeilen zu seiner Person anders. Zach Buckley vom "Bleacher Report" bezeichnete ihn beispielsweise als den "am meisten überbewerteten Superstar der NBA", als bekannt wurde, dass er trotz der enttäuschenden ersten Saisonhälfte zum Starter in New Orleans gewählt wurde.

"Viel Show, wenig Substanz", das war in etwa der Tenor des Artikels. Zwar wählte nicht jeder solch drastische Worte; trotzdem waren sich viele Experten einig, dass nicht Irving, sondern eher Spieler wie Kyle Lowry oder Lance Stephenson die All-Star-Nominierung verdient gehabt hätten.

Harter Tobak für einen immer noch erst 21-Jährigen. Er ist aber bei weitem nicht der Erste in dieser Situation: "Jeder große Spieler macht so eine Phase irgendwann durch. Früher oder später wird jeder Mal kritisiert und persönlich angegangen. Er wird schon lernen, damit umzugehen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen", sagte etwa NBA-Legende Grant Hill.

Leichter Aufwärtstrend in Cleveland

Und Irving selbst? Der beteuerte stets, dass ihm die Erwartungen anderer egal seien und hielt sich ansonsten eher bedeckt. Er weiß ohnehin, dass die Kritik, ob fair oder nicht, erst dann verstummen wird, wenn er mit den Cavaliers mehr Spiele gewinnt.

Vor dem Break gab es immerhin mal vier Siege in Folge. Irving scheint überzeugt zu sein, dass die Wende damit geschafft ist: "Die erste Saisonhälfte hatte ihre Aufs und Abs. Aber jetzt haben wir das Momentum - zum ersten Mal in meiner Karriere haben wir vier Siege am Stück geholt - , das zeigt, dass wir jetzt mehr aneinander glauben und Freude am Spiel haben."

Freude am Spiel. Irving gab zu, dass sie ihm zu Anfang der Saison vorübergehend abhanden gekommen war. Mittlerweile hat er sie jedoch offensichtlich zurück - und das wurde beim All-Star Game deutlich wie selten in dieser Saison.

Gala in New Orleans

Irving verteilte den Ball meisterhaft (14 Assists), Irving traf von außen (3/6 3FG), Irving dominierte Halbzeit zwei nach Belieben (24 seiner 31 Punkte) und spielte mit Feuer. Irving zeigte sein Ballhandling, das in der kompletten Liga wohl nur von Chris Paul vergleichbar beherrscht wird, und ließ gestandene NBA-Stars per Crossover stehen wie Uncle Drew die Youngbloods auf dem Freiplatz.

Es war ihm anzusehen, wie viel Spaß er an der ganzen Veranstaltung hatte. "Es ging einfach darum, mit all diesen großartigen Athleten vor so einem Wahnsinnspublikum aufzulaufen", sagte Irving danach strahlend, als frisch gekürter MVP.

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Auch LeBron James, mit dem Irving auf dem Court herausragend harmonierte, zog den königlichen Hut: "Kyrie ist ein spezieller Spieler, so einfach ist das. Er kann schießen, ziehen, am Korb finishen und ist smart - er hat das ganze Paket." Frank Vogel stimmte ein: "Er ist einer der Besten der Welt, und das hat er heute bewiesen."

Auch wenn es nur ein All-Star Game mit wenig bis keiner Defense war: Es sagt schon etwas über den Status Irvings aus, dass der Ball in der Crunchtime in seinen Händen lag und dass er gemeinsam mit James und Paul George die meisten Minuten (33) der Eastern Conference absolvierte. Man hatte nie den Eindruck, er wäre im Spiel der besten Spieler fehl am Platze.

Mit der MVP-Trophäe nach Hause

Irving selbst betonte, dass es "das Wichtigste" sei, die MVP-Trophäe mit zurück nach Cleveland zu nehmen. Für die Cavaliers und für Irving ist jedoch eigentlich wichtiger, dass er die Form konserviert und vor allem die Spielfreude mitnimmt.

Dass er für die große Bühne lebt und neben James, George, Carmelo Anthony, Dwyane Wade und Konsorten glänzen kann, hat er bewiesen - aber schafft er es von nun an auch regelmäßig im Alltag, wenn die Mitspieler Waiters, Luol Deng, Tristan Thompson oder Anthony Bennett heißen?

Es ist die bisher größte Herausforderung für Irving und gleichzeitig jene, an der er sich messen lassen muss. "Ich bin nur ein 21-jähriges Kind, das irgendwie versucht zu lernen, ein Anführer zu sein. Es ist nicht einfach", gibt Irving zu.

Jason Lloyd vom "Akron Beacon Journal" fasste es kürzlich treffend zusammen: "Irgendwann sind Siege einfach wichtiger als All-Star Games, Dreiercontests oder auch Team USA. Wenn Irving wirklich einer der Besten der Liga sein will, muss er gewinnen."

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