NBA

Ein unmöglicher Härtefall

Von David Digili
Andrew Bynum (l.) steht bei den Cavs nach nicht einmal der Hälfte der Saison vor dem Aus
© getty

Andrew Bynum galt einst als größte NBA-Hoffnung auf der Center-Position. Nach der Suspendierung durch die Cleveland Cavaliers scheint nun klar: Eine große Rolle wird der 26-Jährige wohl bei keinem Team mehr spielen. Verletzungspech und eine fragwürdige Einstellung machten der Entwicklung einen Strich durch die Rechnung.

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Kyrie Irving ist es gewohnt, bei den Interviewsessions vor und nach den Spielen der Cleveland Cavaliers im Mittelpunkt zu stehen - als Go-to-Guy des Teams und einer der spektakulärsten Spieler der Liga kein Wunder. Doch am vergangenen Samstag konzentriert sich das geballte Interesse der Medien nicht auf den Franchise Player, sondern auf einen Akteur, der gar nicht dabei ist auf der Auswärtsreise nach Boston. "Teamintern ist das eine furchtbare Situation", erklärt Irving in die zahlreichen Mikrofone, die wild jedem entgegengereckt werden, der etwas zu sagen hat zur Suspendierung von Center Andrew Bynum.

Erst kurz zuvor hatte das Team den unerwarteten Schritt bekanntgegeben: "Andrew Bynum wurde wegen mannschaftsschädigenden Verhaltens auf unbestimmte Zeit suspendiert" heißt es kryptisch in der Erklärung von GM Chris Grant. "Wir müssen damit zurechtkommen", ergänzt Irving. Nun steht der 26-Jährige offenbar ganz vor dem Aus in Cleveland.

Denn fast unmittelbar nach der Meldung machen bereits Insider-Berichte die Runde, nach denen Bynum im Training lustlos und unmotiviert wildeste Würfe genommen und damit Coaches wie Mitspieler verärgert haben soll. "Das klingt jetzt unfreiwillig komisch, aber jeder weiß doch, was 'auf unbestimmte Zeit suspendiert' bedeutet, oder?", entgegnet Cavs-Coach Mike Brown etwas genervt auf die nun andauernden Fragen über den Verbleib des Problemfalls, der höchste Höhen erreichen sollte - und doch schnell tief gefallen ist.

"Der beste Center der NBA"

Dabei hätte man sich bessere Voraussetzungen für Erfolg eigentlich gar nicht vorstellen können. 2005 wechselt Bynum direkt von der High School in die große NBA-Welt zu den Los Angeles Lakers. Mit 17 Jahren und 244 Tagen als jüngster Spieler der Liga-Historie. Es war das letzte Jahr, in dem High Schooler direkt in die NBA wechseln durften. Der Rookie startet verhalten, mit Andeutungen seines Talents (16 Rebounds, sieben Blocks gegen Charlotte, 20 Zähler, 14 Rebounds, drei Blocks gegen Minnesota) und eines durchaus hitzigen Temperaments.

Im Jahr darauf kann Bynum tatsächlich alle 82 Saisonspiele absolvieren - es sollte bis heute das einzige Mal bleiben. Er profitiert von der Lakers-Schwäche auf der Fünf, auf der mit Chris Mihm und Kwame Brown keine echten Alternativen zur Verfügung stehen, die zudem meist verletzt sind. Bynum sammelt so wichtige Einsatzzeit, kann sich mit im Schnitt 7,8 Punkten, 5,9 Rebounds und 1,6 Blocks pro Spiel deutlich steigern.

In der Saison 2007/08 gelingt schließlich der Durchbruch. 13,1 Punkte, 10,1 Boards und 2,1 Blocks pro Spiel, dazu eine Trefferquote von 63,6 Prozent aus dem Feld - das klingt nach großer Klasse, gerade für einen damals erst 20-Jährigen. Bynum sollte eine mitreißendere, verbissenere Variante von Dwight Howard werden, der seit Jahren besonders defensiv als bester Center der Basketballwelt gilt, es aber bis heute an Variabilität in der Offensive und mehr noch, allzu oft am nötigen Ernst vermissen lässt.

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"Der beste Center der NBA ist Andrew Bynum" deklariert damals der meinungsfreudige Shaquille O'Neal schnell in einer Analyse über seine Nachfolger auf der Position in der Mitte. Ein kompletteres Gegenstück zu Howard schien gefunden - aber bis heute ist es beim Wunschdenken geblieben. Viele kleinere und größere Verletzungen haben über die Jahre der erhofft rasanten Entwicklung einen Strich durch die Rechnung gemacht. Im Schnitt verpasste Bynum bisher knapp 28 Partien pro Jahr - viel zu viel, um sich in der Elite festzusetzen.

Chronisches Verletzungspech

Bereits im Durchbruchsjahr verpasst er 47 Saisonspiele. Immer wieder sind es die Knie, die ihm zu schaffen machen. Arthroskopien, Meniskusoperationen - die Liste der schwerwiegenden Eingriffe ist lang. Ein spielerischer Fortschritt ist bei einer solch limitierten Anzahl an Einsätzen fast unmöglich.

Ansprechende Auftritte in der Regular Season sind auch in den Spielzeiten darauf von andauernden Ausfällen durchsetzt, 2009 und 2010 gewinnen die Lakers die Meisterschaft - Bynum quält sich beide Male durch die Postseason, ein Schatten seiner soliden Leistungen, mehr Mitläufer als wesentlicher Teil eines Traumtrios mit Kobe und Pau Gasol. In den Playoffs '09 sind es gerade einmal 17,4 Minuten Einsatzzeit im Schnitt, in den Finals gegen Orlando bestimmt sein Gegenüber Howard das Duell der Big Men.

Ein Jahr darauf zögert Bynum eine OP bis in die Sommerpause hinaus, reist stattdessen lieber nach Südafrika zur Fußball-WM - eine fatale Fehleinschätzung. Erst Ende Juli 2010 lässt er sich operieren. "Alles wird gut, es ist nicht so schlimm", erklärt er damals - und absolviert sein erstes Saisonspiel erst am 14. Dezember. Erst im allerletzten Moment vor Beginn des Trainingscamps erfahren die Lakers, dass Bynum noch längst nicht fit ist. Entsprechend wenig begeistert war Großmeister Phil Jackson, der damalige Lakers-Coach, von seinem Schützling: "Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass sich Andrew früher operieren lässt," sagte der Zen-Meister.

Bockig wie ein kleines Kind

Gerade der Antrieb des jungen Talents wird plötzlich immer wieder Mittelpunkt von Diskussionen. Der unbändige Wille, es allen zeigen zu wollen, der ihn zuerst zum Howard-Konkurrenten gemacht hat, er scheint zu fehlen. So gerät Bynum früh mit Lakers-Institution Kareem Abdul-Jabbar aneinander. "Er war sehr schnell mit sich zufrieden", erinnert sich die Legende, die in den 80ern fünf Meistertitel mit den Kaliforniern gewann und vielen als bester Center der Liga-Geschichte gilt. Bynum hatte abrupt die gemeinsamen Trainingseinheiten - als Unterricht gedacht - abgebrochen. "Andrew zeigte Einsatz, aber es schien mir so, als wäre er schnell von den Grundlagen, von den Fundamentals gelangweilt - aber diese sind ja nun mal der Schlüssel zum Erfolg. Als er alles gelernt hatte, was ihm wichtig war, wollte er meine Hilfe plötzlich nicht mehr."

Besonders während seines letzten Jahres in L.A. gibt es zudem immer wieder Differenzen mit dem neuen Head Coach Mike Brown, ironischerweise heute sein Übungsleiter in Cleveland. Als der ihn in wichtigen Spielphasen immer wieder aus dem Spiel nimmt, reagiert Bynum eingeschnappt und bockig wie ein kleines Kind, setzt sich ans Ende der Bank und schmollt. Die Teambesprechungen in den Auszeiten macht er nicht mit, erklärt: "Nein, wozu? Ich muss mich doch ausruhen", und bringt einen Satz, der keiner Übersetzung bedarf: "I'm getting my Zen on" - ein absolutes No-Go für die Teamchemie.

Kurioserweise liefert er 2011/12 zeitgleich ein echtes "Career-Year" ab und scheint mit 18,7 Punkten und 11,8 Rebounds plötzlich doch wieder auf dem Weg zu höheren Weihen zu sein. In den Playoffs legt Bynum dazu 16,7 Zähler 11,1 Assists sowie 3,1 Blocks auf, erzielt gegen Denver in Runde eins ein Triple Double (10 Zähler, 13 Boards, 10 Blocks). Nicht weniger kurios ist, dass in der darauffolgenden Sommerpause ein umfangreiches Tauschgeschäft ausgerechnet Howard, mittlerweile hoch dekoriert, aus Orlando zu den Lakers bringt.

Legendäres Freizeitfiasko

Bynum ist - trotz der starken Saison - mittlerweile endgültig als Risikofall verschrien, als zu verletzungsanfällig und damit zu unzuverlässig. So wundert es kaum, dass die Magic dankend auf ihn verzichten. Er muss im Zuge des Wechsels plötzlich nach Philadelphia - und kann für die 76ers wegen weiterer Probleme und komplizierter Eingriffe an beiden chronisch verletzten Knien keine einzige Partie absolvieren. Die komplette Spielzeit 2012/13 geht an ihm vorbei.

Dass der Center seine Blessuren beim Bowling im privaten Kreis während der Reha-Zeit noch verschlimmert, ist heute trauriger Tiefpunkt und Running Gag zugleich. Als das Malheur publik wird, ist Bynum auch bei den Fans unten durch. Einzig seine zwischenzeitliche Frisurwahl, irgendwo zwischen Wischmop und Bob Marley, erregt Aufsehen. Das Bild des Neuzugangs in feinem Zwirn als Zuschauer auf der Bank bestimmt die vergangene Spielzeit. Der Klub verlängert seinen Vertrag nicht, die Cavaliers erbarmen sich im Sommer daraufhin für einen vielleicht letzten Anlauf. Von den 24 Millionen US-Dollar Gehalt über zwei Jahre sind nur sechs Millionen garantiert.

"Er war nie mit vollem Herzen und der nötigen Leidenschaft dabei - höchstens auf der Bowling-Bahn" wird heute immer wieder gewitzelt, in Fan- wie in Fachkreisen. Auch der nun gescheiterte Neustart in Cleveland war von Anfang an nicht von allergrößtem Optimismus begleitet: "Meine Knie fühlen sich einfach nicht mehr so an wie früher", gab Bynum zu Protokoll, just nach den ersten, wenigen Minuten Einsatzzeit für die Cavs in der laufenden Saison. "Ich bin schon so weit, dass ich ans Karriereende denke. Die Motivation ist nicht mehr da."

Anschluss verloren

Zwar gab es im weiteren Saisonverlauf einige starke Momente: 20 Punkte, zehn Rebounds, fünf Blocks sind es beim 97:93 gegen Chicago Ende November, erneut 20 Zähler, 13 Boards und 2 Blocks gelingen wenige Tage später beim 89:108 gegen Atlanta. Allein, es bleiben Momentaufnahmen. 8,4 Punkte, 5,3 Rebounds und 1,1 Blocks in 20 Minuten pro Spiel, dazu 41,9 Prozent aus dem Feld - Bynum ist aktuell nur noch Mit- statt Vorspieler.

Dazu hat sich die Liga in den letzten Jahren verändert: DeMarcus Cousins, Anthony Davis, Andre Drummond, Nikola Vucevic, DeAndre Jordan, Roy Hibbert, Spencer Hawes - wurde auf der Fünf in Bynums Rookie-Jahr noch verzweifelt ein Hoffnungsträger gesucht (zu den "Top-Leuten" damals gehörten auch Spieler wie Samuel Dalembert, Jamaal Magloire oder Erick Dampier), so gibt es heute eine Vielzahl junger Center mit Potenzial. Bynum hat den Anschluss verloren.

"Wir werden ihn vermissen", sagt Irving dennoch. "Er muss aber noch ein paar Dinge mit sich selbst regeln, bevor er zurückkommen kann." Es klingt wie ein Abschied, ein Trade scheint mittlerweile unausweichlich zu sein. Die L.A. Clippers und die Miami Heat sollen an Bynum als Puzzlestück interessiert sein. Klar ist: So sehr im Mittelpunkt, wie nach den Meldungen am vergangenen Samstag wird der Problemfall auf dem Court wohl nie mehr stehen.

Andrew Bynum im Steckbrief